Woche der Brüderlichkeit

Öffentliche Reden, interne Diskussionen

Rabbiner und Bischöfe berieten in Hannover über die Integration von Flüchtlingen

von Ayala Goldmann  07.03.2016 20:10 Uhr

Rabbiner Andreas Nachama beim Vortrag Foto: Stefan Heinze

Rabbiner und Bischöfe berieten in Hannover über die Integration von Flüchtlingen

von Ayala Goldmann  07.03.2016 20:10 Uhr

Repräsentanten des Christentums und des Judentums wollen sich gemeinsam gegen Fremdenhass und für die Integration von Flüchtlingen, zugleich aber auch gegen Antisemitismus einsetzen.

Das erklärten evangelische und katholische Kirchenvertreter sowie Mitglieder der Allgemeinen und der Orthodoxen Rabbinerkonferenz (ARK und ORD) am Montagabend in Hannover bei einer öffentlichen Veranstaltung zur »Woche der Brüderlichkeit«. Zuvor hatten Rabbiner und Bischöfe mehrere Stunden intern zum Thema Integration beraten. Wie zu vernehmen war, verliefen die Diskussionen lebhaft, zum Teil auch kontrovers.

Hilfe Der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Heinrich Bedford-Strohm, betonte bei der öffentlichen Veranstaltung, die deutsche Hilfsbereitschaft bei der Aufnahme von Flüchtlingen werde international aufmerksam wahrgenommen. »In allen Ländern, in denen ich in jüngster Zeit unterwegs war, habe ich Anerkennung und Hochachtung für die großzügige Aufnahme der Flüchtlinge in Deutschland gehört«, sagte der bayerische Landesbischof. Darüber hinaus betonte Bedford-Strohm, bei der Aufnahme von Flüchtlingen müsse der Blick über Europa ausgeweitet werden. Er sei dankbar dafür, dass die Religionsgemeinschaften Deutschlands in der Flüchtlingsfrage »große Gemeinsamkeiten« hätten.

In seiner Begrüßung sagte Arie Folger von der Orthodoxen Rabbinerkonferenz, derzeit Rabbiner in Karlsruhe und zukünftiger Oberrabbiner in Wien, dass »jeder Mensch im Ebenbilde Gottes erschaffen wurde und in gesellschaftlichen Diskussionen über die Asylpolitik die grundsätzliche Würde aller Menschen nicht vergessen werden darf«. Die zunehmende Gewaltbereitschaft von Teilen unserer Gesellschaft untergrabe »den gesellschaftlichen Frieden und erfüllt uns mit Besorgnis«, so Folger. Explizit warnte er vor Rechtsextremisten, aber auch vor Dschihadisten. Dass (etwa wie im Sommer 2014 bei Demonstrationen gegen Israel) Parolen wie »Juden ins Gas« geschrien würden, dürfe nicht geduldet werden, unterstrich Folger.

Es reiche aber nicht, berechtigte Ängste zu kommunizieren: »Wie viele meiner Kollegen bin auch ich im jüdisch-muslimischen Dialog aktiv«, berichtete er. Gemeinsam mit einem Imam wolle er in einem Flüchtlingsheim Workshops zum Thema »Integration in der pluralistischen Gesellschaft« durchführen. Außerdem betonte der orthodoxe Rabbiner: »Wir verpflichten nicht alle Familien, ihre Kinder sexuell freizügig zu erziehen. Ich glaube, dass viele der heute anwesenden religiösen Würdenträger sogar mehr Biederkeit, Bescheidenheit und Zurückhaltung empfehlen würden. Doch kann es nicht sein, dass andersdenkende Mädchen beleidigt, genötigt oder mit Gewalt eingeschüchtert werden.«

Hugenotten Der liberale Berliner Rabbiner Andreas Nachama erinnerte an den Zuzug der Hugenotten nach Deutschland im 17. Jahrhundert und die jüdische Einwanderung nach Israel. Integration sei keine neue Herausforderung: »Jüdische Gemeinden weltweit haben große Erfahrung beim Thema Integration, denn Juden wurden und werden immer wieder aus ihren Heimatländern vertrieben«, sagte er.

