Schemot

Gut vorbereitet

Die Tochter des Pharaos findet Mosche im Körbchen (Szene aus dem Zeichentrickfilm »Der Prinz von Ägypten«, 1998). Foto: picture-alliance / dpa

Der Wochenabschnitt Schemot leitet das gleichnamige 2. Buch Mose ein. Die verschiedenen Episoden des Wochenabschnitts lehren uns wichtige Lektionen. Am Anfang erfahren wir, dass das Volk Israel von dem ägyptischen Machthaber, dem Pharao, versklavt wird. In den Jahren der Sklaverei erlässt der Pharao einen Befehl zur Tötung von Neugeborenen: »Und der Pharao befahl: (…) jeder Junge, der euch geboren wird, soll in den Nil geworfen werden« (2. Buch Mose 1,22).

Freiheit Der Kommentator Raschi (1040–1105) erklärt, dass der Pharao dies aufgrund einer Prophezeiung veranlasste. Die Wahrsager des Pharaos berichteten von der Geburt eines Kindes, das eines Tages die Israeliten in die Freiheit führen würde. Das ägyptische Oberhaupt gab dann, aus Angst um den Machterhalt, seinen Befehl zur Tötung der Neugeborenen.

Dies führte dazu, dass Mosches Mutter gezwungen war, ihren Sohn in einen Korb zu legen und in den Nil hinabzulassen – ein letzter Versuch, das Leben des Säuglings zu retten.

Paradoxerweise wird der kleine Mosche von der Tochter des Pharaos gefunden. Er wächst im Palast des Pharaos auf. Viele Jahre später wird Mosche von dort fliehen. Nach vielen weiteren Jahren wird er in den Palast zurückkehren, um die Befreiung der Sklaven zu fordern.

Psychologie Einige Kommentatoren erklären, dass das Leben im Palast Mosche das Selbstbewusstsein gab, dem Pharao entgegenzutreten. Mosche kannte die Psychologie, die Taktiken und die Gedankengänge der Pharaonen und betrat den Palast mit dem daraus resultierenden Selbstverständnis.

Der Pharao hatte also all die Jahre über seinen größten Feind finanziert und erzogen. So wurde er selbst zum Wegbereiter seines Untergangs.

Wir können aus dieser Geschichte lernen, dass der Wille G’ttes immer siegt. König Schlomo sagte es mit den Worten: »In eines Mannes Herzen sind viele Pläne; aber zustande kommt der Ratschluss G’ttes« (Mischlei 19,21).

Wir können auch lernen, dass G’tt die Widersacher Seines Willens instrumentalisiert, um Seinen Willen zu manifestieren. König Schlomo sagte dies mit den Worten: »Wer eine Grube gräbt, der wird hineinfallen; und wer einen Stein wälzt, auf den wird er zurückkommen« (Mischlei 26,27). Wir können auch lernen, dass das aus Angst und Machtsucht motivierte Handeln des Pharaos zu seiner eigenen Vernichtung beigetragen hat. Paradoxerweise bringt das aus Angst motivierte Handeln genau die Dinge in unser Leben, vor denen wir uns am meisten fürchten. Wir erweisen uns also selbst einen Dienst, wenn wir die Furcht mit dem Mut bezwingen.

Menschen König David beschrieb diesen Geisteszustand mit den Worten: »G’tt ist mit mir, darum fürchte ich mich nicht; was können mir Menschen tun?« (Tehilim 118,6).

Eine weitere Lektion ist die Kraft des andauernden Gebets. Die Tora bestätigt, dass »die Zeit, welche die Israeliten in Ägypten gewohnt haben, 430 Jahre beträgt« (2. Buch Mose 12,40).

Auch wenn die Dauer der Sklaverei kürzer war, beginnt die Tora ihre Rechnung ab dem Moment, in dem Awraham verkündet wurde, dass seine Nachkommen im Exil leben werden. G’tt sagte damals zu ihm: »Das sollst du wissen, dass deine Nachkommen Fremdlinge sein werden in einem Land, das nicht ihres ist« (1. Buch Mose 15,13).

G’tt verspricht Awraham allerdings auch, dass seine Nachkommen nach dem Ende des Exils ins Land Israel einziehen werden.

