Talmudisches

Die Eule – Symbol der kommenden Zeit

Was unsere Weisen über den nachtaktiven Vogel lehren

von Chajm Guski  15.03.2024 08:56 Uhr

Auch ein Symbol für den prophetischen Ausblick auf die Niederlage Edoms: die Eule Foto: Getty Images

Was unsere Weisen über den nachtaktiven Vogel lehren

von Chajm Guski  15.03.2024 08:56 Uhr

Die Eule symbolisiert die Weisheit. So ist sie als weises Tier die Begleiterin von Harry Potter. Dass die Eule heute in der westlichen Welt diese Bedeutung hat (in Japan heißt es, sie bringe Glück), ist keine schlechte Entwicklung. Unser heutiges Bild der Eule stammt aus dem antiken Griechenland. Dort war die Eule ein Attribut der Göttin Athene und verkörperte die Weisheit.

Für den Menschen des Mittelalters hatte die Eule eine vollkommen andere Bedeutung. Er hätte gesagt, die Eule symbolisiere Dummheit. Ihre Nachtaktivität machte sie verdächtig. Für die Christen jener Zeit war die Eule Symbol für Juden. Die Eule meidet das Tageslicht, und »die Juden« mieden das Licht der christlichen Lehre.

Die Weisen des Talmuds hatten eine Art Misstrauen gegenüber der nachtaktiven Eule

Eine Art Misstrauen gegenüber der nachtaktiven Eule scheinen auch die Weisen des Talmuds zu haben. So heißt es in Berachot 57b, alle Vögel seien im Traum ein gutes Zeichen – mit Ausnahme von drei Nachtaktiven: »Alle Arten von Vögeln sind im Traum ein gutes Zeichen, mit Ausnahme des Uhus, der Eule und der Fledermaus.« Die Übersetzung des Wortes »Kurferai« mit »Fledermaus« ist jedoch nicht gesichert.

Gewisse Unsicherheiten bestehen seit der Zeit des Talmuds bei den vielen Bezeichnungen der Eule und ihrer Unterarten in der Tora. Diese werden in einer Liste von Tieren genannt, die nicht zum Verzehr geeignet sind (3. Buch Mose 11, 13–19).

Rabbiner Samson Raphael Hirsch (1808–1888) entschied sich, die hebräischen Namen der genannten Tierarten nicht zu übersetzen: »Und diese sollt ihr als Abscheu halten von dem Geflügel, sie sollen nicht gegessen werden, Abscheu sind sie: den Rescher, den Peres und die Osnija; die Daʼa und die Aja nach ihrer Art; jeden Oreb nach seiner Art; die Bat Hajaʼana, den Tachmas, den Schachaf und den Nez nach seiner Art; den Kos, den Schalach und den Janschuf; die Tinschemet, den Kaʼat und den Racham; die Chassida, die Anafa nach ihrer Art, die Duchifat und den Atalef.«

Welche davon sind Eulenarten? Tinschemet oder Ka’at beispielsweise. Zwar wurde Ka’at zuweilen mit »Pelikan« übersetzt, aber im Buch Jeschajahu (34,11) wohnt das Tier Ka’at in Ruinen – wie etwa die Eule, aber nicht der Pelikan.

Diese Schwierigkeiten hatten bereits die Gelehrten des Talmuds. In Chullin 63a heißt es, dass die Weisen in einer Barajta lehrten: »Der Tinschemet ist der Baʼut unter den Vögeln. Man könnte fragen: Sagt man, dass es der Baʼut unter den Vögeln ist, oder ist es nur der Baʼut unter den Kriechtieren?« Mit Baʼut könnte eine aramäische Bezeichnung für ein Tier gemeint sein, oder das abscheulichste Tier, das denkbar ist. Jedenfalls war nicht klar, ob es sich um einen Vogel oder ein Kriechtier handelte.

Zu 3. Buch Mose 11,17 kommentiert Raschi (1040–1105), dass »Schalach« ein Vogel ist, der Fische aus dem Wasser zieht, und »Kos« und »Janschuf« seien »Chouettes«. Raschi verwendet hier tatsächlich das französische Wort für Eulen. Möglicherweise ist dann Schalach die Fischeule.

Dementsprechend kann Jeschajahus Prophezeiung über die Rache an Edom (34,11) in folgender Weise übertragen werden: »Die Wüsteneule und die Schleiereule werden es besitzen; die große Eule und der Rabe werden dort nisten.« Eulen als Bewohner von Ruinen also für die Vernichtung der Häuser und Reiche.

Eulen können auch Zerstörung symbolisieren

Im Buch Zefanja (2,14) symbolisieren Eulen die Zerstörung von Assyrien: »Darin sollen sich die Herden niederlassen, alle Arten von Tieren, während Dohlen und Eulen sich auf den Kapitellen niederlassen, die große Eule schreit im Fenster, und der Rabe krächzt auf der Schwelle.«

Die Eule ist aber zugleich ein Symbol für den prophetischen Ausblick auf die Niederlage Edoms. So wird in Chullin (63a) erzählt, dass Rabbi Jochanan einen Schalach sah und ausrief: »Deine Gerechtigkeit wird sogar in den Tiefen des Meeres vollzogen.« Damit bezog er sich auf die Prophezeiung Jeschajahus.

Die Eule war also Fremdzuschreibung des jüdischen Volkes und ist heute Symboltier der kommenden Zeit.

Wajischlach

Wahre Brüder, wahre Feinde?

Die Begegnung zwischen Jakow und Esaw war harmonisch und belastet zugleich

von Yonatan Amrani  13.12.2024

Talmudisches

Licht

Was unsere Weisen über Sonne, Mond und die Tora lehren

von Chajm Guski  13.12.2024

Hildesheimer Vortrag

Das Beste im Menschen sehen

Der Direktor der Yeshiva University, Rabbiner Ari Berman, zeigt einen Ausweg aus dem Frontendenken unserer Zeit

von Mascha Malburg  13.12.2024

Debatte

Rabbiner für Liberalisierung von Abtreibungsregelungen

Das liberale Judentum blickt anders auf das ungeborene Leben als etwa die katholische Kirche: Im jüdischen Religionsgesetz gelte der Fötus bis zur Geburt nicht als eigenständige Person, erklären liberale Rabbiner

von Leticia Witte  11.12.2024

Vatikan

Papst Franziskus betet an Krippe mit Palästinensertuch

Die Krippe wurde von der PLO organisiert

 09.12.2024

Frankfurt

30 Jahre Egalitärer Minjan: Das Modell hat sich bewährt

Die liberale Synagogengemeinschaft lud zu einem Festakt ins Gemeindezentrum

von Eugen El  09.12.2024

Wajeze

»Hüte dich, darüber zu sprechen«

Die Tora lehrt, dass man ein Gericht anerkennen muss und nach dem Urteil nicht diskutieren sollte

von Chajm Guski  06.12.2024

Talmudisches

Die Tora als Elixier

Birgt die Tora Fallen, damit sich erweisen kann, wer zur wahren Interpretation würdig ist?

von Vyacheslav Dobrovych  06.12.2024

Hildesheimer Vortrag 2024

Für gemeinsame Werte einstehen

Der Präsident der Yeshiva University, Ari Berman, betonte die gemeinsamen Werte der jüdischen und nichtjüdischen Gemeinschaft

von Detlef David Kauschke  05.12.2024