Prusbul

Halachische Tricks

Dieser Mann installiert einen Eruw (Schabbatzaun). Innerhalb dessen gilt am wöchentlichen Ruhetag das Trageverbot nicht. Foto: Flash 90

Religiösen Juden wird immer wieder vorgeworfen, das jüdische Religionsgesetz sei voll von »halachischen Tricks«. Damit ist gemeint, dass listige Wege gesucht würden, die Vorschriften der Halacha zu umgehen. Diese Wege würden den strengen Buchstaben des Gesetzes zwar nicht verletzen, der Absicht der ursprünglichen Vorschrift aber widersprechen.

Als Beispiele werden oft die Schabbat-Uhr und der Schabbat-Gürtel erwähnt. Es wird so argumentiert: Nach Ansicht des jüdischen Religionsgesetzes sei es doch verboten, am Schabbat Licht anzuzünden oder einen Schlüssel im Sack zu tragen. Wenn diese Verbote nun dadurch umgangen würden, dass das Licht von einer elektronischen Schabbat-Uhr angezündet wird oder dass man den Schlüssel als Teil eines Gürtels herumträgt, so sei das ein billiger Trick. Eine Überlistung der halachischen Vorschriften, mit der zwar die Verbote des Lichtanzündens oder des Tragens nicht übertreten werden, die aber dem Geist des Schabbats offensichtlich entgegengesetzt seien.

Gewinn Zwei Beispiele im Zusammenhang mit unserer Parascha sollen die »halachischen Tricks« als sinnvolle und gerechtfertigte Lösungen halachischer Probleme zu verstehen geben. Der Wochenabschnitt dieses Schabbats ist ganz dem Thema »Schmitta« gewidmet, den Vorschriften für das Brachjahr, das alle sieben Jahre in Israel begangen werden soll. Unsere Parascha beinhaltet das Verbot, in diesem Brachjahr den Boden in Israel landwirtschaftlich zu bearbeiten und aus der Ernte finanziellen Gewinn zu schlagen. An anderer Stelle in der Tora (5. Buch Moses 15, 1-3) findet sich zudem das Gebot, am Ende jedes siebten Jahres alle Schulden zu erlassen.

Beide Vorschriften sind an sich sehr sinnvoll. Sie wurden uns befohlen, um uns unter anderem beizubringen, auf mittellose Menschen Rücksicht zu nehmen und ihnen zu helfen. Im Brachjahr dürfen die Armen ohne Bezahlung von der Ernte aller Felder essen (2. Buch Moses 23,11), und am Ende des siebten Jahres werden ihnen alle Schulden erlassen, die sie nicht zurückzahlen konnten. Schmitta ist eine lehrreiche Lektion in Nächstenliebe.

Dennoch können diese Vorschriften auch negative Folgen haben, die die Tora sicher nicht beabsichtigt hat, sogar explizit verhindern wollte. Der Schuldenerlass beispielsweise kann – wie die Tora selbst sagt (5. Buch Moses 15,9) – dazu führen, dass in der Zeit vor Ende des Schmitta-Jahres niemand mehr bereit sein wird, den Armen Geld zu leihen, da zu befürchten ist, dass die Anleihe in der kurzen Zeit bis zum Ende des Schmitta-Jahres nicht mehr zurückbezahlt wird und dann erlassen werden muss. Damit ginge der ursprüngliche Sinn der Vorschrift der Tora ganz verloren.

Ebenso würde heute eine einjährige Unterbrechung aller landwirtschaftlichen Tätigkeit in Israel einen irreparablen volkswirtschaftlichen Schaden verursachen, der bestimmt nicht in der Absicht des ursprünglichen Schmitta-Gebots liegt.

Die von der Tora selbst genannten möglichen negativen Folgen des Schuldenerlasses haben den großen Gelehrten Hillel dazu bewogen, eine Lösung des Problems zu suchen. Sie heißt »Prusbul« (Mischna Schwi’it 10). Das Wort Prusbul kommt aus dem Griechischen. Es bedeutet, dass ein halachischer Weg gefunden wurde, der es dem Gläubiger erlaubt, auch nach dem Schmitta-Jahr sein Geld zurückzufordern und zu erhalten.

anleihen Hillel hat den Prusbul angeordnet, als er sah, dass den Armen vor dem Schmitta-Jahr keine Anleihen mehr gewährt wurden. Der Prusbul war ein Ausweg aus diesem Dilemma.

Prusbul ist kein Trick, sondern ein origineller und durchaus legitimer Weg, ein halachisches Problem zu lösen. Der Weg ist vor allem deshalb legitim und angebracht, weil er die die Gültigkeit und Verbindlichkeit des ursprünglichen Gebotes der Tora nicht infrage stellen oder gar aufheben will. Vielmehr drückt Hillel mit seinem Prusbul aus, dass er alle Schmitta-Vorschriften der Tora akzeptiert, ihre negativen Folgen aber verhindern will.

