Geschichte

Jüdin, Christin, Philosophin, Heilige

Edith Stein (1891–1942) Foto: picture-alliance / akg-images

Geschichte

Jüdin, Christin, Philosophin, Heilige

Vor 80 Jahren ermordeten die Nazis Edith Stein in Auschwitz

von Leticia Witte  08.08.2022 15:54 Uhr

Sie ist eine der Patroninnen Europas: Edith Stein. Geboren wurde sie in eine jüdische Familie, entschied sich später für die christliche Taufe, engagierte sich in der Philosophie, wirkte als Ordensfrau und wurde schließlich von den Nazis in Auschwitz ermordet. Das geschah vor 80 Jahren, am 9. August 1942.

Papst Johannes Paul II. sprach Teresia Benedicta vom Kreuz - so ihr Ordensname - 1987 selig, 1998 heilig. Er nannte die aus Breslau (Wroclaw) stammende Stein bei der Seligsprechung in Köln eine »herausragende Tochter Israels und zugleich Tochter des Karmels«. Sie sei zudem eine Persönlichkeit, »die eine dramatische Synthese unseres Jahrhunderts in ihrem reichen Leben vereint«.

Dieses Leben war in der Tat reich: im Glauben, im Spirituellen, in der Philosophie. Und auch in den Überzeugungen. Dies würdigte einmal Pfarrer Lutz Nehk, Beauftragter für Erinnerungskultur und Gedenkstättenarbeit im Erzbistum Berlin, mit Blick auf Frauen, die wegen ihres Widerstands gegen die Nazis starben und weitgehend unbekannt blieben.

»Dies ist ein Bereich, der in der Tat von der Kirche vernachlässigt wurde. Wahrgenommen wurden in erster Linie die Männer und in zweiter Linie die Frauen. Sie wurden nicht ganz verschwiegen, aber es wurde zu wenig auf sie geachtet«, so Nehk. Stein, die wegen ihrer jüdischen Wurzeln verfolgt wurde und im KZ umgebracht wurde, sei eine Ausnahme.

Dass Stein auch heute ein Vorbild sein kann, zeigen zum Beispiel die Edith-Stein-Gesellschaften im In- und Ausland. Oder auch eine Gedenkaktion im vergangenen Jahr: Das Zentrum für Dialog und Gebet nahe der Gedenkstätte Auschwitz-Birkenau in Oswiecim hatte dazu aufgerufen, Videos zum Gedenktag am 9. August einzureichen.

Manfred Deselaers, Auslandsseelsorger der Deutschen Bischofskonferenz am Zentrum, sagte einmal: »Viele betonen, dass Edith Stein mit ihrer konsequenten Wahrheitssuche Vorbild ist, mit ihrem Mut, sich der Lüge zu widersetzen, mit ihrem klaren Blick für die Wirklichkeit, mit ihrer Offenheit für die Anderen.«

Auch in diesem Jahr sind Aktionen am Gedenktag geplant, etwa ein Gebetsweg in Birkenau, ein Friedensgebet und eine Messe. »Europa erlebt den Krieg Russlands gegen die Ukraine, der uns alle tief erschüttert. Deshalb wenden wir uns an die Patronin Europas und bitten sie um Hilfe«, heißt es auf der Internetseite des Zentrums.

Stein wurde am 12. Oktober 1891 als jüngstes von elf Kindern einer jüdischen Familie geboren. Ihr Vater starb früh, und ihre Mutter kümmerte sich seitdem um den Holzhandel der Familie. Zeitweise bezeichnete sich Stein als Atheistin.

Nach dem Abitur widmete sie sich an der Universität Breslau der Germanistik, Geschichte und Philosophie. Später ging sie nach Göttingen zu dem Phänomenologen Edmund Husserl, bei dem sie in Freiburg nach Dienst in einem Lazarett im Ersten Weltkrieg 1917 promovierte.

