Schabbat

Opfer zum Fest

Warum Aharons Söhne bei der Einweihung des Stiftszelts sterben mussten

von Rabbiner Jan Guggenheim  13.04.2015 20:57 Uhr

»Und es ging ein Feuer von G’tt heraus, und es verzehrte sie« (3. Buch Mose 10,2). Foto: Thinkstock

Warum Aharons Söhne bei der Einweihung des Stiftszelts sterben mussten

von Rabbiner Jan Guggenheim  13.04.2015 20:57 Uhr

Unsere Parascha beginnt mit den Worten »Wajehi baJom Haschmini« – »Und es war am achten Tag«. In der Gemara im Talmud-Traktat Megilla lernen wir von den Weisen, dass auf die Worte »Wajehi« (»und es war«) etwas Schmerzvolles folgt.

Die Baraita, die mündliche Lehre außerhalb der Mischna, lehrt jedoch, dass an jenem achten Tag (baJom Haschmini) eine Freude vor dem Ewigen herrschte wie an dem Tag, an dem Er Himmel und Erde erschaffen hatte. Die Weisen erklären diesen Widerspruch wie folgt: Wenn geschrieben steht »Wajehi Bimej« – «Und es war in den Tagen«, wie zum Beispiel in der Megillat Esther, ist diese Wendung mit Schmerz verbunden. Wo jedoch nur »Wajehi« steht, kann es sowohl Freude als auch Schmerz bedeuten.

Feuer Was geschah also an diesem achten Tag, von dem hier die Rede ist? An jenem Tag, dem 1. Nissan, errichteten die Kinder Israels den Mischkan, das Stiftszelt. Doch an jenem Tag der Freude, so lesen wir in der Tora, geschah auch etwas Schmerzvolles: An diesem Tag brachten Nadav und Avihu, zwei Söhne Aharons, des Hohepriesters, ein Rauchopfer dar. Sie zündeten es mit einem fremden Feuer an, »das der Ewige nicht befohlen hatte« (3. Buch Mose 10,1).

Weiter lesen wir: »Und es ging ein Feuer von G’tt heraus, und es verzehrte sie, und sie starben vor G’tt« (10,2). Wir erfahren also, dass Aharon, der Hohepriester, an diesem freudigen Tag der Einweihung des Mischkan zwei seiner Söhne verlor, weil sie ein Rauchopfer darbringen wollten.

Worin bestand ihre Sünde? Und wieso konnte die Strafe, wenn sie denn berechtigt war, nicht warten? Als G’tt Adam verboten hatte, von dem Baum zu essen, hatte er zu ihm gesagt: »An dem Tag, an dem du von dem Baum isst, wirst du sterben« (1. Buch Mose 2,17). Aber wir wissen, dass Adam danach noch viele Jahre weiterlebte. Wieso konnte G’tt nicht auch bei Aharons Söhnen Gnade walten lassen oder die Strafe um ein paar Tage aufschieben?

Im 3. Buch Mose 10,2 lesen wir: »(Das Feuer) verzehrte sie, und sie starben vor G’tt.« Es steht ausdrücklich geschrieben »vor G’tt«. Es hätte gereicht zu schreiben »und sie starben«. Aus den Worten »vor G’tt« lässt sich schließen, dass der sofortige Tod der beiden Söhne G’ttes Plan war. Wir Menschen suchen oft nach Gründen, warum etwas geschehen ist. In diesem Fall wird der Tod als Strafe dafür gesehen, dass sie etwas taten, was G’tt nicht befohlen hatte. Tatsächlich bedarf aber nicht jedes Ereignis einer Begründung. In unserem Wochenabschnitt wären die beiden Söhne auch ohne diese Sünde gestorben.

Vergleich Um die Angelegenheit besser zu verstehen, lohnt sich ein Blick auf andere Begebenheiten. Mosche Rabbeinu hat das jüdische Volk beim Auszug aus Ägypten angeführt. Er wanderte mit den Kindern Israels 40 Jahre lang durch die Wüste, rang mit ihnen und bewahrte sie vor der Vernichtung. Doch weil er zweimal gegen einen Felsen schlug, durfte er das Heilige Land nicht betreten. Er hätte zu ihm sprechen sollen. Auf den ersten Blick scheint es recht eindeutig. Aber war es wirklich so?

Nachdem Mosche beim Pharao gewesen war, beklagte er sich bei G’tt, dass sich die Lage des Volkes nur noch verschlimmert habe. Da antwortete G’tt: »Jetzt wirst du sehen, was ich dem Pharao antun werde.« Der Midrasch Raba erklärt dazu: »Jetzt wirst du sehen, was ich dem Pharao antue, und du wirst später nicht sehen, was ich den sieben Völkern antue, wenn die Kinder Israels in Kanaan einmarschieren.« Dass Mosche nicht mit nach Kanaan darf, stand also schon vorher fest.

