Schemini Azeret

»Fest des Verharrens«

Die Tora steht im Mittelpunkt. Foto: Getty

Schemini Azeret

»Fest des Verharrens«

Der Feiertag hat kein eigenes Symbol, in der jüdischen Tradition ist er dennoch sehr wichtig

von Chajm Guski  27.09.2021 09:10 Uhr

Äpfel in Honig, runde Challot, die Töne des Schofar: Diese Symbole stehen für Rosch Haschana. Sukka, Lulav und Etrog sind Symbole für Sukkot, Käsekuchen und Milchspeisen für Schawuot. Jom Kippur hat das Fasten, die langen Gebete und die besondere Stimmung des Tages. Was ist aber das Symbol von Schemini Azeret?

Diese Frage ist aus zwei Gründen nicht leicht zu beantworten. Zum einen, weil Schemini Azeret zuweilen als ein Anhängsel von Sukkot betrachtet wird und in Israel sogar mit Simchat Tora zusammenfällt. Zum anderen, weil Schemini Azeret kein eigenes Symbol zu haben scheint.

morgengebet Laut dem Talmud (Sukka 47a) ist Schemini Azeret tatsächlich ein eigener Feiertag und nicht die Fortführung von Sukkot. Weil Sukkot noch so »überpräsent« ist und viele noch in der Sukka sitzen – allerdings ohne eine eigene Bracha (Segensspruch) dafür –, wird schnell ein Detail übersehen: An Schemini Azeret spricht man das Gebet für Regen »Tefilat Geschem« während des Morgengebets.

Mit dem Sprechen dieses Gebets ändert sich für ein halbes Jahr der Text des Schmone-Essre-Gebets, der Amida, mit einer Einschaltung: »der den Wind wehen und den Regen fallen lässt«. Es ist kein Überbleibsel aus einer früheren Gesellschaft, die auf die Landwirtschaft fokussiert war, sondern eine Fortführung dessen, was an Rosch Haschana begonnen wurde.

Im Gebet »Unetane Tokef« wird eindrücklich geschildert, dass wir nicht wissen, wer das kommende Jahr noch vollständig erleben wird. In der Mischna (Rosch Haschana 1,2) wird gesagt, dass Sukkot das Fest ist, an dem alle »nach dem Wasser« gerichtet werden. Dabei geht es um die Wasserzuteilung für die Welt und möglicherweise auch darum, welches Geschöpf im kommenden Jahr kein Wasser benötigen wird.

ressource Oder, um noch einen zeitgemäßen und dringlichen Aspekt hinzuzufügen: Wie steht uns die Ressource Wasser zur Verfügung? Der Abschluss des Gebets um Regen ist eindrücklich: »Lass den Wind wehen und den Regen fallen. Für Segen und nicht zum Fluch. Zum Leben und nicht zum Tod. Zum Überfluss und nicht zur Knappheit.« Gerade im vergangenen (jüdischen) Jahr wurde allen bewusst, dass die Ressource, die Leben symbolisiert, auch Unheil bringen kann.

Schemini Azeret wird zuweilen als ein Anhängsel von Sukkot betrachtet und fällt in Israel sogar mit Simchat Tora zusammen.

Dieser etwas nachdenkliche Aspekt passt zu dem, was Samson Raphael Hirsch (1808–1888) zu Schemini Azeret anmerkt und es als »Fest des Verharrens« bezeichnet, weil die Übersetzung von »Azeret« unklar ist. Er interpretiert es als Fest, das den Festzyklus beendet, und sieht es als Übergang von der »lauten öffentlichen Freude« von Sukkot zur »stillen Sammlung vor G’tt«, bevor man in die »raue, noch unvollkommene Wirklichkeit der Gegenwart« zurückkehrt.

