Osama bin Laden

Du sollst nicht töten, oder?

»Wir haben ihn«: stolzer US-Bürger Foto: dpa

Wenn in Gaza Jubel über die Ermordung von Juden ausbricht, scheint das in Deutschland niemanden zu stören. Aber kaum jubelt Amerika über den Tod eines Massenmörders, heißt es unmittelbar danach im Kommentar der ARD-Tagesschau: »Dieses Amerika ist uns fremd«. Im gleichen Stil ging und geht es weiter.

Ganz ehrlich: Mir sind diese »Gutmenschen«, die wieder reflexartig und moralinsaurer den Zeigefinger heben, fremd. Sie berufen sich gerade auf »gemeinsame christlich-jüdische« Werte. Scheint ihnen jemand aus dieser selbst proklamierten Wertegemeinschaft auszuscheren, wird mit aller selbstgerechter Wucht zurückgeschlagen. Schließlich müssen abendländische Werte verteidigt werden, wie aktuell gegen die Bundeskanzlerin. Ihr schlägt eine Welle der Empörung entgegen, deren Intensität erstaunlich ist. Angela Merkel hatte von einer »guten Nachricht« gesprochen und ihre Freude darüber geäußert, »dass es gelungen ist, bin Laden zu töten«.

Die Reaktionen waren selbst aus der eigenen Partei heftig, von den kirchlichen Stimmen ganz zu schweigen. Ein Hamburger Richter hat sie jetzt sogar angezeigt, unter anderem wegen der Billigung von Straftaten.

Nun hat die Kanzlerin völlig richtig von »töten«, nicht von »morden« gesprochen. Denn dazwischen gibt es einen riesengroßen Unterschied. Osama wurde im Auftrag des US-Präsidenten nicht ermordet, sondern getötet.

Übersetzung Diese beiden Begriffe werden häufig verwechselt. Denn in christlichen Bibeln heißt es in den Zehn Geboten: »Du sollst nicht töten«. Dies ist eine verhängnisvolle und falsche Übersetzung. Im hebräischen Original steht nämlich etwas ganz anderes: »Du sollst nicht morden«. Das ist keine semantische Kleinigkeit – in der deutschen wie auch in der hebräischen Sprache –, sondern ein riesiger moralischer Unterschied. Denn Mord und morden ist immer unmoralisch. Töten nicht unbedingt. Totschlag kann das tragische Ergebnis einer Selbstverteidigung sein. Auch Unfälle mit tödlichem Ausgang sind tragisch, aber nicht unmoralisch.

Die Gutmenschen hinken dem hinterher – auch die Mehrheit der Deutschen. Die hält einer aktuellen Umfrage zufolge den Jubel über die Tötung des Terroristenführers für unangebracht. Zwei Drittel (64 Prozent) der Befragten gaben an, dass der Tod bin Ladens für sie kein Grund zur Freude sei.

Als ich in der Militär-Seelsorge der US-Armee tätig war, kam einmal ein junger deutscher Wehrpflichtiger in meine Sprechstunde, von seinem Gewissen geplagt. Er bat mich um eine Bibel, damit er mir selbst das Gebot gegen das Töten vorlesen konnte. Ich bot ihm eine Ausgabe mit der Übersetzung von Leopold Zunz an. Dort heißt es eben: »Du sollst nicht morden«. Nach einem interessanten Gespräch entschloss sich der junge Mann zum Wehrdienst.

Alle westlichen Armeen haben schließlich einen Verteidigungsauftrag. Soldaten sind eben nicht Mörder – dieser Automatismus trifft nur auf Angriffsarmeen zu. Die Navy Seals, die bin Laden zur Strecke brachten, sind jedenfalls keine Auftragskiller, wie sie in Kreisen deutscher Gutmenschen gesehen werden. Dort wird der Wert ihrer Tat ins Unmoralische pervertiert.

Gerade in unserer komplexen Welt, in der Politik und Religion mehr und mehr ineinander übergreifen, hilft Ignoranz nicht weiter. Sie ist ein Teil des Problems und nie eine Lösung.

Der Autor ist Rabbiner der Frankfurter Budge-Stiftung.

Chanukka

»Wegen einer Frau geschah das Wunder«

Zu den Helden der Makkabäer gehörten nicht nur tapfere Männer, sondern auch mutige Frauen

von Rabbinerin Ulrike Offenberg  18.12.2025

Essay

Chanukka und wenig Hoffnung

Das hoffnungsvolle Leuchten der Menorah steht vor dem düsteren Hintergrund der Judenverfolgung - auch heute wieder

von Leeor Engländer  18.12.2025

Chanukka

Berliner Chanukka-Licht entzündet: Selbstkritik und ein Versprechen

Überschattet vom Terroranschlag in Sydney wurde in Berlin am Mittwoch mit viel Politprominenz das vierte Licht an Europas größtem Chanukka-Leuchter vor dem Brandenburger Tor entzündet

von Markus Geiler  18.12.2025

Chanukka

Wofür wir trotz allem dankbar sein können

Eine Passage im Chanukka-Gebet wirkt angesichts des Anschlags von Sydney wieder ganz aktuell. Hier erklärt ein Rabbiner, was dahinter steckt

von Rabbiner Akiva Adlerstein  17.12.2025

Attentat in Sydney

»Was würden die Opfer nun von uns erwarten?«

Rabbiner Yehuda Teichtal hat bei dem Attentat in Sydney einen Freund verloren und wenige Stunden später in Berlin die Chanukkia entzündet. Ein Gespräch über tiefen Schmerz und den Sieg des Lichts über die Dunkelheit

von Mascha Malburg  16.12.2025

Meinung

Es gibt kein Weihnukka!

Ja, Juden und Christen wollen und sollen einander nahe sein. Aber bitte ohne sich gegenseitig zu vereinnahmen

von Avitall Gerstetter  15.12.2025

Chanukka

Das jüdische Licht

Die Tempelgeschichte verweist auf eine grundlegende Erkenntnis, ohne die unser Volk nicht überlebt hätte – ohne Wunder kein Judentum

von Rabbiner Aharon Ran Vernikovsky  12.12.2025

Deutschland-Reise

Israels Oberrabbiner besucht Bremen

Kalman Meir Ber trifft Bürgermeister Andreas Bovenschulte und die Präsidentin der Bremischen Bürgerschaft, Antje Grotheer (beide SPD)

 12.12.2025

Wajeschew

Ein weiter Weg

Das Leben Josefs verlief nicht geradlinig. Aber im Rückblick erkennt er den Plan des Ewigen

von Rabbinerin Yael Deusel  12.12.2025