Internet

Der virtuelle Schulhof

Fast die Hälfte der 8- bis 13-Jährigen ist bereits in sozialen Netzwerken aktiv – obwohl es ihnen aufgrund der Altersbegrenzung nicht erlaubt ist. Foto: Fotolia

Das Internet ist ein großartiges Marketinginstrument und zum Beispiel für Musiker eine Chance, groß herauszukommen. Die jüdische A-capella-Gruppe »Maccabeats« erreichte so mit ihrem Chanukka-Song etwa fünf Millionen Menschen. Die sozialen Netzwerke wie Facebook, Studi- oder SchülerVZ, oder russischsprachige Netzwerke VKontakte oder odnoklassniki.ru spielen dabei eine große Rolle. Allerdings kann die Dynamik der Netzwerke auch sehr viel weniger konstruktiv wirken. Gerüchte, Falschbehauptungen oder Schmähungen aller Art machen die Runde. Die vermeintliche Anonymität – die es so vollständig nicht gibt – verleitet offensichtlich dazu, Dinge in die Welt zu setzen, die man unter anderen Umständen lieber für sich behalten hätte. Ein größeres Bewusstsein für den Datenschutz und dafür, dass sich auch Personalabteilungen für die Netzwerke und ihre Nutzer interessieren, hat in den vergangenen Monaten für einen verantwortungsvolleren Umgang gesorgt.

Schüler Ganz anders sieht es bei den Schülern aus. Diese drängen nun auch in die Netzwerke, und es wurden spezielle Umgebungen geschaffen. Das SchuelerVZ dürfte zu den bekannteren Portalen der Zielgruppe gehören. Der Medienpädagogische Forschungsverband Südwest fand kürzlich heraus, dass fast die Hälfte der 8- bis 13-Jährigen diese Dienste nutzen; wenngleich Schülern unter 13 eigentlich die Nutzung dieser Seiten durch die Betreiber untersagt ist.

Im Gegensatz zu den »erwachsenen« Netzwerken sind die Schülernetzwerke eine Art erweiterter Schulhof. Wer nicht sonderlich beliebt ist bei seinen Mitschülern, der wird auch hier auf die gleichen Mechanismen von Ablehnung stoßen und könnte sogar zum Opfer von tatsächlichem Mobbing werden. Allerdings hier ohne zeitliche Begrenzung und ohne große Möglichkeiten, dies durch Sanktionen zu unterbinden. War man nach den Auseinandersetzungen auf dem Schulhof zumindest zu Hause »sicher«, so gehen die Gemeinheiten online weiter. Ohne zeitliche und räumliche Begrenzung. Es ist bekannt, dass dies weitreichende Folgen haben kann, bis hin zu psychischen Schäden oder körperlichen Auswirkungen. Zudem wirkt sich der Druck negativ auf die schulischen Leistungen der Opfer aus.

Einfach entziehen können sich die Schüler dem nicht. Wer nicht präsent ist in den Netzwerken seiner »Freunde«, gehört eben nicht zum Kreis der angesagten Schüler. Die Mechanismen, von denen die jüdische Tradition sagt, dass sie Menschen zerstören können, kommen hier zum Tragen. Im Talmud (Arachin 15a) wird sogar gesagt, dass Klatsch drei Menschen tötet. Denjenigen, der ihn verbreitet, denjenigen, der Thema des Klatsches ist und denjenigen, der ihm auch noch zuhört und ihn aufnimmt.

Macht Keine Geschichte passt besser zum Internet als die »alte« Geschichte über die Macht der Worte und deren Eigendynamik, in der berichtet wird, dass ein Mann zu seinem Rabbiner kam, um sich für die schlechte Rede über eine andere Person zu entschuldigen. Der Rabbi sagt dem Mann, er solle dazu auf einen Hügel steigen, ein Kissen öffnen und die Federn mit dem Wind verteilen. Der Mann macht das und berichtet dem Rabbi stolz, den Auftrag ausgeführt zu haben. »Gut«, sagt der Rabbi, »dann sammle sie jetzt wieder ein«. »Aber das ist unmöglich!«, entgegnet der Mann. »Siehst du, sagt der Rabbi. So ist es auch mit deinen Worten.« Heute würde man formulieren: Einmal in die »Cloud« gepustet, sind sie unterwegs.

Gerüchte Weil das Problembewusstsein bei Schülern – noch – fehlt, erleben wir derzeit dieses Verhalten nahezu ungefiltert. Die Krönung dieser Mechanismen ist die Seite isharegossip.com. Trotz des englischen Namens (übersetzt: »Ich teile Gerüchte«) handelt es sich um eine deutschsprachige Seite, die sich speziell an Schüler wendet. »Schreib hier deine Neuigkeiten, Gerüchte und Lästereien rein und wähle oben eine Kategorie aus, indem du auf sie klickst«, und die Schüler folgen der Anweisung. Die Einträge sind zu einem Großteil knallharte Beleidigungen. Den Nutzern ist offensichtlich nicht klar, dass sie sich sogar strafbar machen.

Einmal im Netz, ist es auch gleich von überall einsehbar und nicht immer direkt wieder zu löschen. Dadurch, dass die entsprechenden »Neuigkeiten« nach Stadt und Schule sortiert werden, sind sie auch schnell zuzuordnen und sorgen so für den gewünschten Effekt, die Schädigung einer anderen Person. Bei eklatanten Verstößen kann möglicherweise die Justiz helfen. Bei den sozialen Netzwerken sind die Problemlösungen nicht so einfach, denn hier ist das entsprechende Bewusstsein gefragt. Benötigt wird auch eine Art Fenster der Eltern in die Welt ihrer Kinder, ohne dass sie direkt die gesamte Kommunikation überwachen. Eltern sollten sich mit den Kindern darüber austauschen, was sie auf welchen Internetseiten tun – und mit wem sie Kontakt pflegen.

Vorbild Die Yeshivah of Flatbush, die Joel-Braverma-High-School, unterrichtet Kinder, die aus einem religiösen Elternhaus kommen. Sie hat das Online-Problem durch die Zusammenarbeit älterer Schüler mit jüngeren gelöst. Die älteren nehmen eine Vorbildfunktion ein und leiten die jüngeren zu verantwortungsbewusstem Handeln an. Ihre Schilderungen sind zudem glaubhafter als die der Lehrkräfte. Sie erläutern, welche weitreichenden Folgen das Handeln im Netz haben kann und schaffen ein Problembewusstsein.

Ein einfaches Verbot an die Adresse der Schüler dürfte kontraproduktiv sein. Selbst in der ultraorthodoxen Welt haben einflussreiche Rabbiner ihren Anhängern bestimmte Seiten oder die Internetnutzung insgesamt verbieten wollen. Mit der Folge, dass dies nun heimlich geschieht und damit außerhalb jeglicher Kontrolle. Das würde auch für Schüler gelten. Zudem gibt es für viele gute Gründe, bestimmte Netzwerk-Seiten zu nutzen. Ausnahmen, wie isharegossip.com, bestätigen die Regel.

Ki Teze

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