Porträt

Experte für Elektrizität am Schabbat

Rabbiner Schlomo Auerbach interessierte sich schon als junger Mann für halachische Aspekte der Elektrizitätsnutzung am Schabbat. Foto: Thinkstock

Eine der maßgebendsten halachischen Autoritäten und prägendsten Gestalten des orthodoxen Judentums im 20. Jahrhundert war zweifellos Rabbiner Schlomo Salman Auerbach (auch Ojerbach geschrieben). Rabbiner Auerbach kam am 20. Juli 1910 in Jerusalem zur Welt, sein Vater Chaim Jehuda-Leib Auerbach leitete die erste kabbalistische Jeschiwa in Jerusalem, Schaarej Haschamaim (Tore des Himmels). Schon in jungen Jahren machte sich das Talent des Sohnes bemerkbar, die Problematik des Talmuds aufs Genaueste zu untersuchen und sehr klare Schlussfolgerungen daraus zu ziehen.

Die Arbeit an seinem ersten Buch, Meorej Esch, begann Rav Schlomo Salman bereits als Student der Jeschiwa Etz Chaim. Darin werden halachische Aspekte der Elektrizitätsnutzung am Schabbat erörtert.

Hörgerät Der Grund, warum sich der junge Mann dafür interessierte: Von seinem ersparten Geld wollte er seiner schwerhörigen Mutter ein Geschenk kaufen und erwarb für sie ein Hörgerät, das damals sehr selten aufzutreiben war. Doch kurz vor dem darauffolgenden Schabbat stellte sich die Frage, ob dieses elektrische Gerät am jüdischen Ruhetag überhaupt betrieben werden darf. So machte sich der junge Schlomo Salman selbstständig daran, dieses Problem zu durchdringen. Aus den Ergebnissen seiner Forschung entstand sein erstes Buch.

In kurzer Zeit verbreitete sich das neu erschienene Buch in der jüdischen Welt. Als das Werk in die Hände des Oberrabbiners von Wilna, der damaligen Hochburg der jüdischen Gelehrsamkeit, gelangte, verkündete Rabbiner Chaim Oser Grudzhinski: »Neues Licht erscheint über Zion.« Damit wollte er ausdrücken, dass das Heilige Land eine neue halachische Autorität gewonnen habe.

Mit 34 Jahren brachte Auerbach sein zweites Buch, Maadanej Eretz, heraus. Dort wurden praktische Gesetze der Einhaltung des Schmittajahres (Schabbatjahres) im Land Israel besprochen. 1947 bereitete er den zweiten Teil dieses Buches vor, in dem es um die Abgaben an die Kohanim und Leviim (Truma und Zehntel) ging. Wegen der Folgen des Unabhängigkeitskrieges erschien das Buch aber erst 1952.

Bemerkenswert an Rav Auerbach war, dass er sich stets aus allen politischen und ideologischen Auseinandersetzungen heraushalten wollte. Er stand Rabbiner Avraham Jizchak Kook, der den religiösen Zionismus anführte, genauso nahe wie Rabbiner Selig Reuven Bengis, Anführer der antizionistischen »Ejda charedit«. In jedem der beiden Rabbiner sah er in erster Linie einen überragenden Toragelehrten und Denker.

Jeschiwa 1948 übernahm Rabbiner Auerbach die Leitung der Jeschiwa Kol Tora, die zehn Jahre zuvor in erster Linie für Einwanderer aus Deutschland und anderen westeuropäischen Ländern gegründet worden war. Das Besondere an dieser Jeschiwa bestand darin, dass der Unterricht nicht auf Jiddisch, wie es zur damaligen Zeit üblich war, sondern auf Hebräisch abgehalten wurde.

Das ermöglichte auch die Aufnahme von Jungen aus sefardischen Gemeinschaften, die kein Jiddisch sprachen. Außerdem mussten die Jeschiwastudenten nicht nur schwarze, sondern durften auch gehäkelte Kippot tragen. Auerbachs Unterricht war klar, verständlich und für viele zugänglich, denn er versuchte stets, selbst die kompliziertesten Fälle aus dem Talmud auf das moderne Leben zu beziehen und eine praktische Halacha daraus abzuleiten.

Rabbinatsgericht Anfang der 50er-Jahre gab es ein prestigeträchtiges Angebot an Rabbiner Auerbach: Der erste Oberrabbiner des Staates Israel, Rabbiner Herzog, bot ihm die Stelle des Dajan (Richter) im neu gegründeten Bet Din Hagadol, dem obersten Rabbinatsgericht in Israel, an.

Als die Jeschiwastudenten von diesem Angebot erfuhren, riefen sie einen Fastentag aus und lasen Psalmen, damit Rav Auerbach in der Jeschiwa bleiben möge. Die Jeschiwaleitung brachte den Fall vor ein Bet Din von Chason Isch (Rabbiner Avraham Jeschajahu Karelitz).

