Interview

»Jüdisches Leben in Thüringen gehört zum Alltag«

Alexander Nachama, Landesrabbiner von Thüringen Foto: imago

Interview

»Jüdisches Leben in Thüringen gehört zum Alltag«

Landesrabbiner Alexander Nachama über die neue Synagoge in den Waldkliniken von Eisenberg

 26.06.2020 10:22 Uhr

Im Herbst soll in Thüringen eine neue Synagoge eröffnen. Angedockt wird sie an die Waldkliniken Eisenberg. Zusätzlich richtet das Kreiskrankenhaus eine separate Küche für die Zubereitung koscherer Speisen ein. Im Interview spricht nun Landesrabbiner Alexander Nachama über das ungewöhnliche Projekt, über wachsendes jüdisches Leben in Zeiten von zunehmendem Antisemitismus und die Unterstützung von christlicher Seite.

Herr Rabbiner, die neue Synagoge wird ein rund 30 Quadratmeter großer Gebetsraum sein, mitten auf dem Klinikgelände. Wie entstand die Idee?
Die Initiative geht auf den Geschäftsführer der Waldkliniken, David-Ruben Thies, zurück. Er wollte eine separate Krankenhausküche einrichten, um Patienten und Besuchern koschere Speisen anzubieten zu können. Ich habe ihn mit Rabbiner Yitshak Ehrenberg aus Berlin zusammengebracht, der auf dem Gebiet der koscheren Küche sehr anerkannt ist. Und im Verlauf entstand dann noch die Idee für die Synagoge. Nach der Fertigstellung wird sich Rabbiner Ehrenberg um die Betreuung von beidem kümmern.

Warum engagieren sich die Waldkliniken, die ja auch beides komplett finanzieren?
Wie ich es verstanden habe, verspricht sich die Klinikleitung dadurch jüdische Patienten aus ganz Europa. Als Fachklinik für Orthopädie ist das Krankenhaus ja über die Region hinaus bekannt.

Ist die Synagoge nur für Patienten und ihre Angehörigen gedacht?
Nein, sie ist durchaus auch für Jüdinnen und Juden aus der Region gedacht. Die Frage ist aber noch, inwieweit es dort überhaupt Gottesdienste geben wird, weil dazu nach den Regularien mindestens zehn jüdische Männer notwendig sind. Wir werden sehen, ob sich genug finden. Zunächst einmal wird die neue Synagoge hauptsächlich ein Ort für seelsorgliche Begleitung und individuelles Gebet sein.

Thüringen hat bald nicht nur die älteste Synagoge Deutschlands, nämlich in Erfurt, sondern auch die jüngste, insgesamt vier aktive Synagogen im Freistaat. Das jüdische Leben scheint sich hier gut zu entwickeln ...
Dem ist tatsächlich so. 1989 hatte die Jüdische Landesgemeinde in Thüringen noch 26 Mitglieder, inzwischen sind es 700. Es ist natürlich immer abhängig von einzelnen Personen und Initiativen. Auf der anderen Seite ist es wichtig, dass wir uns als Landesgemeinde offen für Ideen zeigen. So ist eine neue Synagoge samt Küche in dem Krankenhaus auch ein Zeichen für die positive Entwicklung jüdischen Lebens im Alltag. Das Ziel ist sicherlich, dass jüdisches Leben in der Gesellschaft ganz selbstverständlicher Teil ist und entsprechend mitgedacht wird.

Zugleich leben wir in Zeiten, in denen antisemitische Übergriffe in Deutschland wieder zunehmen. Wie spüren Sie das in der Landesgemeinde?
Wir haben zum Beispiel 34 jüdische Friedhöfe in Thüringen, und es kommt leider regelmäßig vor, dass Schmierereien auf Grabsteinen gemeldet werden. Wir merken, dass plötzlich diskutiert wird, ob man noch angstfrei in der Öffentlichkeit eine Kippa tragen kann. Wir merken, wie bestimmte Politiker mit ihren Formulierungen in eine antisemitische Richtung provozieren. Das alles sind Zeichen dafür, dass jüdisches Leben doch noch infrage gestellt wird.

Wie gestaltet sich die Unterstützung von Seiten der christlichen Kirchen in Thüringen?
Es gibt eine sehr gute Zusammenarbeit, und es gibt gute Kooperationen. Ich nenne nur ein Beispiel: Das Bistum Erfurt und die Evangelische Kirche in Mitteldeutschland schenken eine Tora-Rolle, die uns im September 2021 feierlich überreicht werden soll. Im vergangenen Oktober wurde der erste Buchstabe im Beisein aller vom Toraschreiber geschrieben. Ein sehr teures Geschenk, das auch zeigt, wie wichtig es den Kirchen ist, dass es auch in Zukunft jüdisches Leben im Freistaat gibt.

Das Interview mit dem Landesrabbiner von Thüringen führte Karin Wollschläger.

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