Talmudisches

Heimlich spenden

»Zedaka rettet vor dem Tod« (Mischle 10,2 und 11,4): Nicht nur der Empfänger des Geldes profitiert von Zedaka, auch der Spender wird belohnt. Foto: Getty Images

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Heimlich spenden

Wie Mar Ukwa versuchte, einen Armen nicht zu beschämen

von Yizhak Ahren  06.12.2019 09:59 Uhr

Zedaka, die finanzielle Unterstützung von Armen, ist ein derart wichtiges Gebot, dass es im Talmud heißt: »Rabbi Jehoschua Ben Korcha sagte: Wenn jemand seine Augen von der Zedaka abwendet, dann ist es so, als hätte er Götzendienst getrieben« (Baba Batra 10a).

Nicht nur der Empfänger des Geldes profitiert von Zedaka, auch der Spender wird belohnt. Aus dem Tanach wissen wir: »Zedaka rettet vor dem Tod« (Mischle 10,2 und 11,4).

Wohltätigkeit Den merkwürdigen Zusammenhang zwischen Wohltätigkeit und Lebensrettung illustriert folgende Begebenheit: »Man er­zählt von Benjamin dem Gerechten, der die Armenkasse leitete, dass einmal in den Jahren der Hungersnot eine Frau zu ihm kam und sprach: ›Meister, gib mir Nahrung!‹ Er sagte ihr: Die Armenkasse ist leer.‹ Da sprach sie: ›Wenn du mir keine Nahrung gibst, dann stirbt eine Frau mit ihren sieben Kindern.‹ Da gab er ihr Nahrung aus seiner Tasche. Als er bald darauf erkrankte und dem Tod nahe war, sprachen die Dienstengel vor Gott: ›Herr der Welt, soll Benjamin, der Gerechte, der eine Frau mit ihren sieben Kindern am Leben erhalten hat, nach wenigen Jahren sterben?‹ Darauf zerriss man sofort seinen Gerichtsbeschluss. Es wird gelehrt: Man fügte ihm noch 22 Jahre zu seinen Lebensjahren hinzu« (Baba Batra 11a).

Äußerst wichtig ist beim Austeilen von Zedaka die Form der Geldübergabe. Stets ist die Würde des Armen zu berücksichtigen. Im Talmud lesen wir: »Einst sah Rabbi Jannai, wie jemand einem Armen öffentlich einen Sus gab. Da sprach er zu ihm: ›Lieber solltest du ihm nichts geben, als geben und ihn bei dieser Gelegenheit beschämen‹« (Chagiga 5a).

Wie kann ein Spender sicherstellen, dass der Bedürftige sich bei der Transaktion nicht schämt?

Doch wie kann ein Spender sicherstellen, dass der Bedürftige sich bei der Transaktion nicht schämt? Indem er dafür sorgt, dass der Arme nicht erfährt, von wem das Geschenk stammt (Maimonides, Hilchot Matnot Anijim 10,8).

Wie weit der babylonische Amoräer Mar Ukwa zu gehen bereit war, um eine Beschämung zu verhindern, ist im Talmud (Ketuwot 67b) überliefert: »Mar Uk­wa pflegte einem Armen, der in seiner Nachbarschaft wohnte, täglich vier Sus vor die Tür zu legen. Eines Tages wollte der arme Mann wissen, wer ihm regelmäßig Münzen schenkt. Gerade an jenem Tag hatte sich Mar Ukwa im Lehrhaus länger aufgehalten, und seine Frau holte ihn ab. Als der arme Mann an seiner Tür ein Geräusch hörte, folgte er seinen Wohltätern. Das Paar lief und versteckte sich in einem Ofen, der trotz des weggeräumten Brennmaterials noch sehr warm war.«

Ofen Der Talmud wird später klären, warum die zwei in den Ofen flohen, aber zuerst wird berichtet, was sich im heißen Raum ereignete. »Als Mar Ukwa sich die Füße verbrannte, riet ihm seine Frau: Setz deine Füße doch auf meine! Da grämte er sich (weil ein Wunder ihr geschah und nicht ihm). Seine Frau erklärte ihm den Grund für ihre Bevorzugung: Ich bin stets zu Hause und kann den Armen etwas (Gekochtes oder Gebackenes) geben, das sie sofort genießen können.«

Aus dieser Passage leitete der Prager Rabbiner Je­scha­jahu HaLevi Horowitz (1565–1630) in sei­nem klassischen Werk Schne Luchot HaBrit die geradezu feministische These ab, dass die Zedaka der Frauen Gott wohlgefälliger sei als die Zedaka der Männer – denn die Hausfrauen ersparen dem Armen eine gewisse Mühe (für Geld etwas einzukaufen).

Kehren wir zum talmudischen Text zurück, der wissen will, warum sich Mar Ukwa und seine Frau im Ofen versteckten. Des Rätsels Lösung lautet: »Lieber lasse sich ein Mensch in einen Schmelzofen werfen, als dass er das Gesicht seines Nächsten öffentlich beschämt.« Das Ehepaar wollte unbedingt verhindern, dass der Arme erfährt, wer ihm täglich vier Sus schenkt. Denn hätte der arme Mann gewusst, wer der großzügige Spender ist, dann wäre ihm jede Begegnung mit Mar Ukwa, der in seiner Nachbarschaft lebte, unangenehm gewesen.

Die in Genf geborene Schweizer Schriftstellerin und Philosophin Jeanne Hersch aufgenommen im März 1999

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