Gebet Über all diese Jahrhunderte beteten die Vorväter der Israeliten und die Israeliten selbst um die Erlösung, um die Möglichkeit, in Freiheit in das Land Israel zurückzukehren. In unserem Wochenabschnitt lesen wir: »Und G’tt erhörte ihr Wehklagen und gedachte Seines Bundes mit Awraham, Jizchak und Jakow« (2. Buch Mose 2,24).

Die Weisen lehren, dass die Gebete den Tropfen gleichen, die in einem Fass gesammelt werden. Jedes zusätzliche Gebet ist ein zusätzlicher Tropfen, der das Fass irgendwann zum Überlaufen bringt. Jedes Gebet wird eines Tages erhört werden.

Über vier Jahrhunderte beteten Awraham, Jizchak und Jakow und ihre Nachkommen für die Erlösung aus Ägypten. Es gab Zeiten, in denen es nicht danach aussah, als würden die Israeliten Ägypten jemals wieder verlassen können. Doch das Wehklagen eines verzweifelten Sklaven brachte das Fass zum Überlaufen.

Einige Kommentatoren weisen darauf hin, dass die Zahl 430 eine Botschaft vermittelt. 430 ist der Zahlenwert des Wortes »Nefesch« – das auf Hebräisch »Seele« bedeutet. All die Jahre waren nötig, um die Seele des Volkes zu bilden, das später die Tora empfangen sollte.

Berufung Eine weitere Lehre aus dem Wochenabschnitt findet sich in Mosches Berufung zum Propheten wieder. G’tt erscheint Mosche im brennenden Dornbusch und befiehlt ihm, nach Ägypten zu gehen, um mit dem Pharao zu sprechen.

Vor dieser Episode arbeitete Mosche für seinen Schwiegervater. Er »hütete die Schafe Jitros, seines Schwiegervaters, des Priesters in Midjan, und trieb die Schafe über die Wüste hinaus und kam an den Berg G’ttes, den Horeb« (2. Buch Mose 3,1).

Der Kommentator Raschi sagt, dass Mo­sche die Schafe absichtlich so führte, dass sie nicht von den Feldern anderer fraßen – so schützte er sich davor zu stehlen. Und direkt im nächsten Vers lesen wir: »Und der Engel G’ttes erschien ihm in einer feurigen Flamme aus dem Dornbusch.«

Es ist kein Zufall, dass diese beiden Episoden zusammenhängen. Der Talmud lehrt, dass »der Verdienst in die Hände der Verdienstvollen und die Schuld in die Hände der Schuldigen gelegt wird«.

Damit ist gemeint, dass Menschen, die sich durch verdienstvolles Verhalten auszeichnen, in Situationen gelangen, in denen sie zu noch erhabeneren Handlungen kommen. Und Menschen, die sich durch Verbrechen schuldig machen, gelangen in Situationen, in denen sie sich noch schuldiger machen.

Mosche hat durch das Bewahren fremden Besitzes Verdienste erworben. Sein Tun führte dazu, dass G’tt ihn für die noch verdienstvollere Aufgabe, die Befreiung der Israeliten aus der Sklaverei, auswählte. Wir lernen daraus zu verinnerlichen, dass auch unsere kleinen Handlungen große Wellen schlagen können.

Der Autor studiert Sozialarbeit in Berlin.


inhalt
Der Wochenabschnitt Schemot erzählt von einem neuen Pharao, der die Kinder Israels versklavt. Er ordnet an, alle männlichen Erstgeborenen der Hebräer zu töten. Eine Frau aus dem Stamm Levi will ihren Sohn retten und setzt ihn in einem Körbchen auf dem Nil aus. Pharaos Tochter findet das Kind, adoptiert es und gibt ihm den Namen Mosche. Der Junge
wächst im Haus des Pharaos auf. Erwachsen geworden, erschlägt Mosche im Eifer einen Ägypter und muss fliehen. Er kommt nach Midjan und heiratet dort die Tochter des Priesters Jitro. Der Ewige spricht zu Mosche aus einem brennenden Dornbusch und beauftragt ihn, zum Pharao zu gehen und die Kinder Israels aus Ägypten hinauszuführen.
2. Buch Mose 1,1 – 6,1

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