Aus ebendiesem Grund und mit ebendieser Absicht wird heute in Israel vor dem Schmitta-Jahr der Boden des Landes an Nichtjuden verkauft und werden am Schabbat der Schabbat-Gürtel und die Schabbat-Uhr verwendet. Sie führen uns vor Augen und lassen uns erleben, dass alle Gesetze der Tora unverändert gelten, ihre ungewollten Folgen aber vermieden werden wollen.

Wir zünden am Schabbat das Licht nicht an, denn die Tora verbietet es uns. Dadurch wird uns bewusst, und wir erleben direkt, dass der Schabbat ein besonderer, geheiligter Tag ist. Doch wir lassen uns von einer vor Schabbat eingeschalteten und eingestellten Uhr das Licht anzünden. Denn nur so können wir diesen besonderen Tag in angenehmer heller Atmosphäre begehen.

Der Autor lehrt an den Universitäten Luzern und Fribourg.

Die Originalfassung des von uns bearbeiteten Textes erschien in dem Band »Mismor LeDavid. Rabbinische Betrachtungen zum Wochenabschnitt« (Verlag Morascha, Basel 2007).

Inhalt
Der Wochenabschnitt Behar führt das Erlass- und das Joweljahr ein. Das Erlassjahr – es wird auch Schabbatjahr genannt – soll alle sieben Jahre sein, das Joweljahr alle 50 Jahre. Die Tora fordert, dass der Boden des Landes Israel ein Mal alle sieben Jahre landwirtschaftlich nicht genutzt werden darf, sondern brachliegen muss. Dies geschehe »dem Ewigen zu Ehren«. Im Joweljahr solle alles verkaufte Land an die ursprünglichen Besitzer zurückgegeben werden, die es erhielten, als das Land nach der Eroberung verteilt wurde (Jehoschua 13, 7-21). Außerdem müssen im Joweljahr alle hebräischen Sklaven freigelassen werden.
3. Buch Moses 25,1 – 26,2

Die Verheißung des Segens für diejenigen, die den Geboten folgen, ist das Thema des Wochenabschnitts Bechukotaj. Dem Segen steht jedoch auch ein Fluch für diejenigen gegenüber, die die Gebote nicht halten. Im letzten Teil der Parascha geht es um Gaben an das Heiligtum. Sie können mit einem Gelübde verbunden sein (»wenn der Ewige dies und jenes für mich tut, werde ich ihm das und das geben«) oder aus Dankbarkeit geleistet werden.
3. Buch Moses 26,3 – 27,34

Bayern

Merz kämpft in wiedereröffneter Synagoge mit Tränen

In München ist die Synagoge an der Reichenbachstraße feierlich wiedereröffnet worden, die einst von den Nationalsozialisten zerstört wurde. Der Bundeskanzler zeigte sich gerührt

von Cordula Dieckmann  15.09.2025 Aktualisiert

Ki Tawo

Echte Dankbarkeit

Das biblische Opfer der ersten Früchte hat auch für die Gegenwart eine Bedeutung

von David Schapiro  12.09.2025

Talmudisches

Schabbat in der Wüste

Was zu tun ist, wenn jemand nicht weiß, wann der wöchentliche Ruhetag ist

von Yizhak Ahren  12.09.2025

Feiertage

»Zedaka heißt Gerechtigkeit«

Rabbiner Raphael Evers über Spenden und warum die Abgabe des Zehnten heute noch relevant ist

von Mascha Malburg  12.09.2025

Chassidismus

Segen der Einfachheit

Im 18. Jahrhundert lebte in einem Dorf östlich der Karpaten ein Rabbiner. Ohne je ein Werk zu veröffentlichen, ebnete der Baal Schem Tow den Weg für eine neue jüdische Strömung

von Vyacheslav Dobrovych  12.09.2025

Talmudisches

Stillen

Unsere Weisen wussten bereits vor fast 2000 Jahren, was die moderne Medizin heute als optimal erkennt

von David Schapiro  05.09.2025

Interview

»Die Tora ist für alle da«

Rabbiner Ethan Tucker leitet eine Jeschiwa, die sich weder liberal noch orthodox nennen will. Kann so ein Modell auch außerhalb New Yorks funktionieren?

von Sophie Goldblum  05.09.2025

Trauer

Eine Brücke zwischen den Welten

Wenn ein Jude stirbt, gibt es viele hilfreiche Riten. Doch auch für Nichtjuden zeigt die Halacha Wege auf

von Rabbiner Avraham Radbil  05.09.2025

Ki Teze

In Seinem Ebenbild

Was der Tanach über die gesellschaftliche Stellung von Frauen sagt

von Rabbinerin Yael Deusel  04.09.2025