Kaschrut

Lust unter Kontrolle

Warum es im Judentum für den Verzehr von Fleisch Regeln gibt

von Rabbinerin Gesa Ederberg  13.08.2012 19:42 Uhr

In Maßen: Die Speisegesetze dienen dazu, den Fleischkonsum einzuschränken. Foto: Thinkstock

Warum es im Judentum für den Verzehr von Fleisch Regeln gibt

von Rabbinerin Gesa Ederberg  13.08.2012 19:42 Uhr

Nach der traditionellen Zählung finden sich im Wochenabschnitt Re’eh 55 der 613 Mizwot. Viele davon haben mit Kaschrut zu tun, den jüdischen Speisevorschriften. Da in Europa und auch in Deutschland immer wieder Kritik am Schächten, der traditionellen jüdischen Art, Tiere zu schlachten, geäußert wird, wollen wir, ausgehend von den Mizwot in unserer Parascha, untersuchen, was es mit dem Essen von Fleisch im Judentum so auf sich hat.

verbot Die augenfälligste Besonderheit der jüdischen Küche ist die Trennung von Fleisch und Milch. Sie geht auf einen Vers unseres Wochenabschnitts zurück: »Du sollst das Zicklein nicht in der Milch seiner Mutter kochen« (5. Buch Moses 14,21) und findet sich so insgesamt dreimal in der Tora.

Da in der Tora jeder Buchstabe notwendig ist, es also keine sinnlosen Wiederholungen geben kann, wird diese Wiederholung von den Rabbinen als dreifache Vorschrift verstanden: Es ist verboten, Fleisch und Milch gemeinsam zu kochen oder zu essen oder auch anderen Nutzen davon zu haben, es beispielsweise zu verkaufen.

Die Weisen fragen immer wieder nach der Begründung dieser Regel, denn in der Tora selbst wird keine genannt. Zur Trennung von Milch und Fleisch finden sich zwei: Der Rambam, Maimonides (1138–1204), sieht hier das Verbot, heidnische Bräuche nachzuahmen. Andere meinen, es gehe bei der Trennung vor allem darum, unnötige Brutalität und Tierquälerei strikt zu vermeiden. Ein Muttertier soll nicht zusehen müssen, wie das eigene Junge geschlachtet und gegessen wird.

schwein Neben der Trennung von fleischig und milchig finden wir in unserem Abschnitt auch Regeln darüber, welche Tiere überhaupt zulässig sind und welche nicht. Das bekannteste Beispiel für nichtkoschere, also zum Essen nicht taugliche Tiere ist das Schwein (14,8), das in der Geschichte des Judentums der Inbegriff des Unreinen und für den Verzehr Untauglichen geworden ist. Kein Teil der jüdischen Tradition wird von so vielen Juden befolgt wie die beiden Mizwot, kein Schweinefleisch zu essen und Söhne beschneiden zu lassen.

Neben dem Schwein sind auch manche andere Tiere ausdrücklich verboten oder erlaubt. Für Säugetiere (14,6) und Fische (14,9) werden Kriterien aufgestellt. So sind Säugetiere zulässig, wenn sie gespaltene Hufe haben und Wiederkäuer sind. Fische müssen über Flossen und Schuppen verfügen. Mithilfe dieser Kriterien können auch neue Arten beurteilt werden, die bisher nicht ins Blickfeld der koscheren Küche geraten sind. Pangasius zum Beispiel, der Modefisch der vergangenen Jahre, konnte so als nichtkoscher identifiziert werden. Schwieriger ist es bei Vögeln, da wir hier zwar eine Liste haben (14, 11-20), aber keine Kriterien. Trotzdem wurde etwa in Bezug auf den in Amerika entdeckten Truthahn entschieden, dass er koscher sei.

Während viele antike Kulturen in der Umwelt Israels das Verbot bestimmter Tiere kannten, ist das jüdische Verbot des Verzehrs von Blut einzigartig. Die Tora begründet dies ausdrücklich damit, dass das Blut die Nefesch, also die Seele oder das Leben sei (5. Buch Moses 12,23). Das Blut soll auf den Boden geschüttet werden wie Wasser (12,16). Im Gegensatz zum Vermischen von Milch und Fleisch ist es aber durchaus erlaubt, von Blut Nutzen zu haben. So wurde zum Beispiel Blut, das aus dem Tempel ins daruntergelegene Kidrontal geflossen war, als Dünger an die Bauern der Umgebung verkauft.