Weiter ging es jedoch nicht, denn als Frau hatte sie keine Aussicht auf eine Habilitation. Im Anschluss an ihre Stelle in Freiburg hielt sich Stein an unterschiedlichen Orten auf, schrieb und lehrte. 1921 passierte etwas, das für Stein, wie manch anderes auch, wegweisend war: Sie las die Autobiografie der heiligen Teresa von Avila und befand: »Das ist die Wahrheit.«

Am Neujahrstag 1922 ließ sie sich dann katholisch taufen. Vor vier Jahren würdigte Papst Franziskus Stein, die unter dem Namen Teresia Benedicta vom Kreuz 1933 in das Karmelitinnen-Kloster in Köln eingetreten war, als eine Frau, die konsequent mit Ehrlichkeit und Liebe nach Gott gesucht habe. Er nannte sie eine »Märtyrerin für ihr jüdisches Volk und das christliche«.

Im April 1933 rief Stein Papst Pius XI. zu einer Stellungnahme angesichts der Hetze gegen Juden in Deutschland auf - vergeblich. Immer stärker brach der NS-Judenhass hervor, und im Jahr der Novemberpogrome 1938 musste auch Stein, die Konvertitin, fliehen.

Sie kam im Karmel im niederländischen Echt unter, in dem auch ihre konvertierte Schwester Rosa Dienst tat. Anfang August 1942 wurden sie abgeholt - wohl im Zuge einer Racheaktion für ein Protestschreiben niederländischer katholischer Bischöfe gegen die Umtriebe der Nationalsozialisten.

Am 9. August starben Edith und Rosa Stein im Konzentrationslager Auschwitz-Birkenau. Edith Stein soll zuvor zu ihrer Schwester gesagt haben: »Komm, wir gehen für unser Volk.«

Israel

Rabbiner verhindert Anschlag auf Generalstaatsanwältin

Ein Mann hatte den früheren Oberrabbiner Jitzchak Josef um dessen religiöse Zustimmung zur »Tötung eines Aggressors« ersucht. Die Hintergründe

 24.08.2025

Re'eh

Freude, die verbindet

Die Tora zeigt am Beispiel der Feiertage, wie die Gemeinsamkeit gestärkt werden kann

von Vyacheslav Dobrovych  22.08.2025

Elul

Der erste Ton des Schofars

Zwischen Alltag und Heiligkeit: Der letzte Monat vor dem Neujahr lädt uns ein, das Wunderhafte im Gewöhnlichen zu entdecken

von Rabbiner Raphael Evers  22.08.2025

Talmudisches

Positiv auf andere schauen

Was unsere Weisen über den Schutz vor bösem Gerede und die Kraft positiver Gedanken lehren

von Diana Kaplan  21.08.2025

Naturphänomene

Entzauberung des Gewitters

Blitz und Donnergrollen wurden lange als Zorn der Götter gedeutet. Doch die Tora beendete diesen Mythos

von Rabbiner Igor Mendel Itkin  21.08.2025

Fulda

Vor 80 Jahren - Schuldbekenntnis der Bischöfe nach dem Krieg

Sie stand im Zenit ihres Ansehens. Nach Kriegsende galt die katholische Kirche in Deutschland als moralische Macht. Vor 80 Jahren formulierten die Bischöfe ein Schuldbekenntnis, das Raum für Interpretationen ließ

von Christoph Arens  18.08.2025

Ekew

Nach dem Essen

Wie uns das Tischgebet lehrt, bewusster und hoffnungsvoller durchs Leben zu gehen

von Avi Frenkel  15.08.2025

Talmudisches

Granatapfel

Was unsere Weisen über das Sinnbild der Fülle lehren

von Chajm Guski  15.08.2025

Geschichte

Quellen des Humanismus

Wie das Gʼttesbild der jüdischen Mystik die Renaissance beeinflusste

von Vyacheslav Dobrovych  14.08.2025