Talmudisches

Schall der Trompete

Den metallenen Trompeten, hebräisch »Chazozerot«, von denen in den Quellen der Tradition ausführlich berichtet wird, begegnet man seit der Zerstörung des Tempels nicht mehr. Foto: Getty Images/iStockphoto

»An Rosch Haschana spielt das Schofar länger als die Trompeten, da das Gebot des Tages das des Schofars ist. An Fasttagen aber wird das Schofar kürzer geblasen als die Trompeten, da das Gebot des Tages das der Trompeten ist.« So lesen wir im Talmud (Rosch Haschana 26b).

Den Reue erzeugenden Stoßtönen des Schofars, diesem urzeitlichen Widderhorn, lauschen wir von Jahr zu Jahr aufs Neue. Doch den metallenen Trompeten, hebräisch »Chazozerot«, von denen in den Quellen der Tradition ausführlich berichtet wird, begegnet man seit der Zerstörung des Tempels nicht mehr.

Tatsächlich nehmen die aus Silber gefertigten Trompeten des Stiftszelts in der Tora aber einen nicht unbedeutenden Platz ein. »Und der Ewige sprach zu Mosche: Mache dir zwei silberne Trompeten, gehämmert mache sie, und sie seien dir, um die Gemeinschaft zusammenzurufen und um die Lager in Bewegung zu setzen« (4. Buch Mose 10, 1–2).

Neben dieser eher logistischen Funktion gibt die Tora auch noch einen weiteren, vielleicht bedeutsameren Gebrauchsgrund der Trompeten vor: Die silbernen Chazozerot dienen dem »Sikaron«, dem Erinnert- und Bedachtwerden vor Gott.

So stellt die Tora in Aussicht, dass, wenn das jüdische Volk diese Trompeten in Notsituationen und über ihren Tempelopfern erklingen lässt, ihre Gebete wirkmächtiger erhört würden. Doch wie ist dies gemeint?

Das Prinzip des Sikaron begegnet uns auch anderswo in einem ähnlichen Kontext. Über den Hohepriester heißt es, dass er an seinem »Me’il«, einem seiner acht Kleidungsstücke, Glocken anbringen musste, »auf dass sein Klang vernommen werde, da er in das Heiligtum vor den Ewigen tritt und da er wieder hinausgeht, damit er nicht stürbe« (2. Buch Mose 28,35).

Eine erste Lesart, die sich hier anbietet, ist, dass sowohl der Trompetenschall als auch der sanftere Glockenklang die Funktion haben, Gott auf die Anwesenheit der Menschen oder ihre Drangsal aufmerksam zu machen.

NOT Das Volk, das in seiner existenziellen Not fastet, oder der Hohepriester, der beim Betreten des inneren Tempels, wo Gottes richtendes Auge präsenter ist, befürchtet, er werde vielleicht nicht mehr lebendig herauskommen, helfen sich mit einer klanglichen Untermalung aus, die Gottes rettende Gnade evoziert.

Wie sollte man dies aber verstehen? Ist es etwa erst der brausende Lärm – oder das plötzliche Klingeln –, das den allhörenden Gott zum Horchen bewegt? Diese Annahme ist mit der Unendlichkeit des Ewigen schwer vereinbar.

Zumal es ja gerade dies war, was der Prophet Elijahu den betenden Priestern des heidnischen Baal spottend vorwarf: »Ihr müsst lauter rufen! Vielleicht ist euer Gott gerade im Gespräch oder beschäftigt, möglicherweise ist er unterwegs oder schläft und muss erst aufwachen« (1. Melachim 18,27).

Wegen des Prophetenwortes hat der Hohepriester Jochanan Hyrkanos im 2. Jahrhundert v.d.Z. auch untersagt, dass die Leviten im Jerusalemer Tempel den Vers »Erwache, Ewiger, warum solltest Du schlafen?« (Psalm 44,24) rezitieren, da dessen Bildsprache vom einfachen Volk auf blasphemische Weise hätte missverstanden werden können (Mischna, Sota 9,10).

Sikaron Aus diesem Grund hat die Tradition dieses durch die Trompeten ausgelöste Sikaron auch anders aufgefasst. So erklärt etwa das Sefer Hachinuch aus dem 13. Jahrhundert: »In den Stunden der Bedrängnis benötigt der Mensch eine gesteigerte Konzentration im Gebet. Daher wurde von der Tora angeordnet, die Trompeten in solchen Momenten schmettern zu lassen, da der Mensch als irdisches Wesen eines intensiveren Wachrüttelns bedarf. Außerdem vertreibt der Trompetenschall allerlei diesweltliche Angelegenheiten aus dem Herzen« (Beha’alotcha, 384).

Demnach diente der Trompetenklang also nicht einem »Erinnern« von Gottes Seiten. Die Chazozerot halfen vielmehr unseren Vorfahren dabei, echte »Kawana«, Andacht, im Gebet zu erreichen.

Talmudisches

Torastudium oder weltliche Arbeit?

Was unsere Weisen über das rechte Maß zwischen Geist und Alltag lehren

von Detlef David Kauschke  14.11.2025

Chaje Sara

Bewusster leben

Sara hat gezeigt, dass jeder Moment zählt. Sogar ihr Schlaf diente einem höheren Ziel

von Samuel Kantorovych  13.11.2025

Spurensuche

Von Moses zu Moses zu Reuven

Vor 75 Jahren starb Rabbiner Reuven Agushewitz. Er verfasste religionsphilosophische Abhandlungen mit einer Intensität, die an Maimonides und Moses Mendelssohn erinnert. Wer war dieser Mann?

von Richard Blättel  13.11.2025

Wajera

Awrahams Vermächtnis

Was wir vom biblischen Patriarchen über die Heiligkeit des Lebens lernen können

von Rabbiner Avraham Radbil  07.11.2025

Talmudisches

Rabbi Meirs Befürchtung

Über die falsche Annahme, die Brachot, die vor und nach der Lesung gesprochen werden, stünden im Text der Tora

von Yizhak Ahren  07.11.2025

Festakt

Ministerin Prien: Frauen in religiösen Ämtern sind wichtiges Vorbild

In Berlin sind zwei neue Rabbinerinnen ordiniert worden

 06.11.2025

Chassidismus

Im Sturm der Datenflut

Was schon Rabbi Nachman über Künstliche Intelligenz wusste

von Rabbiner David Kraus  06.11.2025

Rezension

Orthodoxer Rebell

Sein Denken war so radikal, dass seine Werke nur zensiert erschienen: Ein neues Buch widmet sich den Thesen von Rabbiner Kook

von Rabbiner Igor Mendel  06.11.2025

Potsdam

Abraham-Geiger-Kolleg ordiniert zwei Rabbinerinnen

In Deutschlands größter Synagoge Rykestraße in Berlin-Prenzlauer Berg werden an diesem Donnerstag zwei Rabbinerinnen ordiniert. Zu der Feier wird auch Polit-Prominenz erwartet

 05.11.2025