Tradition

Koscheres Pessach

Die Chronologie beweist: Die »Goldene Haggada« wurde von jüdischen Künstlern geschaffen. Foto: Foto: British Library Board

Kochen ist für viele immer noch Hausfrauensache und daher alles andere als eine Kunst. Wenn aber ein Star wie Tom Franz zum Kochlöffel greift und erfolgreich koschere Gerichte zaubert, dann wird das Ganze schnell als Kunst deklariert.

Schließlich gilt koscheres Kochen als kompliziert, weil so viele Regeln beachtet werden müssen – etwa die Trennung von fleischigen und milchigen Speisen oder das Know-how darüber, welche Tiere überhaupt zum Verzehr erlaubt sind. Dazu addieren sich die Gebote für die symbolischen Speisen. So wie etwa für ungesäuertes Brot, Bitterkräuter oder geröstetes Lammfleisch, die alle zu Pessach in Erinnerung an den Auszug aus Ägypten verzehrt werden sollen.

speisegesetze Kaschrut prägt unser jüdisches Leben schon seit Jahrtausenden. Deshalb sollte es nicht erstaunen, wenn sich auch jüdische Künstler immer wieder mit den Speisegesetzen beschäftigten. Vor allem in den Pessach-Haggadot finden sich viele illustrierte Anleitungen, wie der Ritus auszusehen hat. Zu den schönsten davon zählt zweifelsohne die Goldene Haggada aus Katalonien, die um 1320 entstand. Auf 14 Bildseiten, die dem Text vorangestellt sind, zeigt sie einen Miniaturzyklus auf Goldgrund, der die biblische Geschichte von der Schöpfung über die Patriarchen bis hin zum Exodus zeigt.

Unmittelbar daran schließen sich drei Szenen mit den Vorbereitungen für das Pessachmahl an. Auf der letzten Bildseite ist rechts oben Miriam mit ihren Gefährtinnen zu sehen, die alle zeitgenössische Kleidung tragen und einen höfischen Tanz aufführen. Links davon werden Pessachspeisen wie Charosset und Mazze unter Aufsicht des Gemeindevorsitzenden an Mütter mit kleinen Kindern oder an Waisen verteilt. Rechts unten wird die zeremonielle Suche nach Gesäuertem vorgeführt, der Bedikat Chametz.

Zu sehen sind Vater und Sohn, wie sie mit Feder und Kerze die letzten Krumen aufspüren. Währenddessen reinigen Mutter und Tochter das Haus buchstäblich von der Decke bis zum Fußboden. In der links daran anschließenden Szene werden Schafe geschächtet und ausgeweidet, parallel dazu Speise- und Küchenutensilien in einem großen Kessel mit siedendem Wasser gekaschert.

künstler Da alle Figuren zeitgenössische christliche Kleidung tragen, die Frauen teils offene Haare haben und nur zwei ältere Männer Bärte, vermutete man lange Zeit, dass es wohl christliche Künstler waren, die im Auftrag eines jüdischen Patrons die Goldene Haggada geschaffen haben. Aber die Erzählung der Bilder ist von rechts nach links organisiert, wie der Zeilenlauf im Hebräischen, und damit nicht wie in der christlichen Kunst üblich von links nach rechts.

Auf den Tanz der Miriam rechts oben folgt links die Verteilung der rituellen Speisen an die Bedürftigen – ganz im Sinne der Aufforderung in der Haggada, die Sedermahlzeit auch mit denen zu teilen, die keine eigene abhalten können. Die beiden Szenen darunter stellen die Reinigung des Hauses der Speisezubereitung voran: Erst nachdem das Haus koscher le-Pessach ist, erfolgt das Schächten und die Herrichtung des Geschirrs. Zudem führen ausschließlich Männer die rituellen Gebote wie das Bedikat Chametz durch, während Frauen eher profane Aufgaben wie das Putzen übernehmen.

