»Wenn ihr nach Meinen Gesetzen wandelt und Meine Gebote beobachtet und sie tut …« (3. Buch Mose 26,3). Mit diesen Worten leitet der Abschnitt Bechukotaj seine Ausführungen zur grundlegenden Bedeutung des göttlichen Gesetzes ein.
Allgemein gesprochen versteht man unter einem Gesetz eine Regel, die entsprechende Resultate schafft, je nachdem, ob man sie befolgt oder nicht. Gesetze, die das Leben ermöglichen und regulieren, finden sich in der Natur und in der Seele des Menschen. Sie stabilisieren das Leben der Geschöpfe Gottes und sorgen für lebensfördernde Interaktionen zwischen ihnen und der ganzen Schöpfung.
So beschreiben es Verse aus Bechukotaj: Richtet sich der Mensch nach den Satzungen der Tora, »so werde Ich euch Regen geben zur rechten Zeit, dass die Erde ihren Ertrag gebe und der Baum des Feldes seine Frucht gebe. Und es wird reichen bei euch das Dreschen an die Lese, und die Lese wird reichen an die Aussaat, und ihr werdet euer Brot essen zur Sättigung und werdet ruhig wohnen in eurem Lande« (3. Buch Mose 26, 4–5). Und weiter heißt es: »Ich will meine Wohnung unter euch haben und eurer nicht überdrüssig werden. Und Ich werde wandeln unter euch und werde euch ein Gott sein, und ihr sollt Mir ein Volk sein« (3. Buch Mose 26, 11–12).
Integration in den Strom der Welt
Der Maharal, Rabbi Jehuda Löw von Prag (1525–1609), erklärt: Wenn der Mensch nach Gottes Gesetz lebt, fügt er sich in die Ordnung der Realität ein. Die Welt bewegt sich in einer bestimmten Richtung. Wird diese vom Menschen wahr- und aufgenommen, integriert er sich in ihre Strömung, so wird das Leben erblühen und Stabilität erfahren. Das gilt besonders für die Kinder Israels, wenn sie der Tora Gottes Beachtung schenken. Verhalten sie sich jedoch ungehorsam, spart unser Abschnitt nicht mit ausführlichen Beschreibungen dessen, was ihnen an Strafen, Plagen und Gefahren droht. Am Ende ihrer Abwendung droht das Exil, steht die Existenz des Volkes auf dem Spiel und droht der Verlust der Gottesebenbildlichkeit des Menschen.
Bei Rabbiner Avraham Yitzchak Ha-Cohen Kook (1865–1935) lesen wir Ausführungen über die Seele, die Götzendienst übt. Seiner Meinung nach hasst eine dem Götzendienst ergebene Seele die Gesetze der Tora. Der natürliche, auf sich selbst bauende Mensch tut nur, was ihm seine Seele spontan eingibt. Mit diesem Hang zur Abwendung von Gottes Gesetz hat jeder Mensch zu kämpfen. Dieser Art des bösen Triebs folgt der Mensch mit ausgeprägter Lust und dem Argument, dass er tief in seinem Wesen verwurzelt sei.
Zudem möchte der Mensch zum Unendlichen vordringen. Seine Seele ist ein Teil des Ewigen. Als solche lässt sie den Menschen nach Grenzenlosigkeit streben, von allen Gesetzen befreit, die sie einengen könnten. Das Kind und der Jugendliche versuchen, ihren Willen unmittelbar auszuleben. Sie gehen davon aus, dass ihnen keine Grenzen gesetzt sind. Doch je älter der Mensch wird, desto mehr lernt er, dass spontane Aktionen und Reaktionen nicht immer zum Besten sind. Er macht die Erfahrung, dass die Beachtung von Regeln und Gesetzen durchaus zu einer lebensfähigen, funktionierenden Gesellschaft beiträgt.
Regeln und Gesetze schaffen funktionierende Gesellschaft
Wobei Rabbiner Kook festhält: Der Widerstand, sich nach den Forderungen von Gesetzen zu richten, formiert sich erfahrungsgemäß stark. Zu ihrer Erfüllung bringt der Mensch im Allgemeinen wenig Kraft auf.
Der Abschnitt Bechukotaj lehrt uns in der Tat ein anderes Verständnis der Gesetze. Sie sind es, wenn sie denn befolgt werden, die die Welt zum Blühen und Gedeihen bringen. Die Welt existiert auf dem Fundament dieser Gesetze – auch wenn wir auf den ersten Blick meinen, dass die Natur keine Ordnung habe. Beschäftigen wir uns aber eingehender mit ihr, erkennen wir ungeahnte Abhängigkeiten und Zusammenhänge, die uns von Naturgesetzen sprechen lassen.
