Talmudisches

Der schlaue Fuchs

Nicht nur die griechischen Fabeldichter, sondern auch die Weisen des Talmuds hielten den Fuchs für durchtrieben. Foto: Mark bridger

Durch die Fabeln des antiken griechischen Dichters Aesop haben viele Tiere die Eigenschaften erhalten, die wir ihnen heute zuschreiben: Der Hase ist vorsichtig, aber auch vorlaut, der Löwe mächtig und königlich, und der Fuchs ist schlau, aber durchtrieben.

Die Weisen des Talmuds sahen es ähnlich, und möglicherweise kannten sie die Fabeln. Der Fuchs begegnet uns hier verschiedene Male, oft nur in kurzen, sprichworthaften Sätzen wie »Sei lieber der Schwanz unter den Löwen als der Kopf der Füchse« (Sanhedrin 37a).

Löwe Ein kurzer Schlagabtausch in Bawa Kamma (117a) zitiert ein anderes Sprichwort: »Rabbi Jochanan sprach zu Rabbi Schimon ben Lakisch: ›Der Löwe, den du erwähnt hast, ist ein Fuchs geworden.‹« Mit anderen Worten: Derjenige, von dem Gutes gedacht wurde, hat sich als dümmer herausgestellt.

Auf der anderen Seite beschreibt Rabbi Chijja bar Abba (Sota 10a) den Fuchs als »das Tier, das rückwärts läuft, wenn es flieht«. Der Fuchs ist also clever genug, seinem Feind nicht den Rücken zuzuwenden. Und dennoch habe auch der Fuchs »seine Stunde«. Dazu heißt es im Talmud: »Wenn der Fuchs seine Stunde hat, soll man sich vor ihm verneigen.«

Geschichten über den Fuchs scheint es zahlreiche gegeben zu haben: »Rabbi Jochanan sagt: ›Rabbi Meir kannte 300 Geschichten über Füchse, und wir haben nur drei‹« (Sanhedrin 38b).

Vorfahren Überliefert sind leider keine 300 mehr. Rabbi Akiwa erzählte die bekannteste von ihnen: »Es war einmal ein Fuchs, der an einem Flussufer entlangging und sah, dass sich die Fische versammeln und von einem Ort zum anderen fliehen. Der Fuchs sprach: ›Wovor flieht ihr?‹ Darauf antworteten die Fische: ›Wir fliehen vor den Netzen, die die Menschen auf uns werfen.‹ Da antwortete der Fuchs: ›Kommt doch aufs trockene Land, wir werden zusammen wohnen, so wie meine Vorfahren bei euren Vorfahren gewohnt haben.‹ Die Fische antworteten ihm: ›Du bist derjenige, von dem man sagt, er sei das klügste aller Tiere? Du bist nicht klug; du bist ein Narr. Wenn wir im Wasser, dem Raum, der uns das Leben schenkt, Angst haben, dann erst recht in einem Lebensraum, der uns den Tod bringt‹« (Berachot 61b).

Rabbi Akiwa wollte damit lehren, dass das jüdische Volk trotz römischer Unterdrückung das Torastudium und damit auch das jüdische Leben weiterführen sollte, denn dies sei das Terrain des jüdischen Volkes. Dies sei besser, als untätig auf das Terrain der Römer zu kommen.
Der Raschi-Kommentar zu Sanhedrin 39a überliefert eine Geschichte über den Fuchs und den Wolf. Beide hatten es auf einen gedeckten Tisch abgesehen, und als der Fuchs sich bedienen wollte, machte der Wolf viel Lärm. Die Gesellschaft wurde darauf aufmerksam und setzte dem Fuchs nach. Als sie ihm folgte, ließ es sich der Wolf gut gehen. Das wollte der Fuchs nicht auf sich sitzen lassen, so erzählte er ihm von einem großen Käse, den Dorfbewohner an einem geheimen Ort versteckten. Und so führte er den neugierigen Wolf bei Nacht zu einem Brunnen. Darin spiegelte sich der Mond – und sah aus wie ein Käse. Es gab zwei Eimer, und der Fuchs sagte, er setze sich in einen und der Wolf in den anderen. Schnell sauste der Wolf nach unten. Der Fuchs blieb oben, stieg aus und war den Wolf los.
Und wenn der Fuchs uns begegnet? Das muss nicht immer ein schlechtes Zeichen sein. Die Weisen sehen folgende Dinge als schlechte Zeichen für eine Reise: wenn jemandem der Stab aus der Hand fällt, wenn jemand von seinem Sohn von hinten gerufen wird, wenn ein Rabe ihm zuruft oder wenn ein Reh ihm den Weg versperrt, wenn eine Schlange zu seiner Rechten ist oder ein Fuchs zu seiner Linken. Wer sich aber darauf verlasse, der sei ein Zauberer, den es nicht im jüdischen Volk geben dürfe. Also besser nicht darauf achten (Sanhedrin 65b).

Pferde Erinnert sich noch jemand an den Fuchsschwanz, der so manches Auto schmückte? Der Talmud kennt ihn für Pferde. In Schabbat 53a wird berichtet, dass man offenbar einen Fuchsschwanz (oder einen roten Faden) zwischen den Augen eines Pferdes befestigt hat. Auch wenn also viele der Geschichten heute verloren sind, zeigen sie doch, dass sich viele Motive seit der Zeit der Weisen des Talmud gehalten haben.

Die in Genf geborene Schweizer Schriftstellerin und Philosophin Jeanne Hersch aufgenommen im März 1999

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