All das sind Belege dafür, dass die Künstler sehr wohl im jüdischen Ritus zu Hause waren. Außerdem schließen die Vorbereitungen für einen Seder nahtlos an das biblische Geschehen an und verdeutlichen damit das Gebot, dass sich jede Generation an den Auszug so zu erinnern habe, als ob sie selbst daran teilgenommen hätte. Vermutlich dient der Miniaturenzyklus dazu, ein spezifisch jüdisches Geschichtsbewusstsein zu visualisieren: Jeder jüdische Mensch steht seit Beginn der Schöpfung in der biblischen Traditionskette und ist durch das Befolgen der Gebote zu ihrer Aufrechterhaltung verpflichtet.

miniaturmalerei Die Judaistin Katrin Kogman-Appel vertritt ferner die These, dass es sich bei den Illustratoren der Goldenen Haggada sehr wahrscheinlich um jüdische Künstler handelte, die im königlichen Atelier von Barcelona ausgebildet wurden und von der französischen Miniaturmalerei beeinflusst waren. Dennoch hatten sie ihre ganz eigene sefardische Perspektive beibehalten.

Ferner dokumentiert die Verteilung der Speisen den öffentlichen Charakter von Pessach. Und obwohl sich die sefardische Oberschicht in ihrem Erscheinungsbild kaum von der christlichen Umwelt unterschied, hielt sie offensichtlich weiter an den Traditionen fest. Man sorgte dafür, dass alle Mitglieder der Gemeinde das Fest koscher le-Pessach begehen konnten. Die Einhaltung der Kaschrut wurde damit wortwörtlich »zur vornehmen Pflicht«, der sich auch der Auftraggeber der Goldenen Haggada unterzogen haben muss und dies in den Bildern dokumentieren ließ.

Jüdische Traditionen basieren also nicht nur auf Texten, sondern auch auf Gemeinsamkeiten beim Essen. Exemplarisch dazu die vielen überlieferten Pessachrezepte. Darstellen lassen sie sich kaum. Dafür aber umso besser probieren. Immer wieder verweisen einzelne Gerichte und Zutaten auf biblische Geschichte. Kein Wunder, dass es gerade die koschere Küche war, die zu einem der nachhaltigsten Identitätsträger im Judentum aufsteigen konnte.

Die Autorin ist Inhaberin des Lehrstuhls für Jüdische Kunst an der Hochschule für Jüdische Studien Heidelberg.

München

Knobloch lobt Merz-Rede in Synagoge

Am Montagabend wurde in München die Synagoge Reichenbachstraße wiedereröffnet. Vor Ort war auch der Bundeskanzler, der sich bei seiner Rede berührt zeigte. Von jüdischer Seite kommt nun Lob für ihn - und ein Appell

von Christopher Beschnitt  16.09.2025

Rosch Haschana

Jüdisches Neujahrsfest: Bischöfe rufen zu Verständigung auf

Stäblein und Koch betonten in ihrer Grußbotschaft, gerade jetzt dürfe sich niemand »wegducken angesichts von Hass und Antisemitismus«

 16.09.2025

Bayern

Merz kämpft in wiedereröffneter Synagoge mit Tränen

In München ist die Synagoge an der Reichenbachstraße feierlich wiedereröffnet worden, die einst von den Nationalsozialisten zerstört wurde. Der Bundeskanzler zeigte sich gerührt

von Cordula Dieckmann  16.09.2025 Aktualisiert

Ki Tawo

Echte Dankbarkeit

Das biblische Opfer der ersten Früchte hat auch für die Gegenwart eine Bedeutung

von David Schapiro  12.09.2025

Talmudisches

Schabbat in der Wüste

Was zu tun ist, wenn jemand nicht weiß, wann der wöchentliche Ruhetag ist

von Yizhak Ahren  12.09.2025

Feiertage

»Zedaka heißt Gerechtigkeit«

Rabbiner Raphael Evers über Spenden und warum die Abgabe des Zehnten heute noch relevant ist

von Mascha Malburg  12.09.2025

Chassidismus

Segen der Einfachheit

Im 18. Jahrhundert lebte in einem Dorf östlich der Karpaten ein Rabbiner. Ohne je ein Werk zu veröffentlichen, ebnete der Baal Schem Tow den Weg für eine neue jüdische Strömung

von Vyacheslav Dobrovych  12.09.2025

Talmudisches

Stillen

Unsere Weisen wussten bereits vor fast 2000 Jahren, was die moderne Medizin heute als optimal erkennt

von David Schapiro  05.09.2025

Interview

»Die Tora ist für alle da«

Rabbiner Ethan Tucker leitet eine Jeschiwa, die sich weder liberal noch orthodox nennen will. Kann so ein Modell auch außerhalb New Yorks funktionieren?

von Sophie Goldblum  05.09.2025