Pinchas Goldschmidt

»Klar und deutlich Position beziehen«

Der Rabbiner über seinen Prioritäten als wiedergewählter Präsident der Europäischen Rabbinerkonferenz

von Michael Thaidigsmann  24.02.2022 06:40 Uhr

Rabbiner Pinchas Goldschmidt Foto: Uwe Steinert

Der Rabbiner über seinen Prioritäten als wiedergewählter Präsident der Europäischen Rabbinerkonferenz

von Michael Thaidigsmann  24.02.2022 06:40 Uhr

Rabbiner Goldschmidt, Sie wurden vor Kurzem als Präsident der Konferenz der Europäischen Rabbiner wiedergewählt. Was ist ihre Priorität für die nächsten fünf Jahre Amtszeit?
Die größte Herausforderung bleibt, die Religionsfreiheit zu erhalten. Dazu gehört neben den zentralen jüdischen Praktiken wie Brit Mila und Kaschrut auch die Frage der Sicherheit unserer Einrichtungen und Synagogen. Wir müssen die Auseinandersetzung um die Religionsfreiheit und insbesondere die freie Religionsausübung weiterhin führen.

Tut Europa, tut insbesondere die Europäische Union, bei diesen Themen zu wenig?
Führende Politiker in der EU, aber auch der Europarat, haben das Problem jetzt zumindest verstanden. Unsere Anliegen werden nicht nur gehört, sondern auch verstanden. Wir arbeiten in all diesen Fragen auch eng mit den Kirchen und anderen nichtjüdischen Religionsgemeinschaften zusammen. Aber selbstverständlich gab es auch Rückschläge. Ich nenne nur das Urteil des Europäischen Gerichtshofs zum Schächten vor gut einem Jahr.

Auch im Inneren der jüdischen Gemeinschaft gibt es Herausforderungen. Haben Sie genügend Nachwuchs bei der Rabbinerausbildung?
Hier hat sich viel zum Positiven gewandelt. Wir haben heute deutlich mehr junge Rabbiner, 30- oder 40-Jährige, in den Gemeinden als noch vor ein paar Jahrzehnten. Das eigentliche Problem ist, dass Menschen weggehen, in größere Städte ziehen oder sogar ganz auswandern. Vor allem kleinere Gemeinden bluten deswegen aus. Oft gelingt es nur mit Müh und Not, den Betrieb einer einzigen Synagoge aufrechtzuerhalten.

Was sind die Ursachen dafür?
Zum einen hängt das mit der Assimilation zusammen. Die Institution der Ehe zum Beispiel wird zusehends infrage gestellt, nicht nur in Europa und auch nicht nur in der jüdischen Gemeinschaft. Wir müssen daher viel mehr Anstrengungen und auch Ressourcen investieren, um junge Menschen zu motivieren, in ihren Gemeinden zu bleiben, dort aktiv zu werden.

Was tun Sie konkret, um gegenzusteuern?
Wir versuchen, unseren zumeist jungen Rabbinern mit einem eigenen »Young Rabbis Program« dabei zu helfen, wichtige Dienstleistungen für kleinere Gemeinden zu erbringen, wenn sie dazu selbst nicht mehr in der Lage sind. Wir begleiten die Menschen in ihrem Alltag, stehen ihnen mit Rat und Tat zur Seite. Wir haben ein europäisches Beit Din geschaffen, das Anlaufpunkt ist bei einer Reihe von Fragen, zum Beispiel bei Ehescheidungen oder Konversionen. Zudem haben wir zwei Hotlines für Rabbiner in kritischen Situationen sowie für halachische Fragen eingerichtet und starten demnächst ein eigenes Programm für junge Rebbetzinnen.

Sind nicht gerade die strikten Regeln bei der Anerkennung von Übertritten zum Judentum und die Haltung des israelischen Oberrabbinats ein Problem?
Konversionen sind ein Schlüsselthema für das Judentum. Sie berühren die Identität, das Überleben und die mögliche Assimilation jeder jüdischen Gemeinschaft. In unserem globalen Dorf – und die jüdische Welt ist ein globales Dorf – ist es wichtig, internationale Standards aufrechtzuerhalten, insbesondere zwischen der Diaspora und Israel. Als Europäische Rabbinerkonferenz sind wir im Gespräch mit der israelischen Regierung, die das Konversionsverfahren reformieren will, um sicherzustellen, dass sie sich der Konsequenzen ihres Handelns bewusst ist.

Hat für Sie Deutschland eine besondere Stellung, was die Zukunft jüdischen Lebens in Europa betrifft?
Eindeutig ja. Deutschland war in den vergangenen Jahrzehnten die einzige Gemeinde auf dem Kontinent, die noch gewachsen ist, einmal abgesehen von winzigen Ländern wie Monaco. Deutschland hat eine junge jüdische Gemeinde mit dynamischen Rabbinern. Und es hat eine Regierung, die sich der aktiven Förderung jüdischen Lebens verpflichtet fühlt und in diesem Bereich viel unternimmt.

Wie hat die Corona-Pandemie das jüdische Leben in Europa beeinträchtigt?
Als wir hier in Russland in den ersten Lockdown gingen und auch die Frage anstand, ob man Gotteshäuser schließen sollte, waren wir die Ersten, die entschieden, unsere Synagogen zu schließen, denn es gab eine reale Gesundheitsgefahr. Und die russische Regierung hat das dann als Beispiel genommen, um die orthodoxe Kirche dazu zu bewegen, ihre Gotteshäuser auch zu schließen. Was ich damit sagen will: In ganz Europa waren Rabbiner und jüdische Gemeinden Vorreiter, wenn es darum ging, Verantwortung zu übernehmen für den Schutz der Gesundheit der eigenen Mitglieder.

Die Sorge um den Frieden in Europa überschattet im Moment alles. Wie schätzen Sie als Präsident der Europäischen Rabbinerkonferenz und als Oberrabbiner von Moskau die aktuelle Lage ein?
Wir sind sehr beunruhigt und hoffen sehr, dass es trotz der bedrohlichen Anzeichen keinen Krieg geben wird, denn er wäre verheerend für alle. Wir beten für den Frieden. Viel mehr können wir nicht tun in dieser Situation.

Mit dem Oberrabbiner von Moskau und Präsidenten der Europäischen Rabbinerkonferenz sprach Michael Thaidigsmann.

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