Talmudisches

Reich sein

Der richtige Umgang mit Reichtum will gut überlegt sein. Foto: Getty Images/iStockphoto

In Pirkej Awot (4,1) finden wir eine auf den ersten Blick leicht verständliche Aussage: »Wer ist reich? Derjenige, der glücklich ist mit dem, was er hat.« Davon ausgehend, könnte man zwei Fragen stellen: Wenn man lernt zu schätzen, was man hat, wird man dann glücklicher? Und, ist es möglich, dass Reichtum auch ein Test sein kann?

Der Talmud erklärt, dass Rabbi Jehuda HaNasi die Wohlhabenden ehrte, und genauso tat es Rabbi Akiva, denn in Psalm 61,8 steht geschrieben: »Du wollest dem König langes Leben geben, dass seine Jahre währen und dass er immer throne vor Gʼtt. Lass Güte und Treue ihn behüten!« Beide Gelehrten folgten der Auslegung des Verses durch Rava bar Mari, der erklärte: Wenn ein wohlhabender Mensch anderen Menschen Essen gibt, so verdient er es, vor Gʼtt zu thronen, und es sollen ihm Ehre und Respekt gewährt werden. Deswegen ist es nur richtig, diejenigen reichen Menschen zu ehren, die anderen auf solche Weise Güte zukommen lassen.

Die Mizwa von Zedaka

Sollte es dann im Umkehrschluss heißen: Wer seinen Reichtum nicht mit anderen teilt, dem soll weder Ehre noch Respekt zuteilwerden? Hat man dann seine Aufgabe auf dieser Welt verfehlt? Schließlich kann man sich durch die Mizwa von Zedaka unermesslichen spirituellen Reichtum verdienen.

Also könnte man sich den richtigen Umgang mit Reichtum auch so vorstellen, dass man zu richtiger Zeit (gʼttgewollt), am richtigen Ort (ebenso gʼttgewollt) und mit den richtigen Mitteln (reich) geboren wurde und diese Mittel (das Geld) auch zu verwenden wusste, um anderen zu helfen (innerhalb des halachisch erlaubten Maximums). Dieses »zu verwenden wissen«, ist wohl das Allerwichtigste im Umgang mit dem Test des Reichseins. Es bewegt den Fokus weg vom »ich und meins« zu »wir und Gesellschaft«. Und somit auch weg vom Egoismus zu mehr Verantwortung.

Dazu bringt Rabbi Jakow ben Wolf Kranz, der Dubner Maggid (1741–1804), folgende Geschichte: Ein reicher Mann fuhr nach einem Handel in einer schönen Kutsche vom Markt zurück nach Hause. Zur gleichen Zeit ging ein armer Händler nach Hause, jedoch zu Fuß, sodass er eine Weile neben der Kutsche des reichen Mannes lief. Der reiche Mann beschimpfte den Armen, er solle nicht neben seiner Kutsche gehen, damit niemand denken möge, die beiden hätten geschäftlich miteinander zu tun. Darauf antwortete der arme Mann: »Wir beide haben unsere Waren auf Kredit gekauft.« Sprich, Gʼtt hat dem reicheren Mann auch mehr Verantwortung gegeben. Doch dieser sah Reichtum eher als Statussymbol und nicht als Mittel zum guten Zweck.

Reichtum ist auch ein Test

Unser Weisen lehrten: So gesehen, ist Reichtum auch ein Test. Denn der Mensch will immer mehr, als er gerade hat, so reich er auch sein mag.
Reichtum bedeutet also nicht automatisch Glück und Erfüllung, denn das, was ein Mensch besitzt, sagt nichts über sein Wesen aus. In diesem Sinne ist ein Mensch reich, wenn er sich an dem erfreut, was er hat. Er leidet nicht unter dem Druck, noch mehr zu besitzen, um glücklich zu sein. Zudem läuft er weniger Gefahr, hochmütig zu werden und anderen gegenüber überheblich zu handeln.

Wenn ein Jude mit Freude das Leben und die Umstände akzeptiert, die der Allmächtige für ihn ausgewählt hat, so verhält sich auch der Allmächtige ihm gegenüber Midda keneg Midda (Maß für Maß). Das bedeutet, dass auch der Allmächtige zufrieden mit ihm ist und ihn so akzeptiert, wie er ist.

In Zeiten materiellen Reichtums, ja Überflusses, ist es nicht immer leicht, genügsam zu sein. Doch braucht man wirklich immer mehr materielle Güter zum echten Glück? Und wie fühlt man sich glücklicher mit dem, was man schon hat? Man könnte beispielsweise beginnen, sich in hakorat hatov, in Dankbarkeit, zu üben und jeden Tag nach etwas zu suchen, wofür man dankbar sein kann. Denn oft sind es die vermeintlich kleinen Dinge, die mit keinem Geld der Welt zu kaufen sind, die uns wirklich glücklich machen – wenn wir sie nur bemerken.

Gespräch

Beauftragter Klein: Kirche muss Antijudaismus aufarbeiten

Der deutsche Antisemitismusbeauftragte Felix Klein kritisiert die Heiligsprechung des Italieners Carlo Acutis. Ihm geht es um antijüdische Aspekte. Klein äußert sich auch zum christlich-jüdischen Dialog - und zum Papst

von Leticia Witte  13.06.2025

Beha’Alotcha

Damit es hell bleibt

Wie wir ein Feuer entzünden und dafür sorgen, dass es nicht wieder ausgeht

von Rabbiner Joel Berger  13.06.2025

Talmudisches

Dankbarkeit lernen

Unsere Weisen über Hakarat haTov, wie sie den Menschen als Individuum trägt und die Gemeinschaft zusammenhält

von Diana Kaplan  13.06.2025

Tanach

Schwergewichtige Neuauflage

Der Koren-Verlag versucht sich an einer altorientalistischen Kontextualisierung der Bibel, ohne seine orthodoxen Leser zu verschrecken

von Igor Mendel Itkin  13.06.2025

Debatte

Eine »koschere« Arbeitsmoral

Leisten die Deutschen genug? Eine jüdische Perspektive auf das Thema Faulheit

von Sophie Bigot Goldblum  12.06.2025

Nasso

Damit die Liebe bleibt

Die Tora lehrt, wie wir mit Herausforderungen in der Ehe umgehen sollen

von Rabbiner Avichai Apel  06.06.2025

Bamidbar

Kinder kriegen – trotz allem

Was das Schicksal des jüdischen Volkes in Ägypten über den Wert des Lebens verrät

von Rabbiner Avraham Radbil  30.05.2025

Schawuot

Das Geheimnis der Mizwot

Der Überlieferung nach erhielt das jüdische Volk am Wochenfest die Tora am Berg Sinai. Enthält sie 613 Gebote, oder sind es mehr? Die Gelehrten diskutieren seit Jahrhunderten darüber

von Rabbiner Dovid Gernetz  30.05.2025

Tikkun Leil Schawuot

Nacht des Lernens

Die Gabe der Tora ist eine Einladung an alle. Weibliche und queere Perspektiven können das Verständnis dabei vertiefen

von Helene Shani Braun  30.05.2025