Redezeit

»Ich mache etwas Bilderstürmerisches«

Rabbinerin Julie Schonfeld Foto: cc

Frau Schonfeld, Sie sind kürzlich mit dem Preis der Organisation »Jewish Women International« (JWI) ausgezeichnet worden. Was bedeutet Ihnen das?
JWI ehrt Frauen, die neue Ideen und neue Visionen in ihr jeweiliges Arbeitsfeld bringen. Die Organisation hat mich dafür ausgezeichnet, dass ich die Identität einer religiösen Bewegung neu definieren möchte. Und dass die Botschaft der konservativen Bewegung nicht nur in Nordamerika und Israel, sondern auch in Deutschland verbreitet werden soll.

Wie aktuell ist diese Botschaft heutzutage?
Die Botschaft des Judentums bietet das, wonach viele Menschen auf der Welt suchen: einen Weg, der dem Leben einen tieferen Sinn verleiht und der den Menschen ein Gefühl gibt, dazuzugehören und sich mit anderen Menschen zu verbinden, mit denen gemeinsam sie nach höheren Zielen streben können. Heute ist unser Alltag davon ausgefüllt, was wir zu Hause oder auf der Arbeit erledigen. Aber das, was das Judentum im Lauf der Geschichte vermitteln will, ist, dass alles einen höheren Zweck hat. Und dieser lautet, dass man mehr Heiligkeit in die Welt bringen muss. Heute bieten Kommunikationsmittel der Gesellschaft mehr denn je eine große Ablenkung. Das Judentum hat eine universelle Art, die Verbindung zur Gemeinde, Geschichte, Tradition und zu Gott auszudrücken. Ein solches Leben zu führen, ist bestimmt herausfordernd. Für jüdische Führungspersönlichkeiten besteht die Herausforderung darin, zu kommunizieren, warum es wichtig ist, sich der Gemeinde und der Tradition zu widmen.

Was meinen Sie damit?
Das Judentum hat seine Wurzeln in der alten biblischen Gesellschaft. Eine Gemeinde, die von der Landwirtschaft abhängig war, hat instinktiv die Verflechtung mit der Gesellschaft verstanden. Faire Behandlung der Arbeiter, Respekt für die Mitmenschen, Freundlichkeit gegenüber Tieren und Respekt vor der Umwelt waren notwendig, wenn man das Land voran bringen wollte. Diese Prinzipien gelten auch heute noch. Aber in einer hochtechnisierten globalen Gesellschaft sind sie schwerer zu erkennen. Und das Judentum erinnert uns jeden Tag an diese Verbindungen.

Sie sind Rabbinerin. Was sind Ihre Erfahrungen als Frau in einem doch eher männerdominierten Feld?
Ein solches ist es in der Tat. Als Rabbinerin und als einzige Frau, die einer rabbinischen Organisation vorsteht, tue ich etwas, was schon fast bilderstürmerisch ist – nicht das, was die Leute erwarten. Es bedeutet aber auch, dass meine weibliche Perspektive ein höheres Maß an Vielfalt in jede Unterhaltung bringt. Ich glaube, dass genau diese Vielfalt Organisationen dabei hilft, bessere Entscheidungen zu treffen. Eine solche Person zu sein, ist allerdings nicht immer lustig.

Hat es eine Frau denn schwerer?
Das kann ich nicht sagen, denn ich bin ja die Einzige in dieser Position. Die Wahl wurde vor Jahren getroffen. Es gab eine internationale Ausschreibung, und die Wahl wurde nach Kriterien getroffen, die nichts mit Gender-Aspekten zu tun hatten. So, wie es eigentlich sein sollte. Denn solche Entscheidungen sollten aufgrund von Fähigkeiten und Talenten fallen. Und doch spielt Gender in allen Berufen, Führungspositionen und Organisationen eine Rolle. Unser Geschlecht hat Einfluss darauf, wie wir die Welt sehen und wie wir und alle unsere Taten gesehen werden.

In Deutschland wird seit langer Zeit über eine Frauenquote diskutiert. Wäre so etwas für die rabbinische Welt auch denkbar?
Das klingt faszinierend. Rabbinerinnen haben es durchaus schwerer, in ihrer Karriere voranzukommen. Eine Quote einzuführen, wäre jedoch schwierig. Denn einen Rabbiner auszuwählen, gleichgültig, ob Führungskraft oder Lehrer, ist so wichtig. Die Suche ist allerdings nur der erste Schritt. Alles, was eine Frau unternimmt, wird anders wahrgenommen als bei einem Mann, auch wenn beide das Gleiche tun. Die Herausforderungen, vor denen Frauen in der rabbinischen Welt stehen, sind vielzählig. Zugleich sind Frauen dort erst seit vergleichsweise wenigen Jahren aktiv. Wir müssen daran arbeiten, Frauen in Führungspositionen zu unterstützen, sodass sie wiederum unseren Gemeinden dabei helfen können, so pulsierend und effektiv zu werden wie möglich.

Mit der stellvertretenden Vorsitzenden der Rabbinical Assembly sprach Katrin Richter.

Julie Schonfeld ist 46 Jahre alt und seit 2009 die erste Frau, die einer rabbinischen Organisation vorsteht. Die studierte Historikerin wuchs in Riverdale auf und erhielt ihre Ordination 1997 vom jüdisch-theologischen Seminar. Sie war Rabbinerin der »Society for the Advancement of Judaism« in New York und wurde 2011 unter die »Top 50 Rabbiner des Jahres« gewählt.

Essen

Was gehört auf den Sederteller?

Sechs Dinge, die am Pessachabend auf dem Tisch nicht fehlen dürfen

 23.04.2024

Korban Pessach

Schon dieses Jahr in Jerusalem?

Immer wieder versuchen Gruppen, das Pessachopfer auf dem Tempelberg darzubringen

von Rabbiner Dovid Gernetz  22.04.2024

Pessach

Kämpferinnen für die Freiheit

Welche Rolle spielten die Frauen beim Auszug aus Ägypten? Eine entscheidende, meint Raschi

von Hadassah Wendl  22.04.2024

Essen

Was gehört auf den Sederteller?

Sechs Dinge, die am Pessachabend auf dem Tisch nicht fehlen dürfen

 23.04.2024

Mezora

Die Reinheit zurückerlangen

Die Tora beschreibt, was zu tun ist, wenn Menschen oder Häuser von Aussatz befallen sind

von Rabbinerin Yael Deusel  18.04.2024

Tasria

Ein neuer Mensch

Die Tora lehrt, dass sich Krankheiten heilsam auf den Charakter auswirken können

von Yonatan Amrani  12.04.2024

Talmudisches

Der Gecko

Was die Weisen der Antike über das schuppige Kriechtier lehrten

von Chajm Guski  12.04.2024

Meinung

Pessach im Schatten des Krieges

Gedanken zum Fest der Freiheit von Rabbiner Noam Hertig

von Rabbiner Noam Hertig  11.04.2024

Pessach-Putz

Bis auf den letzten Krümel

Das Entfernen von Chametz wird für viele Familien zur Belastungsprobe. Dabei sollte man es sich nicht zu schwer machen

von Rabbiner Avraham Radbil  11.04.2024