Nachama hinterfragte kritisch, ob man Flüchtlingen aus arabischen Ländern »eben mal so generell Antisemitismus oder antichristliche Haltungen« unterstellen dürfe. Dies könne eine unzulässige Verallgemeinerung sein. Er schlug vor, in drei bis vier Flüchtlingsheimen eine repräsentative Erhebung zu erstellen, um zu überprüfen, ob diese Haltungen tatsächlich nachzuweisen seien – bei »fünf oder 50 Prozent« der Befragten: »Dann weiß man, was man zu tun hat.«

Fremdenhass Der stellvertretende Vorsitzende der katholischen Deutschen Bischofskonferenz, Norbert Trelle, übte scharfe Kritik an Fremdenhass. Trelle plädierte für die Aufnahme von Flüchtlingen mit humanitären Kontingenten in Europa. Gleichzeitig versicherte er, die katholische Kirche werde im Kampf gegen Antisemitismus weiterhin an der Seite der jüdischen Gemeinschaft stehen.

Seit 2006 treffen sich Vertreter der ARK und der ORD mit Mitgliedern der Deutschen Bischofskonferenz und des Rates der EKD einmal jährlich zu einem ausführlichen Gespräch. Alle zwei Jahre führen sie gemeinsam mit dem Deutschen Koordinierungsrat der Gesellschaften für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit eine öffentliche Veranstaltung durch.

An den Treffen nahmen unter anderen die orthodoxen Rabbiner Avichai Apel (Dortmund), Julian-Chaim Soussan (Frankfurt/Main), Alexander Kahanovsky, Jona Pawelczyk-Kissin (Heidelberg), die liberalen Rabbiner Henry G. Brandt (Augsburg), Gabor Lengyel (Hannover), Jonah Sievers und Walther Rothschild sowie Masorti-Rabbinerin Gesa Ederberg (alle Berlin) teil. Besucher bemängelten, dass es Vorträge und Reden, aber keine öffentliche Diskussion oder Möglichkeit zur Beteiligung gab.

Essay

Die gestohlene Zeit

Der Krieg zerstört nicht nur Leben, sondern auch die Möglichkeit, die Zukunft zu planen, schreibt der Autor Benjamin Balint aus Jerusalem anlässlich des Feiertags Simchat Tora

von Benjamin Balint  23.10.2024

Bereschit

Höhen und Tiefen

Sowohl Gut als auch Böse wohnen der Schöpfung inne und lehren uns, verantwortlich zu handeln

von Rabbinerin Yael Deusel  23.10.2024

Simchat Tora

Untrennbar verwoben

Können wir den Feiertag, an dem das Massaker begann, freudig begehen? Wir sollten sogar, meint der Autor

von Alfred Bodenheimer  23.10.2024

Deutschland

Sukkot in der Fußgängerzone

Wer am Sonntag durch die Bonner Fußgängerzone lief, sah auf einem zentralen Platz eine Laubhütte. Juden feiern derzeit Sukkot auch erstmals öffentlich in der Stadt - unter Polizeischutz

von Leticia Witte  20.10.2024

Laubhüte

Im Schatten Seiner Flügel

Für die jüdischen Mystiker ist die Sukka der ideale Ort, um das Urvertrauen in Gʼtt zu stärken

von Vyacheslav Dobrovych  16.10.2024

Freude

Provisorische Behausung

Drei Wände und ein Dach aus Zweigen – selbst eng gedrängt in einer zugigen Laubhütte kommt an Sukkot feierliche Stimmung auf

von Daniel Neumann  16.10.2024

Chol Hamoed

Körperlich herausfordernd

Warum das Buch so gut zu Sukkot und seinen Mizwot passt

von Rabbiner Joel Berger  16.10.2024

Talmudisches

Gericht und Reue

Was unsere Weisen über das Fasten an Jom Kippur und die Sünden zwischen den Menschen lehrten

von Vyacheslav Dobrovych  15.10.2024

Berlin

Zu Besuch in Deutschlands einzigem koscheren Hotel

Ilan Oraizers King David Garden Hotel ist ein Unikum in der Bundesrepublik

von Nina Schmedding  13.10.2024