Geburtstage

Kuchen essen oder ignorieren?

Manche betrachten den Geburtstag als feierlichen Anlass, um G’tt für das vergangene Jahr zu danken. Foto: Getty Images/iStockphoto

»Leider ist Geburtstag nur einmal im Jahr« – so lautet der Refrain eines berühmt gewordenen Liedes, gesungen vom Krokodil Gena in dem sowjetischen Trickfilm Tscheburaschka (1971).

Doch überall auf der Welt, ob jung oder alt: Menschen jedes Alters feiern jährlich ihren Geburtstag und erinnern mit Kuchen, Kerzen und Geschenken an den Tag, an dem sie auf die Welt kamen.

Partys Im Kindesalter sind es meist große und aufwendige Partys, die mit der Zeit immer kleiner und bescheidener werden, aber nur selten findet man Menschen, die bereit wären, vollkommen darauf zu verzichten. Viele verspüren an diesem Tag eine besondere Energie, die sich nur schwer beschreiben lässt. Es gibt sogar einen alten Brauch, dass das »Geburtstagskind« an diesem Tag Segenssprüche an Familie und Freunde ausgibt.

Doch der einzige Geburtstag (als Feier), der explizit in der Tora erwähnt wird, ist der des Pharaos (siehe 1. Buch Mose 40, 20). Es ist offensichtlich, dass dieser Tag schon damals, zumindest in der ägyptischen Kultur, als Anlass zur Freude betrachtet wurde.

Im Jerusalemer Talmud (Rosch Haschana 3,8) lehren die Weisen des Heiligen Landes, dass man am Tag der Geburt besonderes Glück und übernatürlichen Schutz hat, und so schreibt der Philosoph und Kabbalist Rabbi Zadok Hacohen Rabinowitz (1823–1900) in seinen Schriften (Divrei Chalomot, Kapitel 20): »Denn an dem Tag, an welchem der Mensch geboren wurde, steht er an der Spitze seiner Macht, und er hat sich an diesem Tag vor nichts zu fürchten.«

AMALEKiter Aus diesem Grund wählten die Amalekiter für den Kampf gegen das jüdische Volk (2. Buch Mose 17, 8–16) nur diejenigen Krieger aus, die an diesem Tag Geburtstag hatten – in der Hoffnung, dass sie dadurch das jüdische Volk besiegen könnten. In der Tat brauchte das jüdische Volk besonderen g’ttlichen Beistand, um diese Armee von amalekitischen »Geburtstagskindern« zu besiegen.

Obwohl der Geburtstag offensichtlich ein besonderer und außerordentlicher Tag ist, sind die Meinungen der jüdischen Gelehrten gespalten, was das Feiern betrifft. Der Grund für diese Meinungsverschiedenheit ist eine Passage aus dem Talmud.

In Eruvin 13b beschäftigen sich die Gelehrten mit der philosophischen Frage, ob es für den Menschen gut ist, geboren zu werden, oder nicht. Einerseits wird dem Menschen dadurch die Möglichkeit gegeben, Gutes zu tun und seinen Aufenthalt auf dieser Welt dafür zu nutzen, aus unserem Planeten einen besseren Ort zu machen.

Talmud Andererseits ist es eine Welt der Versuchungen, und nur die wenigsten schaffen es, diese Welt rein und makellos zu verlassen. Es folgt eine Diskussion zwischen den Weisen des Talmuds, und jeder versucht, die Richtigkeit seines Standpunkts zu beweisen. Letztendlich wird entschieden, dass es für den Menschen besser wäre, nicht geboren zu werden, weil die Wahrscheinlichkeit, ein vollkommener Gerechter zu werden, niedriger ist als die, ein durchschnittlicher Mensch mit Sünden zu sein.

Manche betrachten den Tag als »persönliches Rosch Haschana«.

Aus diesem Grund gibt es viele jüdische Gelehrte – Rabbi Yekutiel Yehuda Halberstam (1904–1994), Rebbe von Klausenburg; Rabbi Eliyahu David Rabinowitz Teumim (1843–1905); Rabbi Chaim Eliezer Schapiro (1871–1937), Rebbe von Munkatsch) –, die der Meinung sind, dass ein Geburtstag kein feierlicher Anlass ist und dass dieses Konzept nicht umsonst in der Tora nur im Zusammenhang mit dem Pharao erwähnt wird.

