Talmudisches

Mischna und Gewerkschaft

Nach der Unterzeichnung eines Arbeitsvertrags: Arbeitgeber und Arbeitnehmer Foto: Getty Images/iStockphoto

Die Beziehungen zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer sind wichtig, schließlich hängt das Einkommen beider Seiten davon ab. Daher werden Rechte und Pflichten, die natürlich sehr unterschiedlich sind, detailliert im Talmud geregelt.

Der Arbeitgeber kann nicht einfach nach eigenem Ermessen mit den Arbeitern umgehen, wie es in der Mischna heißt: »Wenn jemand Arbeiter mietet und sagt zu ihnen, dass sie früh anfangen und spät aufhören sollen, an dem Ort ist es aber üblich, nicht früh anzufangen und nicht spät aufzuhören, so ist er nicht berechtigt, sie dazu zu zwingen. Wo es üblich ist, sie zu verköstigen, muss er sie verköstigen … alles nach dem Brauch des Landes« (Baba Mezia 7,1). Der Arbeitgeber muss sich also an die ortsüblichen Rahmenbedingungen halten, heute würden wir wohl Tarifverträge dazu sagen.

ARBEITSUNFALL Ein Arbeitgeber sollte im Falle eines unbeabsichtigten Arbeitsunfalls nicht zu streng sein: »Einst zerbrachen Lastträger dem Rabba bar Bar-Chana ein Fass Wein; da nahm er ihnen ihre Gewänder (zur Strafe) weg. Als sie darauf vor Rav kamen, sprach er zu ihm: ›Gib ihnen ihre Gewänder zurück!‹ (…) Darauf sprachen sie zu ihm: ›Wir sind arm und haben uns den ganzen Tag abgemüht; jetzt sind wir hungrig und haben nichts.‹ Da sprach er zu ihm: ›Geh, bezahle ihnen ihren Lohn‹« (Baba Mezia 83a).

Eine der wichtigsten Pflichten des Arbeitgebers ist die pünktliche Zahlung der Gehälter: »Ein für den Tag Gemieteter kann die ganze Nacht (die auf den Tag folgt) (den Lohn) erheben; ein für die Nacht Gemieteter kann den ganzen Tag (nach der Nacht) den Lohn erheben; ein auf Stunden Gemieteter kann entweder den ganzen Tag oder die ganze Nacht den Lohn erheben. Ein auf eine Woche, einen Monat, ein Jahr (…) Gemieteter kann, wenn er bei Tag herausgeht, den ganzen Tag (den Lohn) erheben. Geht er bei Nacht heraus, so kann er die ganze Nacht und den ganzen Tag (den Lohn) erheben« (Mischna Baba Mezia 9,11).

Wer das Lohnauszahlen verzögert, verstößt gegen mehrere Mizwot (Baba Mezia 111a): »Wenn jemand den Lohn eines Lohnarbeiters zurückhält, übertritt er folgende fünf Verbote: ›Du sollst deinem Nächsten nichts zurückhalten‹ und ›Du sollst nichts rauben‹ (beide 3. Buch Mose 19,13), ›Du sollst den Lohn eines Armen nicht zurückhalten‹ (5. Buch Mose 24,14), ›Am selben Tag sollst du ihm seinen Lohn geben‹ sowie ›Es soll nicht die Sonne darüber untergehen‹ (beide 24,15).«

Denn den Lohn zurückzuhalten, kann den Arbeitnehmer in ernste Schwierigkeiten bringen, ja sogar lebensbedrohlich sein: »Wenn jemand den Lohn eines Lohnarbeiters zurückhält, so ist es ebenso, als würde er ihm seine Seele (seine Würde, sein Leben) nehmen« (Baba Mezia 112a).

LOYALITÄT Andererseits hat der Arbeitgeber Zeit und Arbeitskraft des Arbeitnehmers erworben, und entsprechend ist der Arbeitnehmer verpflichtet, diese voll und ehrlich für seinen Chef einzusetzen: »Einst bedurfte man des Regens; da schickten die Rabbanan einige von ihnen zu ihm (Abba Chilkia, der Enkel von Choni dem Kreiszeichner), dass er um Regen flehe. Sie gingen (…) aufs Feld und grüßten ihn, er aber wandte ihnen sein Gesicht nicht zu. (…) Am Abend sprachen sie zum ihm: ›Weshalb wandtest du uns dein Gesicht nicht zu, als wir dich begrüßten?‹ Dieser erwiderte: ›Ich bin Tagelöhner und durfte die Arbeit nicht unterbrechen‹« (Taanit 23ab).

Abba Chilkia musste also erst die Arbeit erledigen, für die ihn sein Arbeitgeber beauftragt und bezahlt hatte, und erst danach konnte er sich der Anfrage der Rabbiner widmen.

Der Talmud (Brachot 45b) erlaubt sogar eine kürzere Version des Birkat HaMason (Tischdank) nach dem Essen, damit die Arbeit nicht zu lange unterbrochen wird. Ebenso muss der Arbeitnehmer die Anweisungen des Arbeitgebers befolgen, denn »wer den Willen des Eigentümers (Arbeitgebers) übertritt, heißt ein Räuber« (Baba Mezia 78b).

Gespräch

Beauftragter Klein: Kirche muss Antijudaismus aufarbeiten

Der deutsche Antisemitismusbeauftragte Felix Klein kritisiert die Heiligsprechung des Italieners Carlo Acutis. Ihm geht es um antijüdische Aspekte. Klein äußert sich auch zum christlich-jüdischen Dialog - und zum Papst

von Leticia Witte  13.06.2025

Beha’Alotcha

Damit es hell bleibt

Wie wir ein Feuer entzünden und dafür sorgen, dass es nicht wieder ausgeht

von Rabbiner Joel Berger  13.06.2025

Talmudisches

Dankbarkeit lernen

Unsere Weisen über Hakarat haTov, wie sie den Menschen als Individuum trägt und die Gemeinschaft zusammenhält

von Diana Kaplan  13.06.2025

Tanach

Schwergewichtige Neuauflage

Der Koren-Verlag versucht sich an einer altorientalistischen Kontextualisierung der Bibel, ohne seine orthodoxen Leser zu verschrecken

von Igor Mendel Itkin  13.06.2025

Debatte

Eine »koschere« Arbeitsmoral

Leisten die Deutschen genug? Eine jüdische Perspektive auf das Thema Faulheit

von Sophie Bigot Goldblum  12.06.2025

Nasso

Damit die Liebe bleibt

Die Tora lehrt, wie wir mit Herausforderungen in der Ehe umgehen sollen

von Rabbiner Avichai Apel  06.06.2025

Bamidbar

Kinder kriegen – trotz allem

Was das Schicksal des jüdischen Volkes in Ägypten über den Wert des Lebens verrät

von Rabbiner Avraham Radbil  30.05.2025

Schawuot

Das Geheimnis der Mizwot

Der Überlieferung nach erhielt das jüdische Volk am Wochenfest die Tora am Berg Sinai. Enthält sie 613 Gebote, oder sind es mehr? Die Gelehrten diskutieren seit Jahrhunderten darüber

von Rabbiner Dovid Gernetz  30.05.2025

Tikkun Leil Schawuot

Nacht des Lernens

Die Gabe der Tora ist eine Einladung an alle. Weibliche und queere Perspektiven können das Verständnis dabei vertiefen

von Helene Shani Braun  30.05.2025