Sprachgeschichte

Jede Menge gute Taten

Slogan der Mitzvah-Day-Kampagne 5777 Foto: PR

In den USA gibt es ihn seit 2003 unter dem säkularen Namen »Big Sunday« – jenen Aktionstag für soziales Engagement, an dem die Bevölkerung zu gemeinnützigem wohltätigen Handeln aufgerufen ist, so zum Beispiel, um Kranken und Notleidenden, die akuter Hilfe bedürfen, einen Dienst zu erweisen.

Was viele nicht wissen: Dieser Tag hat einen religiösen Hintergrund. In Los Angeles wurde nämlich bereits 1996 in der Reformsynagoge »Temple Israel of Hollywood« ein »Chesed Day« etabliert – benannt nach dem hebräischen Lexem »chesed«. Das Wort »Chesed« ist, wie die Bamberger Rabbinerin Antje Yael Deusel erläutert, auf Deutsch nur schwer wiederzugeben: »Frühe Übersetzungen haben es zu ›Mitleid‹ gemacht (griechisch: ›Eleos‹; lateinisch: ›Misericordia‹) oder auch zu ›Fürsorge‹, ›Nächstenliebe‹ (griechisch: ›Agape‹; lateinisch: ›Caritas‹). Aber Chesed geht weit darüber hinaus. Sie ist die absolute Liebe, die keine Bedingungen stellt (...). Im zwischenmenschlichen Bereich ist Chesed ein g’ttliches Ideal, dem es nachzueifern gilt.«

Karitas 1999 wurde der Chesed Day dann in Mitzvah Day umbenannt. Von dieser karitativen Grundidee haben sich seither weltweit viele jüdische Gemeinden inspirieren lassen. Die Britin Laura Marks brachte das Konzept nach einem Aufenthalt in Los Angeles 2005 nach London und begründete später den »Mitzvah Day International«. In Deutschland initiierte der Zentralrat der Juden den »Tag der guten Taten« zum ersten Mal 2012. In diesem Jahr lautet das vom Zentralrat ausgegebene Motto für den Mitzvah Day 5777 am Sonntag, 13. November: »Mizwa goreret Mizwa« – »Eine gute Tat führt zur nächsten« (Sprüche der Väter 4,2).

Folgt man dem orthodoxen Rabbiner Tzvi Freeman (Die Verbindung der physischen Welt zur Ewigkeit), so ist die neue Namensgebung durchaus passend: »Oft verwenden wir das Wort Mizwa, um ganz allgemein von einer guten Tat zu reden, wie zum Beispiel ›Mach eine Mizwa und hilf deiner Oma mit den Koffern.‹ Dieser altherkömmliche Gebrauch ist bereits im Jerusalemer Talmud vermerkt, weil jede wohltätige Tat dort eine Mizwa ist.«

Aufforderung Das Wort Mizwa wird auf zwei verschiedene Ursprünge zurückgeführt. Die einfache Bedeutung leitet sich von der hebräischen Wortwurzel »Zaw – Ziwuj« ab, das bedeutet Befehl beziehungsweise Imperativ. Doch es könnte auch die Wurzeln des aramäischen Wortes »zawta« (zusammenfügen) enthalten. »Zawta« heißt laut Freeman auch »Partnerschaft« oder »persönliche Verbindung«. Demzufolge verbinde die Mizwa »den zur Ausführung einer guten Tat aufgeforderten Menschen mit dem, der jenes Gebot erlassen hat, woraus eine Beziehung (ein Bund) entsteht«.

Es ist also zu unterscheiden zwischen der Mizwa (jiddisch »Mizwe« ausgesprochen) als Bezeichnung für die gute, gottgefällige Tat, der Mizwa als Gebot und den Mizwot als ursprünglichem Ausdruck für die Gesamtheit der religiösen Ge- und Verbote des Judentums. Leichte (kallot) und schwere (chamurot) Mizwot sind dabei gleichwertig. »Ihre Aufgabe ist es«, so der orthodoxe Rabbiner Eliahu Avichail in seiner Einführung in die Grundlagen des jüdischen Glaubens und Gesetzes (1994), »den Menschen vom Bösen fernzuhalten und ihn auf den rechten Weg zu führen.« Dies gelte sowohl für Einzelpersonen als auch für das Volk als Ganzes, führt der Rabbiner weiter aus.

In nachbiblischer Zeit stand »Mizwa« für eine einzelne Pflicht, während das Gesamtsystem jüdischer rechtlicher Entscheidungen unter dem Ausdruck »Halacha« (wörtlich: die zu gehende Wegrichtung) zusammengefasst wurde. Simon ben Kajara erwähnte die biblischen Mizwot schon im 8. Jahrhundert in der Sammlung Sefer Halachot Gedolot. Doch maßgeblich wurde erst die Auflistung im Sefer ha-Mizwot (Buch der Gebote) des auch Maimonides oder Rambam genannten Rechtsgelehrten, Philosophen und Arztes Mosche ben Maimon (1135–1204) in seinem Werk Mischne Tora (Wiederholung der Tora, um 1170).

Die in Genf geborene Schweizer Schriftstellerin und Philosophin Jeanne Hersch aufgenommen im März 1999

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