Sie garantieren eine aufeinander abgestimmte und funktionierende Ordnung der Schöpfung. Wäre die Welt ausschließlich von Götzendienst erfüllt, als ob es kein Gesetz und keinen Richter gäbe, würde sie zerstört werden. Die Natur existiert in einer Balance: Der Regen feuchtet die Erde, so ernährt sie Mensch und Tier. Und der Mensch entwickelt sich und die Welt in stetigem Fortschritt weiter.
Toragehorsam und ausbalancierte Welt- und Naturordnung
Auf diesen Zusammenhang von Toragehorsam und ausbalancierter Welt- und Naturordnung weist uns der Wochenabschnitt tiefsinnig hin: Wenn ihr in meinen Satzungen wandelt, »werde Ich Frieden geben in das Land, dass ihr schlaft und keiner euch aufschreckt, und werde wegschaffen wildes Getier aus dem Lande, und das Schwert soll nicht durch euer Land gehen« (3. Buch Mose 26,6).
Es ist ein Leichtes, immer wieder festzustellen: Die Welt wird nicht so geführt. Es gibt Länder, die schwere ethische Mängel aufweisen und sich trotzdem als erfolgreiche Nationen präsentieren. Oft leidet der Gerechte, und dem Frevler geht es gut. Das Gute folgt nicht immer aus der Gerechtigkeit und das Böse nicht immer aus Frevel.
Doch auf lange Sicht gesehen werden das Gute und der Gehorsam gegenüber den Gesetzen die Oberhand gewinnen. Wenn ein Volk sich auf Dauer nicht ethisch verhält, wird es früher oder später von der Bühne der Geschichte abtreten. Der gesellschaftliche Zusammenhalt wird bröckeln und sich am Ende auflösen. Diese Entwicklung betrifft alle Völker – und vor allem das erwählte Volk Israel, dessen göttliche Vorschriften und Gesetze mit dem Ganzen des Kosmos in Verbindung stehen.
Prinzipien der Metahistorie und Kosmologie
Der Abschnitt Bechukotaj belehrt uns über die Prinzipien der Metahistorie und Kosmologie, wie sie mit unserer unmittelbaren Realität zusammenhängen. Es besteht eine Wechselwirkung zwischen Israels Gehorsam gegenüber Gottes Tora und der Stabilität des Kosmos. Die Tora ruft dazu auf, Gott mit Liebe zu dienen – und das geschieht durch unser Verlangen, Seine Gesetze zu erfüllen. Die Gesetze der Natur erschaffen die Realität, und die Gesetze Gottes beleben und formen die Existenz des Menschen, der in dieser Realität lebt und durch sein ethisches Verhalten auf sie einwirkt.
Der Autor ist Rabbiner der Israelitischen Kultusgemeinde Bamberg und Mitglied der Allgemeinen Rabbinerkonferenz (ARK).
Inhalt
Der Wochenabschnitt Behar führt das Erlass- und das Joweljahr ein. Das Erlassjahr – es wird auch Schabbatjahr genannt – soll alle sieben Jahre sein, das Joweljahr alle 50 Jahre. Die Tora fordert, dass der Boden des Landes Israel einmal alle sieben Jahre landwirtschaftlich nicht genutzt werden darf, sondern brachliegen muss. Dies geschehe »dem Ewigen zu Ehren«. Im Joweljahr soll alles verkaufte Land an die ursprünglichen Besitzer zurückgegeben werden, die es erhielten, als das Land nach der Eroberung verteilt wurde (Jehoschua 13, 7–21). Außerdem müssen im Joweljahr alle hebräischen Sklaven freigelassen werden.
3. Buch Mose 25,1 – 26,2
Die Verheißung des Segens für diejenigen, die den Geboten folgen, ist das Thema des Wochenabschnitts Bechukotaj. Dem Segen steht jedoch auch ein Fluch für diejenigen gegenüber, die die Gebote nicht halten. Im letzten Teil der Parascha geht es um Gaben an das Heiligtum. Sie können mit einem Gelübde verbunden sein (»Wenn der Ewige dies und jenes für mich tut, werde ich Ihm das und das geben«) oder aus Dankbarkeit geleistet werden.
3. Buch Mose 26,3 – 27,34