Neulich beim Kiddusch

Die Riesin

Erdrückend: Mann, ist die groß! Foto: imago

Neulich beim Kiddusch

Die Riesin

Was einem in der Synagoge alles passieren kann

von Chajm Guski  28.02.2011 10:42 Uhr

Mein Freund Schmulik fühlte sich verfolgt. Er rief mich an – was sehr ungewöhnlich ist. Denn meistens schreibt er irgendwelche Belanglosigkeiten per Mail oder SMS. Ob ich es auch schon bemerkt hätte, fragte er mich. Ob man schon darüber spricht? Immerhin hätte er Familie. Er in seiner Position könne sich keine Fehltritte leisten. Wenn das jetzt herauskommt? Was solle er nur tun? Ich hatte keinen blassen Schimmer, worüber er redete.

Dilemma »Was ist passiert? In welches Dilemma hast du dich dieses Mal gebracht?«, wollte ich wissen. Er fragte mich: »Kennst du diese große blonde Frau aus der Synagoge? Die immer Rollkragen trägt?« Ich wusste, wen er meinte. »Diese Rachel?« Nicht, dass sie mir irgendwie besonders aufgefallen wäre, aber ich erinnerte mich an ihren Namen. »Was ist mit Rachel?«

»Das würde ich auch gern wissen!«, rief Schmulik durchs Telefon. »Egal wo ich hingehe, sie kommt auch dazu oder ist schon da. Selbst bei diesem langweiligen Vortrag über die Flora im Talmud, der auf 14 Abende angelegt war. Meistens kommt sie herein und winkt mir zu oder lächelt mich an, sobald ich mich umdrehe und sie sehe.«

Mittlerweile hat Schmulik eine regelrechte Paranoia entwickelt. Er setzt sich auf Plätze, die man nicht so gut sehen kann. Manchmal hockt er hinter einer Säule. »Ich kann gar nicht mehr unbefangen aus dem Haus gehen«, klagt er. »Stell dir mal vor, das bemerkt jemand aus der Gemeinde! Wenn sich das Klatsch-Karussell anfängt zu drehen, dann bin ich im Handumdrehen der Junge, der vom Holzpferd gestoßen wird.«

Was sollte man dazu sagen? Also antworte ich, Rachel weiß bestimmt, dass Schmulik Familie hat und alles gut, ja bestens läuft. Ich habe ihm davon abgeraten, sie vor versammelter Gemeinde zur Rede zu stellen. Das hätte sicher einen gegenteiligen Effekt.

Rachen Eine Woche nach dem Gespräch sehe ich die besessene Rachel in der Synagoge. Schmulik ist nicht da. Es gelingt mir, ihr auszuweichen. Aber später, beim Kiddusch, steuert sie mich gezielt an. Mein Rachen wird trocken. Doch bevor ich mich auf die Toilette retten kann, baut sie sich vor mir auf. Meine Güte, ist die groß!

»Wo ist dein Freund Schmulik?«, fragt sie. Oh weh, denke ich, er hatte recht, sie verfolgt ihn. »Schmulik ist doch sonst überall, wo ich bin.« Manchmal würde er sich sogar hinter Säulen verstecken, damit er sie beobachten könne, ohne gesehen zu werden. »Ständig sucht er nach mir. Überall. Immer kreist sein Blick durch den Raum, sogar in den seltsamsten Kursen stellt er mir nach. Hat dein Freund vielleicht ein Stalking-Problem?« Sie könne zu keiner jüdischen Veranstaltung mehr gehen, ohne ihn zu treffen. Er solle mal an seine Familie denken.

Was soll man da sagen? Bei einer überschaubaren Anzahl von Juden ja wohl eine Frage der Zeit, dass man sich über den Weg läuft, oder? Das funktioniert wunderbar, solange nicht zwei Kandidaten aufeinandertreffen, die ein Ego-Problem haben. Nach Schabbes habe ich Schmulik angerufen und ihm geraten, sich vielleicht mehr im orthodoxen Bereich zu engagieren. Da bleiben Männer häufiger unter sich.

Quellen

Es ist kompliziert

Chanukka wird im Talmud nur selten erwähnt. Warum klammerten die Weisen diese Geschichte aus?

von Rabbiner Avraham Radbil  11.12.2025

Religion

Israels Oberrabbiner erstmals auf Deutschlandbesuch

Kalman Ber startet seine Reise in Hamburg und informiert sich dort über jüdisches Leben. Ein Schwerpunkt: der geplante Neubau einer Synagoge

 10.12.2025

Thüringen

Jüdische Landesgemeinde und Erfurt feiern Chanukka

Die Zeremonie markiert den Auftakt der inzwischen 17. öffentlichen Chanukka-Begehung in der Thüringer Landeshauptstadt

 08.12.2025

Wajischlach

Zwischen Angst und Umarmung

Die Geschichte von Jakow und Esaw zeigt, wie zwei Brüder und zwei Welten wieder zueinanderfinden

von Rabbiner Joel Berger  05.12.2025

19. Kislew

Himmlischer Freispruch

Auch wenn Rosch Haschana schon lange vorbei ist, feiern Chassidim dieser Tage ihr »Neujahr«. Für das Datum ist ausgerechnet der russische Zar verantwortlich

von Chajm Guski  05.12.2025

Talmudisches

Freundlich grüßen

Was unsere Weisen über Respekt im Alltag lehren

von Yizhak Ahren  04.12.2025

Begnadigung

Eine Frage von biblischer Tragweite

Die Tora kennt menschliche Reue, gerichtliche Milde und g’ttliche Gnade – aber keine juristische Abkürzung

von Rabbiner Raphael Evers  03.12.2025

Geschichte

Wie Regina Jonas die erste Rabbinerin wurde

Die Ordination Ende 1935 war ein Ergebnis ihres persönlichen Kampfes und ihrer Kompetenz – ein Überblick

von Rabbinerin Ulrike Offenberg  03.12.2025

New York

Das sind die Rabbiner in Mamdanis Team

Im Gegensatz zu seinem Vorgänger hat Mamdani keinen Ortodoxen in seine Übergangsausschüsse berufen – eine Lücke, die bereits im Wahlkampf sichtbar wurde

 02.12.2025