Als Rav Karelitz Rav Auerbach fragte, welche Stelle er bevorzugen würde, antwortete er: »Was soll ich denn tun, wenn ich mich lieber mit der Halacha beschäftige, als in der Jeschiwa zu unterrichten?« Daraufhin sagte Chason Isch: »Wenn du auf meinen Rat hörst und in der Jeschiwa bleibst, wirst du sowohl ein großer Rosch Jeschiwa als auch eine große halachische Autorität. Aber wenn du die Jeschiwa verlässt und die neue Stelle annimmst, dann wirst du ›nur‹ zur einer halachischen Autorität.« Rav Auerbach hörte auf diesen Rat und blieb in der Jeschiwa.

1957 zog diese Jeschiwa in ein neues, extra für sie entworfenes Gebäude im Stadtteil Bajt Wagan in Jerusalem. Die Anzahl der Studenten wuchs enorm, und die Jeschiwa entwickelte sich zu einer der populärsten und wichtigsten jüdischen Lehrstätten in der ganzen Welt. Rav Schlomo Salman hat während seiner Amtszeit Tausende von Schülern ausgebildet. Viele dieser Schüler wurden später selbst zu führenden Persönlichkeiten.

Schabbatgesetze 1965 kam das berühmte Buch Schmirat Schabbat Kehilchata heraus, das von Rabbiner Neuwirt, dem Schüler von Rav Auerbach, zusammengefasst wurde und auf den Lehren Auerbachs basiert. In diesem Buch wurden die modernsten praktischen Fragestellungen bezüglich der Schabbatgesetze besprochen. Nach dem Erscheinen und der Verbreitung des Buches wurde Rabbiner Auerbach mit unterschiedlichsten halachischen Fragen konfrontiert. Viele davon hatten mit neu entwickelten Technologien und medizinischen Fragen zu tun.

Um die Fragen kompetent beantworten zu können, war der Rabbiner gezwungen, nebenbei auch einige Wissenschaften zu studieren. Außerdem zog er sich Berater hinzu. Alle waren überrascht, wie schnell der Rabbiner die Grundprinzipien erfassen und immer die richtigen Fragen stellen konnte. Seine Gelehrsamkeit, Kompetenz, Geduld und unendliche Nächstenliebe brachten jeden Tag mehr und mehr Fragende zu ihm. Jeder fand ein offenes Ohr und bekam so viel Zeit vom Rabbiner, wie er brauchte.

Responsen Zu seinen berühmtesten Responsen gehören die Antwort auf die Fragen, wann der Zeitpunkt des Todes eintritt, zur Verlängerung des Lebens von todkranken Patienten, zu Schabbataufzügen – die Auerbach erlaubte – und zur Nutzung der Energie am Schabbat, die aus einem Kraftwerk kommt, in dem Juden arbeiten.

Rav Schlomo Salman Auerbach starb am 19. Februar 1995 in Jerusalem. An seiner Beerdigung nahmen mehr als 200.000 Menschen teil. Sein Sohn, Schmuel Auerbach (geboren 1931), folgte dem Beispiel seines Vaters. Damit gehört er heute zu den führenden rabbinischen Persönlichkeiten unserer Generation.

Debatte

Rabbiner für Liberalisierung von Abtreibungsregelungen

Das liberale Judentum blickt anders auf das ungeborene Leben als etwa die katholische Kirche: Im jüdischen Religionsgesetz gelte der Fötus bis zur Geburt nicht als eigenständige Person, erklären liberale Rabbiner

von Leticia Witte  11.12.2024

Vatikan

Papst Franziskus betet an Krippe mit Palästinensertuch

Die Krippe wurde von der PLO organisiert

 09.12.2024

Frankfurt

30 Jahre Egalitärer Minjan: Das Modell hat sich bewährt

Die liberale Synagogengemeinschaft lud zu einem Festakt ins Gemeindezentrum

von Eugen El  09.12.2024

Wajeze

»Hüte dich, darüber zu sprechen«

Die Tora lehrt, dass man ein Gericht anerkennen muss und nach dem Urteil nicht diskutieren sollte

von Chajm Guski  06.12.2024

Talmudisches

Die Tora als Elixier

Birgt die Tora Fallen, damit sich erweisen kann, wer zur wahren Interpretation würdig ist?

von Vyacheslav Dobrovych  06.12.2024

Hildesheimer Vortrag 2024

Für gemeinsame Werte einstehen

Der Präsident der Yeshiva University, Ari Berman, betonte die gemeinsamen Werte der jüdischen und nichtjüdischen Gemeinschaft

von Detlef David Kauschke  05.12.2024

Naturgewalt

Aus heiterem Himmel

Schon in der biblischen Tradition ist Regen Segen und Zerstörung zugleich – das wirkt angesichts der Bilder aus Spanien dramatisch aktuell

von Sophie Bigot Goldblum  05.12.2024

Deutschland

Die Kluft überbrücken

Der 7. Oktober hat den jüdisch-muslimischen Dialog deutlich zurückgeworfen. Wie kann eine Wiederannäherung gelingen? Vorschläge von Rabbiner Jehoschua Ahrens

von Rabbiner Jehoschua Ahrens  05.12.2024

Chabad

Gruppenfoto mit 6500 Rabbinern

Tausende Rabbiner haben sich in New York zu ihrer alljährlichen Konferenz getroffen. Einer von ihnen aber fehlte

 02.12.2024