Olam Haba

Diesseits von Eden

Paradies oder »Ort des Staubs«? In jüdischen Quellen finden wir sehr unterschiedliche Vorstellungen von der künftigen Welt. Foto: Thinkstock

Ari Mandel ist ein cleverer Bursche. Dachte er jedenfalls. Mandel kommt aus einer chassidischen Familie, hat sich aber vom Glauben abgewandt und lebt deshalb außerhalb seines ursprünglichen chassidischen Umfelds. Weil sein Leben als Chassid untadelig gewesen sei, meint Mandel, habe er sich einen »Platz« in Olam Haba, der »kommenden Welt«, erworben. Nach der Neuausrichtung seines Lebens hatte er aber keine Verwendung mehr für diesen »Ort«.

»Warum dann nicht Gewinn daraus ziehen?«, fragte sich Mandel. Vor einigen Wochen bot er seinen »Platz in der kommenden Welt« bei Ebay an – allerdings ohne konkreteres Produktfoto – und fand tatsächlich Interessenten für sein Angebot. Auf der Auktionsseite schilderte Mandel die Olam Haba« als das »ewige Leben im Paradies«. Doch schließlich, als die Preise beträchtliche Höhen erreicht hatten, entfernte Ebay das Angebot – mit der Begründung, der Artikel sei »nicht fassbar«.

Auferstehung Denken wir diese Geschichte konsequent zu Ende und werfen dabei einen Blick in die rabbinischen Quellen, dann war Ari Mandel nur scheinbar klug. Er sei heute Atheist, behauptet er – glaubt also gar nicht an die Auferstehung der Toten, jedenfalls nicht im religiösen Sinne. Die Mischna sagt jedoch (Sanhedrin 10,1): Wer nicht an die Auferstehung der Toten glaubt, hat auch keinen Platz in der Olam Haba. Laut Talmud ist das nur konsequent, weil so »Maß für Maß« vergolten wird (Sanhedrin 90a). Mit anderen Worten: Wer nicht daran glaubt, kommt auch nicht dorthin!

Und noch ein weiteres geschäftsschädigendes Argument: Zu Beginn der Pirkej Awot, der Sprüche der Väter, auch bekannt als Mischna Awot, heißt es: »Kol Israel jesch lachem Chelek leOlam Haba – ganz Israel hat Anteil an der kommenden Welt.« Beide Quellen zerstören das Geschäftsmodell des Anbieters. Entweder hat jeder Jude einen Anteil daran, oder Mandel ist ohnehin »raus« und kann deshalb auch keinen Platz oder Anteil daran verkaufen.

Aber bevor wir spitzfindig werden, sollten wir lieber einen Blick darauf werfen, was überhaupt genau verkauft werden sollte. Woher will Mandel denn so genau wissen, wo sich die kommende Welt befindet oder was sie ist? Denn was Olam Haba eigentlich ist, das wurde schon seit den Zeiten der Mischna immer wieder diskutiert. Eine der Sichtweisen lernten wir bereits kennen.

In der genannten Mischna Sanhedrin wird offensichtlich davon ausgegangen, Olam Haba bräche mit der Auferstehung der Toten an. Doch so klar und eindeutig ist das nicht. Denn nahezu jede jüdische Generation und Gruppierung hat ihre Sichtweise auf diesen Begriff neu formuliert und den Wert der Olam Haba anders gewichtet.

Vorhof Einige Generationen finden die Olam Haze (diese Welt) wichtiger und betonen ihre Wichtigkeit gegenüber einer unbestimmten künftigen Welt. So wertete Rabbiner Mosche Chajm Luzzatto, der Ramchal, (1707–1746) in seinem Buch Mesillat Jescharim diese Welt nur als eine Vorhalle zur Olam Haba.

