Wegweiser

Fragen kostet nichts

Empfehlungen von zwei Seiten: Donald Duck in dem Comic »Eine Ente wie du und ich« Foto: cinetext

Der Wochenabschnitt Acharej Mot beginnt mit den Worten: »Und G’tt sprach zu Mosche nach dem Tod der zwei Söhne Aharons«. Es handelt sich um Nadav und Avihu, von denen wir im Wochenabschnitt Schmini gelesen haben, wie sie ohne Erlaubnis in das Heiligtum eintraten und auf unerlaubte Weise dem Allmächtigen Opfer brachten. Dafür wurden sie mit dem Tod bestraft.

Es gibt viele verschiedene Ansätze, ihre Bestrafung zu erklären. Eigentlich sollte es eine lobenswerte Tat sein: Zwei junge Männer entscheiden von sich aus, dem Allmächtigen eine Gabe zu bringen – was kann daran schlecht sein? Wir kennen in der Regel nur die umgekehrte Seite, dass man die Jugend in die Synagoge zwingen oder locken muss, und am liebsten sollte man sie noch dafür belohnen. Doch Nadav und Avihu werden für ihre Eigeninitiative bestraft.

alkohol Manche Kommentatoren sagen, dass Nadav und Avihu, als sie das Opfer brachten, alkoholisiert gewesen seien. Das lernt man daraus, dass unmittelbar, nachdem der Text die Bestrafung schildert, G’tt zu Aharon sagt, dass keiner seiner Nachkommen in betrunkenem Zustand das Heiligtum betreten darf, sonst werden sie mit dem Tod bestraft.

Der Midrasch Torat Kohanim schreibt, dass es zwei Fehler waren, die Aharons Söhne begangen haben. Der erste Fehler war, dass sie nicht vorher Mosche gefragt haben, ob sie das Richtige tun. Und der zweite war, dass sie auch untereinander diese Tat nicht besprochen haben. Sie haben unüberlegt und nur aus dem Impuls heraus gehandelt. Dafür wurden sie schwer bestraft.

Wir können daraus eine sehr wichtige Lehre für unser Leben ziehen: nämlich, dass wir uns nie zu sicher sein dürfen und uns vor jeder wichtigen Entscheidung mit anderen darüber beraten sollen. In erster Linie sollte es jemand sein, der weiser ist als man selbst oder sich mit dem Thema, um das es geht, besser auskennt. So ein Mensch hat einen weiteren Blickwinkel und kann uns sehr oft auf Aspekte hinweisen, die wir sonst nicht bemerkt hätten.

Wenn ein solcher Mensch nicht zur Verfügung steht, sollte man sich zumindest mit einem Freund beraten. Vielleicht wird der aus seinem Blickwinkel die Sache ganz anders sehen als wir und uns womöglich vor einem großen Fehler bewahren.

machtsucht All dies haben Aharons Söhne nicht getan. Ihre gehobene Stellung war ihnen zu Kopf gestiegen. Und anstatt sich mit Mosche zu beraten, haben sie sich selbst zu großen Rabbinern ernannt und eigenmächtig halachische Entscheidungen getroffen, denen sie nicht gewachsen waren. Mit etwas Bescheidenheit hätten sie sich wenigstens untereinander beraten und wären möglicherweise zu dem Entschluss gekommen, dass ihre geplante Tat falsch ist. Doch die eigene Arroganz und Machtsucht hat sie derart verblendet, dass jeder dachte, er sei besser als der andere, und so war es jedem peinlich, den anderen um Rat zu fragen. Damit haben sie sich letztendlich selbst umgebracht.

Dieselbe Idee begegnet uns auch in Pirkej Avot, den Sprüchen der Väter. Dort steht im ersten Kapitel in der sechsten Mischna: »Mach dir einen Rabbiner (Wegweiser), erwirb dir einen Freund und beurteile jeden Menschen zum Guten.«

Die Kommentatoren fragen, warum es »mach dir einen Rav« heißt und nicht »finde dir einen Rav«. Maimonides, der Rambam (1138–1204), schreibt, die Mischna wolle uns damit Folgendes sagen: Auch wenn du denkst, dass du selbst in der Lage bist, solche Entscheidungen zu treffen, oder sogar, wenn dir dieser Mensch in manchem intellektuell unterlegen ist, musst du ihn in der Angelegenheit, in der er als Experte gilt, trotzdem zu deinem Wegweiser machen.

Die Kommentatoren fragen zudem, warum es heißt: »Erwirb dir einen Freund«. Der Rambam hat auch darauf eine Antwort. Er sagt: Genauso, wie wir uns nicht zu schade sind, große Anstrengungen zu unternehmen, um einen Gegenstand, der uns sehr gefällt, zu erwerben, müssen wir uns anstrengen, einen guten Freund zu finden.

verzicht Wenn wir etwas Schönes und Teures erwerben möchten, dann sparen wir, machen Überstunden, verzichten auf anderes und springen manchmal auch über den eigenen Schatten. Das sollten wir ebenfalls tun, wenn es um einen Freund geht. Und auch, wenn es uns schwerfällt oder unangenehm ist, sollten wir ihn trotzdem um Rat bitten.

Oft vergessen wir, uns mit anderen zu beraten, obwohl wir manchen Entscheidungen allein gar nicht gewachsen sind. Wie im Fall von Nadav und Avihu sind wir selbst dann diejenigen, die unter unseren Fehlentscheidungen leiden. Aber was noch schlimmer ist: Oft müssen auch andere wegen unseres Eigensinns, unserer Arroganz und Blindheit leiden.

Mögen wir aus der Geschichte von Nadav und Avihu eine Lehre ziehen, um künftig die richtigen Entscheidungen zu treffen.

Der Autor ist Rabbiner der Israelitischen Gemeinde Freiburg.

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