Schechita Während die Regeln darüber, welches Fleisch verzehrt werden darf, sehr ausführlich sind, wird nirgendwo in der Tora ausdrücklich festgelegt, wie aus dem Tier Fleisch wird. Wie geschlachtet werden soll, ist viel schwieriger zu beantworten. Die schwer verständliche Bemerkung »wie ich dir befohlen habe« in 5. Buch Moses 12,21 wird von den Rabbinen als Nachweis dafür verstanden, dass die spezifisch jüdische Schlachtung, die Schechita, schon ein biblisches Gebot sei.

Es gibt drei wesentliche Elemente für die Schechita. Erstens: Das Tier muss gesund sein, was nach der Schlachtung auch durch eine genaue Untersuchung der inneren Organe überprüft wird. Zweitens: Die Schlachtung wird mit einem überscharfen Messer mittels eines einzigen schnellen Schnitts durch den Hals vorgenommen. Drittens: Das Tier wird so gehalten, dass alles Blut den Körper verlassen kann.

Eine korrekt ausgeführte Schächtung führt zu einem sofortigen und weitgehend schmerzfreien Tod und ist den gängigen Verfahren in deutschen Schlachthöfen sicher vorzuziehen. Technisch kommt die Schechita der islamischen Schlachtweise weitgehend gleich. Da manche Regeln im Judentum jedoch strenger sind, entspricht islamisches Halal-Fleisch nicht den jüdischen Kaschrut-Ansprüchen, während Muslime die jüdische Schlachtung stets anerkannt haben.

vegetarier Nachdem wir ausgehend von unserem Wochenabschnitt besprochen haben, wie wir schlachten, welche Tiere zulässig sind und wie wir Fleisch essen, ist die vielleicht wichtigste Frage noch gar nicht angesprochen: Warum sind wir nicht, wie zu Zeiten des Paradieses, Vegetarier?

Die Tora spricht von der »Lust« auf Fleisch (5. Buch Moses 12, 20) und erlaubt für die Zeit nach der Wüstenwanderung ausdrücklich, Fleisch auch außerhalb des Jerusalemer Tempels zu schlachten und zu essen, wenn man »zu weit weg« vom Tempel wohnt. Zur Zeit der Wüstenwanderung aber wurde alles Fleisch ausnahmslos im Heiligtum geschlachtet.

Im Talmudtraktat Chullin heißt es, man solle Fleisch nur essen, wenn man eine große Lust darauf verspürt – und selbst dann soll es selten und in Maßen geschehen (Chullin 84a). Die Kaschrutvorschriften dienen also dazu, den Fleischverbrauch einzuschränken und uns bewusst zu machen, dass dabei Leben zerstört wird.

Eine neue Entwicklung der vergangenen Jahre ist die Verbindung der traditionellen Kaschrut mit den Anliegen der sozialen Gerechtigkeit. Das neue Kaschrutzertifikat der amerikanischen Masorti-Bewegung, der »Hekhsher Tzedek«, bescheinigt Betrieben angemessene Arbeitsbedingungen, das Verbot von Kinderarbeit sowie umweltschonende und nachhaltige Produktionsabläufe – es überträgt also die klassischen jüdischen Werte in die moderne industrialisierte Welt.

Die Autorin ist Rabbinerin der Jüdischen Gemeinde zu Berlin.

Inhalt
Der Wochenabschnitt Paraschat Re’eh beginnt mit den eindrucksvollen Worten, die Mosche an das Volk richtet: »Siehe, ich lege heute vor euch Segen und Fluch!« Den Segen erhalten die Bnei Israel, wenn sie auf die Gebote Gottes hören. Der Fluch wird über sie kommen, wenn sie sich nicht entsprechend verhalten und sich fremden Götzen zuwenden. Bei den nachfolgenden Ritualgesetzen geht es unter anderem um die Errichtung eines zentralen Heiligtums, »an dem Ort, den der Ewige, dein Gott, erwählen wird«. Es geht um Schlachtopfer, die Entrichtung des Zehnten (Ma’aser) und um die Erfüllung von Gelübden (Neder). Dann folgen die Speisegesetze mit der Erlaubnis, Fleisch zu essen, das von koscheren Tieren stammt, aber der Verzehr von Blut ist verboten. Zum Schluss werden die Regeln für das Schabbatjahr beschrieben und die Feiertage Pessach, Schawuot und Sukkot sowie die damit verbundenen Vorschriften erwähnt.
5. Buch Moses 11,26 – 16,17

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