Simchat Tora mag der Grund sein, warum es sonst kein »greifbares« Symbol für Schemini Azeret gibt, denn die Fröhlichkeit der Umzüge mit der Tora überstrahlen den nachdenklichen Aspekt. Simchat Tora gesellte sich erst später zu Schemini Azeret. Zu Beginn gab es in der jüdischen Welt zwei Arten der Toralesung, eine nach einem dreijährigen Zyklus und eine nach einem einjährigen.

brauch Dies war der »babylonische« Brauch, und dieser setzte sich letztendlich auch durch. Ihm verdanken wir, dass die Tora heute nicht in drei Jahren vollständig gelesen wird, sondern innerhalb eines Jahres. Die Lesung des letzten Abschnitts der Tora wurde für den zweiten Tag von Schemini Azeret bestimmt. Doch der Abschied wurde uns erleichtert, indem man direkt wieder mit dem Anfang der Tora begann.

Sieben »Hakafot«-Umzüge mit den Torarollen sind ein Brauch, der sich zu diesem Fest entwickelt hat. Damit beenden sieben Hakafot eine Reihe von sieben »heiligen Festversammlungen« – »Mikrej kodesch« aus der Tora (4. Buch Mose 28): der erste Tag Pessach, der siebente Tag Pessach, Chag HaBikkurim (das Fest der Erstlinge, Schawuot), der erste Tag des siebenten Monats (Rosch Haschana), Jom Kippur, der erste Tag von Sukkot und Schemini Azeret. Erst jetzt haben wir den alten Jahreszyklus und den alten Torazyklus hinter uns gelassen. Das ist sicher kein Zufall und ein Symbol für Abschied und Neubeginn.

Essay

Chanukka und wenig Hoffnung

Das hoffnungsvolle Leuchten der Menorah steht vor dem düsteren Hintergrund der Judenverfolgung - auch heute wieder

von Leeor Engländer  21.12.2025

Meinung

Es gibt kein Weihnukka!

Ja, Juden und Christen wollen und sollen einander nahe sein. Aber bitte ohne sich gegenseitig zu vereinnahmen

von Avitall Gerstetter  20.12.2025

Wajigasch

Mut und Hoffnung

Jakow gab seinen Nachkommen die Kraft, mit den Herausforderungen des Exils umzugehen

von Rabbiner Jaron Engelmayer  19.12.2025

Mikez

Füreinander einstehen

Zwietracht bringt nichts Gutes. Doch vereint ist Israel unbesiegbar

von David Gavriel Ilishaev  19.12.2025

Meinung

Heute Juden, morgen Christen

Judenhass führt konsequent zum Mord. Dafür darf es kein Alibi geben

von Rafael Seligmann  19.12.2025

Chanukka

»Wegen einer Frau geschah das Wunder«

Zu den Helden der Makkabäer gehörten nicht nur tapfere Männer, sondern auch mutige Frauen

von Rabbinerin Ulrike Offenberg  18.12.2025

Chanukka

Berliner Chanukka-Licht entzündet: Selbstkritik und ein Versprechen

Überschattet vom Terroranschlag in Sydney wurde in Berlin am Mittwoch mit viel Politprominenz das vierte Licht an Europas größtem Chanukka-Leuchter vor dem Brandenburger Tor entzündet

von Markus Geiler  18.12.2025

Chanukka

Wofür wir trotz allem dankbar sein können

Eine Passage im Chanukka-Gebet wirkt angesichts des Anschlags von Sydney wieder ganz aktuell. Hier erklärt ein Rabbiner, was dahinter steckt

von Rabbiner Akiva Adlerstein  17.12.2025

Attentat in Sydney

»Was würden die Opfer nun von uns erwarten?«

Rabbiner Yehuda Teichtal hat bei dem Attentat in Sydney einen Freund verloren und wenige Stunden später in Berlin die Chanukkia entzündet. Ein Gespräch über tiefen Schmerz und den Sieg des Lichts über die Dunkelheit

von Mascha Malburg  16.12.2025