In der Olam Haze gehe es darum, sich einen guten Platz in der kommenden Welt zu sichern: »Unsere Weisen haben gelehrt, dass der Mensch nur geschaffen wurde, um Freude am Ewigen zu haben und die Strahlen der Schechina zu genießen, denn dies ist wahre Glückseligkeit und die größte aller möglichen Freuden. Der wahre Platz, an dem solche Freude empfunden werden kann, ist in der Olam Haba, denn diese wurde zu diesem Zwecke geschaffen. Denn diese Welt, so sagen die Weisen, ist nur ein Vorhof der zukünftigen.«

Damit spielt Rabbiner Luzzatto auf die Mischna Awot an, in der Rabbi Yaakow sagt: »Diese Welt ist nur ein Vorhof der zukünftigen. Im Vorhof mach dich bereit, auf dass du eingelassen werdest in den Festsaal.« In der Mischna Awot (4,17) heißt es übrigens: »Ein Moment der Tschuwa (Umkehr) und der guten Taten in dieser Welt ist besser als das gesamte Leben in der Olam Haba.«

Maimonides, der Rambam (1135–1204), schreibt in seinen Hilchot Teschuwa (8) auch, dass die Olam Haba »kommende Welt« heißt, weil sie – aber nur für die Seele – an die physische Welt anschließt: »Es folgt für die Seele eine weitere Welt. Aber es folgt keine andere Welt auf die Welt, in der wir leben.« Das heißt aber auch: Nach der Zerstörung unserer physischen Welt wird es keine neue Welt geben. Zumindest wäre diese neue Welt nicht die Olam Haba.

Seelen Rabbiner Luzzatto folgt der Interpretation des Rambam und geht ganz offensichtlich davon aus, dass Olam Haba der Ort ist, an den die Seelen der Verstorbenen irgendwann gelangen, um sich daran zu erfreuen. Um das zu erreichen, reicht deren Einfluss natürlich stark in diese Welt hinein. Diese Interpretation entlastet seinen Leser und Zuhörer. Denn ganz gleich, wie schlecht sein Umfeld zu ihm ist und wie viel Mühe es ihm macht, die Mizwot zu halten: Es ist unbedingt notwendig, denn das Beste kommt am Ende.

Ob dieses Ende aber auf eine kollektive Auferstehung folgt, wie es die Mischna Sanhedrin postuliert, bleibt offen. So sagt Rabbi Akawjah ben Mahalel in der Mischna Awot (3,1) wenig ermunternd: »Wohin du gehst? An den Ort des Staubs und des Moders und der Würmer.« Und im Buch Hiob (14,12) heißt es: »So legt sich der Mensch hin und steht nicht wieder auf. Bis der Himmel nicht mehr ist, erwacht er nicht und wird nicht aufgeweckt aus seinem Schlaf.«

PARADIES Doch andere Quellen zeichnen ein rosigeres Bild von Olam Haba. So heißt es im Talmud: »Raw sagte: In der Olam Haba ist kein Essen, kein Trinken, keine Fruchtbarkeit, keine Vermehrung, kein Geschäft, kein Neid, kein Hass und kein Streit, sondern die Gerechten sitzen mit Kronen auf ihren Häuptern und genießen den Glanz der Schechina« (Berachot 17a). Wenngleich hier die Formulierung »keine Vermehrung« gebraucht wird, so heißt es doch im gleichen Traktat ein wenig später: »Drei Dinge sind der Vorgeschmack auf die Olam Haba: der Schabbat, das Licht der Sonne und die Sexualität« (Berachot 57b).

