Interview

»Die Kirchen stehen erst am Anfang«

Samuel Salzborn Foto: Maria Ugoljew

Interview

»Die Kirchen stehen erst am Anfang«

Berlins Antisemitismusbeauftragter Samuel Salzborn über die kritische Auseinandersetzung mit innerkirchlichen antijüdischen Einstellungen

von Lukas Philippi  02.04.2021 14:18 Uhr

Herr Salzborn, Sie haben kürzlich in einem Interview auf den Antisemitismus und Antijudaismus der christlichen Kirchen als eine der ältesten Formen des Judenhasses verwiesen. Könnten Sie kurz erklären, wie dieser heute noch zum Ausdruck kommt?
Man muss grundsätzlich unterscheiden zwischen Fragen der Struktur, der Institutionen und der Akteure. Während wir auf institutioneller Ebene einige Bemühungen der christlichen Kirchen wahrnehmen können, etwa durch die Einsetzung eines Antisemitismusbeauftragten der EKD und einzelner Gliedkirchen, offizielle Papiere gegen christlichen Judenhass, die auch christliche Fehldeutungen des Alten Testaments selbstkritisch hinterfragen, oder auch christlich-jüdische Dialogformate, sehe ich auf der strukturellen Ebene gleichermaßen noch Entwicklungspotenzial wie auf der Ebene der Akteure. Die für die EKD sicher schmerzhafte Diskussion über den Antijudaismus in der Luther-Bibelübersetzung steht meiner Wahrnehmung nach erst am Anfang. Und auch die Debatten über Antisemitismus einzelner christlicher Akteure, die sich über den Umweg des antiisraelischen Antisemitismus in Verbindung mit christlich-antijüdischen Stereotypen immer wieder antisemitisch positionieren, scheint mir nach wie vor viel zu defensiv geführt zu werden.

Sie sprechen von einer »Defizitwahrnehmung« und von Neid im christlichen Blick auf das Judentum. Könnten Sie dies bitte erläutern?
Die Neiddimension als grundsätzliches Problem wurde bereits in der ersten großen Studie über christlichen Antijudaismus angesprochen: von Sigmund Freud in »Der Mann Moses und die monotheistische Religion«. Freud weist darauf hin, dass in das Christentum eben eine solche Neiddimension eingelagert ist. Es geht um Ressentiments, die sich gegen bestimmte religiöse Strukturen des Judentums richten: den abstrakten Gesetzescharakter und die Auferlegung, selbst nicht Gott sein zu können, von Gott klar unterschieden zu sein, was die Psychoanalyse als narzisstische Kränkung für christliche Glaubensvorstellungen interpretiert hat.

Sie kritisieren auch, dass insbesondere außerhalb der verfassten
Kirchen antijüdische Ressentiments und Antisemitismus verbreitet sind. Was schlagen Sie vor?

Einige der innerchristlichen Debatten über Antisemitismus sind gewiss aus Sicht des Christentums schmerzhaft. Denken wir neben Luther zum Beispiel auch an Papst Pius XII. und dessen hochproblematische Rolle im Zusammenhang mit dem Nationalsozialismus, dem Reichskonkordat und der Schoa. Als vor einigen Wochen in Berlin die Debatte aufkam, ob die nach seinem bürgerlichen Namen benannte Pacelliallee umbenannt werden sollte, hat die katholische Kirche in einer mich überraschenden Deutlichkeit dagegen Stellung bezogen.

Wie bewerten Sie das?
Wenn man bei solchen Knackpunkten nicht bereit ist, sich auf eine selbstkritische, schmerzende Debatte einzulassen, wie viel ist dann sonst dran an Toleranz und Akzeptanz, am interreligiösen Dialog? Mein Eindruck ist, dass solche Signale der verfassten Kirchen erhebliche Resonanz auslösen, die antijüdische und antisemitische Ressentiments bestärken.

Sukka

Gleich gʼttlich, gleich würdig

Warum nach dem Talmud Frauen in der Laubhütte sitzen und Segen sprechen dürfen, es aber nicht müssen

von Yizhak Ahren  06.10.2025

Chol Hamo’ed Sukkot

Dankbarkeit ohne Illusionen

Wir wissen, dass nichts von Dauer ist. Genau darin liegt die Kraft, alles zu feiern

von Rabbiner Joel Berger  06.10.2025

Tradition

Geborgen unter den Sternen

Mit dem Bau einer Sukka machen wir uns als Juden sichtbar. Umso wichtiger ist es, dass wir unseren Nachbarn erklären können, was uns die Laubhütte bedeutet

von Chajm Guski  06.10.2025

Sukkot

Fest des Vertrauens

Die Geschichte des Laubhüttenfestes zeigt, dass wir auf unserem ungewissen Weg Zuversicht brauchen

von Rabbinerin Yael Deusel  06.10.2025

Sarah Serebrinski

Sukkot: Freude trotz Verletzlichkeit

Viele Juden fragen sich: Ist es sicher, eine Sukka sichtbar im eigenen Vorgarten zu bauen? Doch genau darin – in der Unsicherheit – liegt die Botschaft von Sukkot

von Sarah Serebrinski  05.10.2025

7. Oktober

Ein Riss in der Schale

Wie Simchat Tora 2023 das Leben von Jüdinnen und Juden verändert hat

von Nicole Dreyfus  05.10.2025

Übergang

Alles zu jeder Zeit

Worauf es in den vier Tagen zwischen Jom Kippur und Sukkot ankommt

von Vyacheslav Dobrovych  03.10.2025

Kirche

EKD: Gaza-Krieg nicht zum Anlass für Ausgrenzung nehmen

Ratsvorsitzende Kirsten Fehrs: »Offene und gewaltsame Formen des Antisemitismus, besonders in Gestalt israelbezogener Judenfeindschaft, treten deutlich zutage«

 03.10.2025

Ha’asinu

Mit innerer Harmonie

Nur wer sich selbst wertschätzt und seine Fähigkeiten kennt, kann wirklich wachsen

von Abraham Frenkel  03.10.2025