Talmudisches

Korpulente Rabbiner

Es ist ein Gebot der Tora, sich gesund zu ernähren und sich ausreichend zu bewegen. Foto: Getty Images/iStockphoto

Der Talmud berichtet davon, dass Rabbi Elazar ben Schimon ziemlich übergewichtig war (Bava Metzia 84a). Wenn er seinem ebenfalls übergewichtigen Freund Rabbi Jischmael ben Jossi gegenüberstand, habe ein Rinderpaar unter den Bäuchen der beiden Rabbiner hindurchlaufen können.

Es ist ein Gebot der Tora, die körperliche Gesundheit zu wahren, das heißt, sich gesund zu ernähren, sich genügend zu bewegen und keinerlei Drogen zu sich zu nehmen oder sich nicht in sinnlose Gefahren zu begeben. Laut Maimonides, dem Rambam (1138–1204), der sowohl Rabbiner als auch Arzt war, gehört es zu den »Wegen G’ttes«, die Gesundheit des Körpers sicherzustellen, da ein kranker Körper in seinen Möglichkeiten, Gutes zu tun, eingeschränkt ist. Seinen Körper durch ungesundes Essverhalten absichtlich zu vernichten, ist dem Menschen verboten.

GOTTESFURCHT Man kann die Geschichten des Talmuds nicht immer wörtlich verstehen, sie lassen vielfältige Deutungen zu und sind teilweise mystischer Natur. Laut Talmud und Midrasch scheinen sich die Themen Essen, Aussehen sowie Gottesfurcht und Arroganz aber durch das gesamte Leben Rabbi Elazars zu ziehen. Er war der Sohn des berühmten Rabbi Schimon bar Jochai. Dieser gilt als der Vater der jüdischen Mystik und als Autor des Sohar, des bedeutendsten Schriftwerks der Kabbala. Rabbi Schimon war einer der größten Rabbiner aller Zeiten. Sein Grab in der nordisraelischen Ortschaft Meron ist bis heute jedes Jahr das Ziel von Hunderttausenden Pilgern aus ganz Israel.

Rabbi Schimons Sohn Elazar aß von Kindheit an sehr viel. Der Midrasch (Schir Haschirim Rabba 5,14) schreibt, dass diejenigen, die Rabbi Elazar als Kind beim Essen zusahen, sagten: »Der arme Junge. Er muss wohl eine Schlange im Bauch haben, da er nie genug vom Essen bekommt.«

Man kann die Geschichten des Talmuds nicht immer wörtlich verstehen, sie lassen vielfältige Deutungen zu und sind teilweise mystischer Natur.

Später mussten Rabbi Schimon bar Jochai und Elazar sich vor den Römern verstecken, da sich Rabbi Schimon öffentlich gegen die römischen Besatzer geäußert hatte. Die beiden suchten Zuflucht in einer Höhle, in der sie 13 Jahre lang lebten (Schabbat 33b). In dieser Zeit ernährten sich beide nur vom Nötigsten und kamen abgemagert aus der Höhle heraus.

extrem Für Rabbi Elazar war dies ein neues körperliches Extrem: vom Übergewicht zum Untergewicht. Während Rabbi Schimon bar Jochai nach den 13 Jahren in der Höhle weitaus barmherziger mit seinen Mitmenschen umging, heißt es, dass Rabbi Elazar einen wütenden Blick auf all jene hatte, die sich nicht genug mit der Tora beschäftigten.

Später begegnet Rabbi Elazar einem Mann, den er für alles andere als gut aussehend hielt, und fragte ihn: »Warum bist du so hässlich?« Der Mann entgegnete ihm: »Frag den, der mich erschaffen hat!« Mit anderen Worten: Du magst mich unattraktiv finden, aber G’tt hat auch mich gemacht.

Da merkte Rabbi Elazar, dass er sich gegenüber dem Mann versündigt hatte, fiel auf sein Angesicht und flehte um Vergebung. Er lief dem Mann so lange hinterher, bis dieser eine Entschuldigung annahm (Taanit 20a).

MITMENSCHEN Nach dieser Geschichte änderte sich Rabbi Elazars Verhalten zu den Mitmenschen. Wir erfahren aber auch, dass er als Erwachsener stark an Körperfülle zulegte. Offenbar war er zu den Essgewohnheiten seiner Kindheit zurückgekehrt. Später erfahren wir, dass Rabbi Elazar um Leiden bat, damit er von möglichen Sünden gereinigt würde (Bava Metzia 85a).

Vielleicht ist der Wunsch nach Essen, der Wunsch, sich voll und erfüllt zu fühlen, ein Sehnen, das aus dem Inneren der Seele kommt. Die Seele möchte gefüllt sein mit Liebe und Sicherheit.

Ein heiliger Mann wie Rabbi Schimon bar Jochai zeugte einen Menschen mit großem spirituellen Potenzial, der aber genau deshalb auch vor großen Herausforderungen stand – wie der Talmud an anderer Stelle schreibt: »Jeder, der (geistig) größer ist als sein Freund, hat auch einen größeren bösen Trieb« (Sukka 52a).

Talmudisches

Torastudium oder weltliche Arbeit?

Was unsere Weisen über das rechte Maß zwischen Geist und Alltag lehren

von Detlef David Kauschke  14.11.2025

Chaje Sara

Bewusster leben

Sara hat gezeigt, dass jeder Moment zählt. Sogar ihr Schlaf diente einem höheren Ziel

von Samuel Kantorovych  13.11.2025

Spurensuche

Von Moses zu Moses zu Reuven

Vor 75 Jahren starb Rabbiner Reuven Agushewitz. Er verfasste religionsphilosophische Abhandlungen mit einer Intensität, die an Maimonides und Moses Mendelssohn erinnert. Wer war dieser Mann?

von Richard Blättel  13.11.2025

Wajera

Awrahams Vermächtnis

Was wir vom biblischen Patriarchen über die Heiligkeit des Lebens lernen können

von Rabbiner Avraham Radbil  07.11.2025

Talmudisches

Rabbi Meirs Befürchtung

Über die falsche Annahme, die Brachot, die vor und nach der Lesung gesprochen werden, stünden im Text der Tora

von Yizhak Ahren  07.11.2025

Festakt

Ministerin Prien: Frauen in religiösen Ämtern sind wichtiges Vorbild

In Berlin sind zwei neue Rabbinerinnen ordiniert worden

 06.11.2025

Chassidismus

Im Sturm der Datenflut

Was schon Rabbi Nachman über Künstliche Intelligenz wusste

von Rabbiner David Kraus  06.11.2025

Rezension

Orthodoxer Rebell

Sein Denken war so radikal, dass seine Werke nur zensiert erschienen: Ein neues Buch widmet sich den Thesen von Rabbiner Kook

von Rabbiner Igor Mendel  06.11.2025

Potsdam

Abraham-Geiger-Kolleg ordiniert zwei Rabbinerinnen

In Deutschlands größter Synagoge Rykestraße in Berlin-Prenzlauer Berg werden an diesem Donnerstag zwei Rabbinerinnen ordiniert. Zu der Feier wird auch Polit-Prominenz erwartet

 05.11.2025