In einem anderen Traktat (Kettubot 111b) wird auch der Fruchtbarkeitsbezug ein wenig mehr »diesweltlicher« geschildert. Die Auffassungen der Rabbinen gehen also merklich auseinander. So kann in der kommenden Welt, wie berichtet wird, aus einer einzigen Weintraube ein Krug Wein hergestellt werden, Früchte können bereits nach einem Monat geerntet werden, und das Land Israel wird bestes Korn hervorbringen und beste Wolle. An anderer Stelle (Schabbat 30b) wird dies noch übertroffen. So heißt es: »Frauen gebären täglich, und Bäume tragen täglich Früchte.«

Und auch der tröstende Gedanke, der später bei Rabbiner Luzzatto durchschimmert, ist schon im Talmud erwähnt. So heißt es, die Reichen und Mächtigen zählten dort wenig und die Unterdrückten aus dieser Welt viel (Pessachim 50a). In der kommenden Welt würden wir sogar die »schwierigen« Stellen aus der Tora verstehen.

Lernen Die Wichtigkeit der Olam Haba wird übereinstimmend als groß geschildert. Wenn die Mischna diskutiert, wem man zuerst eine verlorene Sache wiederbeschaffen soll (Bawa Metziah 2,11), dann kommt sie zu folgendem Schluss: Müsse man zwischen Vater und Lehrer entscheiden, dann zuerst dem Lehrer. Denn dieser bringe seine Schüler in die Olam Haba – der Vater »nur« in diese Welt. Offenbar geschieht dies durch Unterweisung und Unterricht. Dies dürfte auch der Schlüssel zu einem »modernen« Verständnis der Olam Haba sein: Man erlangt sie durch Unterricht und Lernen.

Rabbiner Chajm Woloszyner (1749–1821) greift in seinem Werk »Nefesch Hachajim – Seele des Lebens« (1,12) auf die Wendung »Kol Israel jesch lachem Chelek leOlam Haba« zurück. Er schaut sich den Satz sprachlich etwas genauer an und kommt zu dem Schluss: »In der Mischna heißt es ›Ganz Israel, für sie gibt es ein Stück für die Olam Haba‹ und nicht (einen Anteil) ›in‹ der Olam Haba, was bedeuten würde, die Olam Haba sei seit der Schöpfung vorbereitet, eine bereits bestehende Sache – und wenn eine Person fromm lebt, werde sie einen Anteil erhalten, als Belohnung.

Vielmehr ist die Wahrheit, dass die Olam Haba ein Ergebnis der eigenen Taten des Menschen ist – dass ein Anteil hinzugefügt, erweitert und verbessert wird, durch Taten. Und deshalb heißt es: Es ist für sie, für jeden, ein Anteil von Heiligkeit und Lichter und die Helligkeit, dass jeder verbessert und dass jeder hinzugefügt hat, ›für‹ die kommende Welt – durch gute Taten«.

Später nimmt dies der Religionsphilosoph Jeschajahu Leibowitz (1903–1994) in seinen »Vorträgen über die Sprüche der Väter« auf und sagt, der Mensch gestalte die Olam Haba durch seine Taten und die Mizwot, die er tue. Eine »bessere« Welt ist die Olam Haba, und weitergedacht könnte man auch zu dem Schluss kommen, die Olam Haba sei die Zeit, die anbricht, wenn die Menschheit sich wahrhaftig zum sozialen Miteinander wendet, wie es durch die Tora vorgeschlagen wird, und sich der Mensch mit der Verbesserung der Welt beschäftigt.

Utopie Olam Haba als Utopie einer Welt, die anbricht, wenn der Mensch beginnt, an ihr zu arbeiten: Damit träfe die Tradition mit dem Begriff Olam Haba keine Aussage über das Jenseitige, sondern über unser Leben. Und tatsächlich, wer in diesem Moment damit beginnt, an ihr zu bauen, der erfüllt mit Leben, was mit dem Satz »Ein Moment der Tschuwa und der guten Taten in dieser Welt ist besser als das gesamte Leben in der Olam Haba« gemeint ist. Man hat durch Umkehr mehr erreicht als diejenigen, die in der idealen Welt leben werden, wenn sie keine Utopie mehr ist. Ob das die Zeit des Maschiach sein wird?

Der Autor ist Mitglied der Jüdischen Gemeinde Gelsenkirchen.

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