Wenn wir uns die weitere Geschichte ansehen, wird klar, dass es für Mosche keine Strafe war, das Gelobte Land nicht zu betreten. In Ägypten und in der Wüste war alles übernatürlich, alles waren Wunder: die Zehn Plagen, die Teilung des Meeres, der Sieg über die Ägypter, das Manna, Mirjams Quelle und vieles mehr. In Kanaan jedoch würde das Volk selbst für Nahrung sorgen und Kriege aus eigener Kraft führen – ganz ohne Wunder.

Es war also keinesfalls so, dass Mosche nicht nach Kanaan durfte, sondern er konnte nicht. Denn was sollte jemand wie er, ein Mann der Wunder, in einem Land, in dem es nichts Übernatürliches gab?

Trost In unserer Parascha lesen wir: »Das ist es, was G’tt gesagt hat: ›Mit meinen Nächsten werde ich geheiligt, und vor dem Angesicht des Volkes werde ich geehrt‹« (10,3). Raschi (1040–1105) schreibt, dass Mosche mit diesen Worten seinen Bruder Aharon tröstete, nachdem dessen Söhne ums Leben gekommen waren. Der Midrasch erklärt, Mosche habe gewusst, »dass ein großes Opfer gebraucht wird, um G’tt bei der Einweihung des Mischkan zu heiligen«. Denn je größer die Heiligkeit, desto größer das Opfer. Laut Raschi sagte Mosche zu Aharon: »Ich dachte, du oder ich würden infrage kommen. Jetzt, wo deine Söhne sterben, zeigt uns das, dass sie größer sind als du und ich.«

Ein Feuer zu zünden, reicht nicht aus, um zu sterben, zumindest nicht direkt. Es war vorherbestimmt. Aharons Söhne Nadav und Avihu hatten eine bestimmte spirituelle Stufe erreicht und starben deshalb in diesem Moment.

Wenn man lediglich auf die Wörter in den Versen schaut, sieht der Tod der beiden Söhne wie eine Strafe aus. Aber ein kleiner Blick auf den Kommentar von Raschi öffnet einen völlig anderen Blickwinkel. Ausgerechnet an einem so besonderen Tag, während einer solchen Zeremonie, mussten diejenigen sterben, die in der Lage waren, G’tt zu heiligen. Das jüdische Volk muss immer wieder Opfer bringen, bei denen wir nicht ohne Weiteres verstehen können, wieso.

Der Autor studiert am Rabbinerseminar zu Berlin.

Inhalt
Der Wochenabschnitt Schemini schildert zunächst die Amtseinführung Aharons und seiner Söhne als Priester sowie ihr erstes Opfer. Dann folgt die Vorschrift, dass die Priester, die den Dienst verrichten, weder Wein noch andere berauschende Getränke trinken dürfen. Der Abschnitt listet auf, welche Tiere koscher sind und welche nicht, und er erklärt, wie mit der Verunreinigung durch tote Tiere umzugehen ist.
3. Buch Mose 9,1 – 11,47

Basel

Basler Rabbiner übersetzt Talmud-Traktat über Purim 

Zu seinem Abschied hat Moshe Baumel das kürzeste Talmud-Traktat ins Deutsche übersetzt

von Peter Bollag  25.03.2024

Wajikra

Sozial gestaffelt

Die Tora lehrt, dass arme Menschen für ihre Vergehen Tauben statt Schafe oder Ziegen opfern müssen

von Rabbiner Avraham Radbil  22.03.2024

Purim

Der große Plot-Twist

Von der Megillat Esther lernen wir, das Schicksal zu wenden und unsere Zukunft besser zu gestalten

von Rabbiner Akiva Adlerstein  22.03.2024

Berlin

Purim für Geflüchtete

Rabbiner Teichtal: »Jetzt ist es wichtiger denn je, den Geflüchteten die Freude am Feiertag zu bringen«

 21.03.2024

Berlin

Neue Ausstellung über Sex im Judentum

Zu sehen sind rabbinische Schriften, Skulpturen, Filme, Fotografien, tiktok-Videos, Ritualgegenstände und Gedichte

 21.03.2024

Talmudisches

Vom Wert der Arbeit

Was unsere Weisen darüber lehrten, warum man seinen Beruf schätzen sollte

von Yizhak Ahren  21.03.2024

Berlin

Koscher Foodfestival bei Chabad

»Gerade jetzt ist es wichtig, das kulturelle Miteinander zu stärken«, betont Rabbiner Yehuda Teichtal

 18.03.2024

Pekudej

Ort des Gebens

Die Tora lehrt, warum »das jüdische Haus« von so grundlegender Bedeutung ist

von Rabbiner Bryan Weisz  15.03.2024

Talmudisches

Die Eule – Symbol der kommenden Zeit

Was unsere Weisen über den nachtaktiven Vogel lehren

von Chajm Guski  15.03.2024