Hinrichtung

Nicht auf eigene Faust

Laut Halacha, dem jüdischen Religionsgesetz, ist es keineswegs erlaubt, das Gesetz in die eigene Hand zu nehmen und Menschen zu töten – wie es Extremisten in Israel in den vergangenen Wochen getan haben. Die Überlieferung kennt drei wesentliche Arten von Tötungen, die laut Halacha zulässig sind. Sie sind jedoch einem strengen System von beschränkenden Vorschriften unterworfen.

Die Hinrichtung eines Übeltäters durch ein Gericht ist vor allem in der schriftlichen Tora die wichtigste Form der erlaubten Tötung. Laut der Tradition unserer talmudischen Weisen darf eine Hinrichtung im Rahmen der »Dinei Nefaschot« allein von einem Sanhedrin, also dem höchsten Rechtsorgan der Tora, beschlossen werden. Dies meint sowohl einen kleinen Sanhedrin von 23 Dajanim sowie einen großen von 71 (Mischna, Sanhedrin 1,4; Rambam, Hilchot Sanhedrin 5,3).

Rambam Da in unserer Zeit aber die sanhedrische Richtbefugnis, die Semicha, die von den Tagen Mosche Rabbenus bis in die Amoräerzeit weitergetragen wurde, verloren gegangen ist (Rambam, Hilchot Kiddusch Hachodesch 5, 3–4), ist auch das Recht einer staatlichen Hinrichtung verschwunden. Doch auch, als dies noch bestand, galt ein Sanhedrin, der einmal in sieben oder sogar in 70 Jahren jemanden hinrichtete, als »mörderisch« (Talmud, Makkot 7a).

Die zweite Möglichkeit ist die von Einzelnen vorgenommene Tötung eines »Rodef« – eines Menschen, der dabei ist, einen Mord an einem Juden zu begehen. Die Tradition ist davon überzeugt, dass Mord verboten ist (Rambam, Hilchot Rozeach 1,1) , und dass er zu den drei schrecklichsten Arten von Sünden gehört (Tosefta, Schabbat 16,14).

Daher gilt, dass ein Tötungsakt – durch den Bedrohten oder durch Außenstehende – zur Abwehr eines Rodefs erlaubt und sogar geboten ist (Rambam, Hilchot Rozeach 1,6), sofern keine andere Rettung des potenziellen Opfers in Sicht ist (ebd. 1,13). Denn so sagt es bereits die schriftliche Tora im 3. Buch Mose 19,16: »Du sollst nicht beim Blut deines Nächsten stehen.« Einzelne radikale Rabbiner haben den Mord an Israels Ministerpräsident Yitzhak Rabin 1995 gerechtfertigt – mit der Begründung, die Politik Rabins und der Rückzug Israels aus dem Westjordanland gefährde das Leben von Juden. Diese Auffassung widerspricht allerdings allen gängigen halachischen Autoritäten.

Symbol Die letzte Option – und das ist diejenige, die am meisten polarisiert – dient jüdischen Extremisten, fehlgedeutet und entstellt, als unpassende Rechtfertigung für Gewaltakte: Pinchas, Aharons Enkel, gilt seit eh und je als Symbol des frommen, aber gewalttätigen Eifers um G’ttes willen in der jüdischen Geschichte. Mit seiner Lanze in der Hand streckte er den Sünder Simri in dessen Zelt nebst seiner midianitischen Buhlerin nieder. War Pinchas ein jüdischer Terrorist, ein Vorbild für heutige »G’tteskrieger« des jüdischen Volkes? Zum Verdruss Radikaler fällt das Urteil unserer Weisen dazu ganz anders aus.

Sie überliefern, dass Pinchas’ Tat im Rahmen eines festen Halacha-Gefüges geschehen ist, das kaum Raum für Abweichungen von einem festgelegten Schema lässt. Sollte jemand dagegen widerg’ttlich das Gesetz in die eigene Hand nehmen, so gilt: »Seine Tat ist wie Simris, doch den Lohn Pinchas’ verlangt er« (Sota 22b).

Pinchas’ Tat war die Umsetzung einer Halacha: »Kanaim pogim bo« – »Eiferer fallen ihn (den Sünder) an« (Mischna, Sanhedrin 9,6). Gemeint ist die von Außenstehenden vorgenommene Tötung eines halachisch streng definierten Sünders, der kein Rodef ist. Ein Fall wie der von Pinchas (»Haboel Kutit«) ist laut klassischer Halacha heute die einzig verbleibende rechtliche Möglichkeit, jemanden eigenhändig und ohne Notwehr zu töten: Wenn ein Jude bei Anwesenheit zehn weiterer jüdischer Männer den Geschlechtsakt mit einer »Götzendienerin« vollzieht, so können ihn »Eiferer« während des Vollzugs niederstrecken (Rambam, Hilchot Issurey Biah 12,4). Doch in allen anderen Fällen ist derjenige, der das »Recht« des Tötens für sich in Anspruch nimmt, laut Halacha ein Mörder.

München

Knobloch lobt Merz-Rede in Synagoge

Am Montagabend wurde in München die Synagoge Reichenbachstraße wiedereröffnet. Vor Ort war auch der Bundeskanzler, der sich bei seiner Rede berührt zeigte. Von jüdischer Seite kommt nun Lob für ihn - und ein Appell

von Christopher Beschnitt  16.09.2025

Rosch Haschana

Jüdisches Neujahrsfest: Bischöfe rufen zu Verständigung auf

Stäblein und Koch betonten in ihrer Grußbotschaft, gerade jetzt dürfe sich niemand »wegducken angesichts von Hass und Antisemitismus«

 16.09.2025

Bayern

Merz kämpft in Synagoge mit Tränen

In München ist die Synagoge an der Reichenbachstraße feierlich wiedereröffnet worden, die einst von den Nationalsozialisten zerstört wurde. Der Bundeskanzler zeigte sich gerührt

von Cordula Dieckmann  17.09.2025 Aktualisiert

Ki Tawo

Echte Dankbarkeit

Das biblische Opfer der ersten Früchte hat auch für die Gegenwart eine Bedeutung

von David Schapiro  12.09.2025

Talmudisches

Schabbat in der Wüste

Was zu tun ist, wenn jemand nicht weiß, wann der wöchentliche Ruhetag ist

von Yizhak Ahren  12.09.2025

Feiertage

»Zedaka heißt Gerechtigkeit«

Rabbiner Raphael Evers über Spenden und warum die Abgabe des Zehnten heute noch relevant ist

von Mascha Malburg  12.09.2025

Chassidismus

Segen der Einfachheit

Im 18. Jahrhundert lebte in einem Dorf östlich der Karpaten ein Rabbiner. Ohne je ein Werk zu veröffentlichen, ebnete der Baal Schem Tow den Weg für eine neue jüdische Strömung

von Vyacheslav Dobrovych  12.09.2025

Talmudisches

Stillen

Unsere Weisen wussten bereits vor fast 2000 Jahren, was die moderne Medizin heute als optimal erkennt

von David Schapiro  05.09.2025

Interview

»Die Tora ist für alle da«

Rabbiner Ethan Tucker leitet eine Jeschiwa, die sich weder liberal noch orthodox nennen will. Kann so ein Modell auch außerhalb New Yorks funktionieren?

von Sophie Goldblum  05.09.2025