»Schehechejanu« Jedoch gibt es auch zahlreiche Gelehrte – wie Rabbi Yosef Chaim aus Bagdad (1835–1909), Autor des Werkes Ben Isch Chai –, die den Geburtstag als feierlichen Anlass betrachten. Im halachischen Werk Sefer Ginzei Yosef von Rabbi Yosef Schwarz (1875–1944) wird der Brauch erwähnt, am Geburtstag den Segenspruch »Schehechejanu« (über eine neue Frucht oder ein neues Kleidungsstück) zu sprechen, um G’tt nebenbei auch für das vergangene Jahr zu danken.

Menschen Das Argument der Ersteren scheint Letztere nicht zu überzeugen, denn im Talmud wird nur theoretisch darüber diskutiert, was wahrscheinlicher ist: ob der Mensch ein sinnvolles und rechtschaffenes Leben führt oder sündigt und sein Leben verschwendet. Doch diese philosophische Frage sollte den Menschen, der schon geboren wurde, nicht daran hindern, G’tt für das geschenkte Jahr am Tag seiner Geburt zu danken.

Jedoch sind auch die Anhänger dieser Ansicht damit einverstanden, dass der Geburtstag nicht nur gefeiert, sondern auch dafür genutzt werden soll, um auf das vergangene Jahr zurückzublicken und Schlussfolgerungen daraus zu ziehen.

Der Chatam Sofer (Rabbi Mosche Sofer, 1762–1839) schreibt, dass der Geburtstag als »persönliches Rosch Haschana« betrachtet werden und man an diesem Tag mit besonderer Andacht beten soll. Genauso, wie die Welt an Rosch Haschana (Neujahr) gerichtet wird und das himmlische Gericht entscheidet, ob die gesamte Schöpfung ihre Existenz verdient, so ist es auch mit jedem Menschen am Tage seiner Schöpfung.

Tradition Zusammenfassend können wir feststellen: Es gibt Auffassungen, nach denen das Feiern des Geburtstags keine jüdische Tradition ist und es, basierend auf dem Talmud, möglicherweise keinen Anlass zum Feiern des Geburtstags gibt. Andererseits gibt es auch zahlreiche Gelehrte, die finden, dass ein wenig Kuchen und Geschenke niemandem schaden.

Im Gegenteil, wenn man diesen Tag auch dazu nutzt, um G’tt für das vergangene Jahr zu danken, und sich Ziele für das neue Jahr setzt, basierend auf den Erfahrungen des vergangenen Jahres, dann wird aus dem Geburtstag sicherlich ein besonders fröhlicher und produktiver Tag.

Der Autor ist angehender Rabbiner. Er studiert im Jerusalem Kollel.

Interview

»Der Dialog mit dem Vatikan ist regelrecht eingeschlafen«

Maram Stern über den künftigen Papst und den stockenden jüdisch-christlichen Dialog

 29.04.2025

Halacha

Kann ein Jude die Beerdigung des Papstes besuchen?

Papst Franziskus wird diesen Samstag, an Schabbat, beerdigt. Observante Juden könnte das vor komplizierte Fragen stellen

von Vyacheslav Dobrovych  25.04.2025

Schemini

Offene Türen

Die Tora lehrt, auch Fremde freundlich zu empfangen

von Rabbiner Bryan Weisz  25.04.2025

Nachruf

Förderer des katholisch-jüdischen Dialogs, aber auch harter Kritiker Israels

Papst Franziskus im Alter von 88 Jahren gestorben. Sein langjähriger Gesprächspartner, Rabbiner Jehoschua Ahrens, nimmt Abschied

von Rabbiner Jehoschua Ahrens  28.04.2025 Aktualisiert

Chol Hamoed

Nur Mosche kannte die Freiheit

Warum das Volk Israel beim Auszug aus Ägypten ängstlich war

von Rabbinerin Yael Deusel  17.04.2025

Geschichte

Waren wir wirklich in Ägypten?

Lange stritten Historiker darüber, ob die Erzählung vom Exodus wahr sein könnte. Dann kamen die Archäologen

von Rabbiner Igor Mendel Itkin  17.04.2025

Berlin

Berlin: Gericht bestätigt fristlose Kündigung von Rabbiner

Das Berliner Arbeitsgericht hat die fristlose Kündigung eines Rabbiners wegen sexueller Belästigung eines weiblichen Gemeindemitglieds bestätigt

 16.04.2025

Essen

Was gehört auf den Sederteller?

Sechs Dinge, die am Pessachabend auf dem Tisch nicht fehlen dürfen

 11.04.2025

Feiertage

Pessach ist das jüdische Fest der Freiheit - und der Frauen

Die Rolle und Verdienste von Frauen würdigen - dafür ist Pessach eine gute Gelegenheit, sagen Rabbinerinnen. Warum sie das meinen und welchen Ausdruck diese Perspektive findet

von Leticia Witte  11.04.2025