Talmudisches

Darf ein jüdischer Mann mit mehreren Frauen verheiratet sein?

Anders als früher ist die Vielehe heute halachisch verboten. Foto: Getty Images

Der Tora zufolge darf ein Mann mit mehreren Frauen verheiratet sein. Erstaunlicherweise ist nur bei einem König die Polygamie beschränkt: »Er (der König) darf sich nicht viele Frauen nehmen, damit sein Herz nicht auf Abwege komme« (5. Buch Mose 17,17).

Die Mischna erklärt, es sei dem König nicht erlaubt, mehr als 18 Frauen zu haben: »Rabbi Jehuda sagt, der König dürfe sich mehr (Frauen) halten unter der Bedingung, dass sie sein Herz nicht ›abwendig machen‹. Rabbi Schimon sagt, selbst eine, die sein Herz ›abwendig macht‹, dürfe er nicht heiraten; nur deshalb heißt es, er dürfe sich nicht viele halten, damit er selbst von frommen Frauen wie Abigail nicht mehr als 18 nehme« (Sanhedrin 21a).

Wir sehen, dass die Mischna drei verschiedene Meinungen aufzählt. Der Rambam, Maimonides, entscheidet wie der erste Tannait: Ein König darf höchstens 18 Frauen haben (Hilchot Melachim 3,2).

Zahl 18 Die Gemara will wissen, warum die Zahl 18 entscheidend ist. Ihre Erklärung lautet, dass man durch Verse im 2. Buch Schmuel auf diese Zahl gekommen ist. Dort steht, dass König David in Hebron sechs Söhne geboren wurden und der Prophet Nathan zu ihm gesprochen habe: »Ist dies zu wenig, so gebe ich dir doppelt so viel und doppelt so viel« (2. Schmuel 12,8). Dreimal sechs macht 18.

König David hat die ihm auferlegte Beschränkung akzeptiert. Das zeigt uns eine kleine Geschichte über Abischag, die schöne Pflegerin des alten Königs. Der Talmud berichtet: »Abischag sagte zum König: ›Heirate mich!‹ Er antwortete: ›Du bist mir verboten!‹« (Sanhedrin 22a). Raschi erklärt, der König habe Abischags Bitte abgelehnt, weil er schon mit 18 Frauen verheiratet war.

Wer sich nicht an das Verbot gehalten hat, ist König Schlomo, von dem es heißt: »Und der Ewige gab Schlomo Weisheit« (1. Könige 5,26). Die Schrift berichtet: »Und König Schlomo hatte 700 Hauptfrauen und 300 Nebenfrauen, und seine Frauen wendeten sein Herz ab« (11,3).

SCHLOMO Wie kam es dazu, dass der weise König so unklug handelte? Im Talmud lesen wir eine Antwort von Rabbi Jizchak: Die Tora gebe keine Begründungen für die einzelnen Mizwot, weil sie in zwei Fällen gegeben wurden, aber »ein Großer der Welt« (gemeint ist König Schlomo) genau deshalb strauchelte.

»Es heißt: ›Er (der König) darf sich nicht viele Frauen nehmen, damit sein Herz nicht auf Abwege komme.‹ König Schlomo aber sagte, er werde sich viele Frauen nehmen – und dennoch nicht auf Abwege geraten. Die Schrift bezeugt jedoch: ›Und es war, als Schlomo alt wurde, da wendeten seine Frauen sein Herz fremden Göttern zu‹ (1. Könige 11,4)« (Sanhedrin 21b).

700 Hauptfrauen und 300 Nebenfrauen – hier drängt sich dem Leser die Frage auf: Warum war König Schlomo an so vielen Beziehungen interessiert? Der Jerusalemer Rabbiner Uri Scherky meint, die hohe Zahl von 1000 Frauen beweise, dass es dem König nicht um sexuelle Befriedigung ging. Vielmehr wollte er mit seiner konsequent verfolgten Heiratspolitik eine große Einheit schaffen und damit den Frieden sichern. Aber König Schlomo irrte sich, er überschätzte seine Fähigkeit, und sein Projekt scheiterte kläglich. Indirekt förderte er damit sogar den Götzendienst im Land Israel.

götzendienst Im Talmud (Schabbat 56b) wird die These vertreten, König Schlomo habe in Wirklichkeit gar nicht gesündigt. Nur weil er gegen den Götzendienst seiner Frauen nicht protestierte, rechne es ihm die Schrift so an, als hätte er selbst gesündigt.

Damit kein Missverständnis aufkommt: In unserer Zeit ist die Polygamie der Halacha zufolge (bis auf wenige Ausnahmen) streng verboten. Schon im Mittelalter haben Rabbiner eine Verordnung gegen die Vielehe erlassen, die unter der Bezeichnung »Cherem DeRabbenu Gerschom« bekannt ist. Bemerkenswert ist auch, dass kaum einer der rund 2000 im Talmud erwähnten Gelehrten mehr als eine Ehefrau hatte.

Talmudisches

Torastudium oder weltliche Arbeit?

Was unsere Weisen über das rechte Maß zwischen Geist und Alltag lehren

von Detlef David Kauschke  14.11.2025

Chaje Sara

Bewusster leben

Sara hat gezeigt, dass jeder Moment zählt. Sogar ihr Schlaf diente einem höheren Ziel

von Samuel Kantorovych  13.11.2025

Spurensuche

Von Moses zu Moses zu Reuven

Vor 75 Jahren starb Rabbiner Reuven Agushewitz. Er verfasste religionsphilosophische Abhandlungen mit einer Intensität, die an Maimonides und Moses Mendelssohn erinnert. Wer war dieser Mann?

von Richard Blättel  13.11.2025

Wajera

Awrahams Vermächtnis

Was wir vom biblischen Patriarchen über die Heiligkeit des Lebens lernen können

von Rabbiner Avraham Radbil  07.11.2025

Talmudisches

Rabbi Meirs Befürchtung

Über die falsche Annahme, die Brachot, die vor und nach der Lesung gesprochen werden, stünden im Text der Tora

von Yizhak Ahren  07.11.2025

Festakt

Ministerin Prien: Frauen in religiösen Ämtern sind wichtiges Vorbild

In Berlin sind zwei neue Rabbinerinnen ordiniert worden

 06.11.2025

Chassidismus

Im Sturm der Datenflut

Was schon Rabbi Nachman über Künstliche Intelligenz wusste

von Rabbiner David Kraus  06.11.2025

Rezension

Orthodoxer Rebell

Sein Denken war so radikal, dass seine Werke nur zensiert erschienen: Ein neues Buch widmet sich den Thesen von Rabbiner Kook

von Rabbiner Igor Mendel  06.11.2025

Potsdam

Abraham-Geiger-Kolleg ordiniert zwei Rabbinerinnen

In Deutschlands größter Synagoge Rykestraße in Berlin-Prenzlauer Berg werden an diesem Donnerstag zwei Rabbinerinnen ordiniert. Zu der Feier wird auch Polit-Prominenz erwartet

 05.11.2025