Talmudisches

Der Richter im Gefängnis

Für ein Urteil, das Rabbi Banaah gefällt hatte, wurde er ins Gefängnis gesteckt (Baba Batra 58a). Foto: Getty Images

Ein Urteil, das Rabbi Banaah gefällt hatte, führte dazu, dass er verhaftet und ins Gefängnis gesteckt wurde (Baba Batra 58a). Der angesehene Gelehrte war gebeten worden, als Richter eine rätselhafte Erbschaftsangelegenheit zu klären. Es gelang ihm, die Absicht eines Vaters zu erkennen, der sein Vermögen nur einem seiner zehn Söhne hinterlassen wollte. Der Rabbi entschied, welcher Sohn alles erben sollte.

Weil er die neun anderen Söhne, die nach seinem Urteil leer ausgehen sollten, schützen wollte, gab Rabbi Banaah keine Begründung für seine Entscheidung. Doch die Söhne fühlten sich ungerecht behandelt. »Sie zeigten Rabbi Banaah bei der (nichtjüdischen) Regierung an und sprachen: ›Es gibt einen Mann bei den Juden, der ohne Zeugen und ohne Beweisführung den Leuten Geld abnimmt.‹ Daraufhin holte man Rabbi Banaah und sperrte ihn ein.«

Verfahren Zwar schildert der Talmud die nächsten Schritte des Verfahrens nicht, aber wir können annehmen, dass Rabbi Banaah den Vertretern der Justizbehörde bei ihrer routinemäßigen Befragung erklärt hat, ein erfahrener und weiser jüdischer Richter dürfe manchmal nach seinem Ermessen (aramäisch: »schude dedajne«) ein Urteil fällen. Entweder hielten die Ermittler Rabbi Banaah nicht für einen Weisen, oder das Konzept von »schude dedajne« erschien ihnen problematisch – jedenfalls ließen sie Rabbi Banaah nach der ersten Anhörung nicht sofort frei. Zu einem Prozess gegen ihn kam es aber nicht.

Der Talmud erzählt: »Da ging seine Frau zu den Regierungsbeamten und klagte vor ihnen: ›Ich hatte einen Knecht, und man schlug ihm den Kopf ab, zog ihm die Haut ab, aß sein Fleisch und schöpfte mit ihm Wasser, das man den Genossen zu trinken gab. Mir aber zahlte man keinen Ersatz und keinen Lohn.‹«

Was sollte diese seltsame Klage bewirken? Lazarus Goldschmidt (1871–1950) erklärt, Rabbi Banaahs Ehefrau habe die Beamten von der Weisheit ihres Mannes überzeugen wollen.

Der obskure Plan der klagenden Frau ging tatsächlich auf: »Die Regierungsbeamten verstanden überhaupt nicht, was die Klägerin zu ihnen sprach, und sagten daher: ›Wir wollen den Weisen der Juden herholen, und er soll es uns sagen.‹ Alsdann ließen sie Rabbi Banaah kommen, und er sagte zu ihnen: ›Sie spricht zu euch von einem Schlauch.‹ Hierauf sagten die Verantwortlichen: ›Da Rabbi Banaah so weise ist, mag er am Tor sitzen und Recht sprechen!‹«

Josef Diese Geschichte erinnert uns an Josef im 1. Buch Mose: Aus dem Gefängnis befreit, wurde ihm sogleich ein hohes Amt angetragen. Wie der biblische Josef der ägyptischen Gesellschaft einen wichtigen Dienst erwies und deshalb gelobt wurde, so fand auch Rabbi Banaahs Wirken als Jurist in seiner Stadt Anerkennung.

Der Talmud berichtet, dass Rabbi Banaah an seinem neuen Arbeitsplatz einen Gesetzestext fand, der ihm fehlerhaft erschien. Am Stadttor stand nämlich: »Ein Richter, der vor Gericht geladen wurde, ist kein Richter.« Was ist der Sinn dieser Verordnung? Dass nur solche Leute als Richter wirken dürfen, die ehrlich sind, und nicht solche, die bereits verklagt wurden.

Rabbi Banaah kritisierte die Formulierung: Jemand könnte einen missliebigen Richter einfach so verklagen und ihn dadurch aus seinem Amt jagen. Er schlug eine bessere Formulierung vor: »Ein Richter, der vor Gericht geladen und dann zur Zahlung verurteilt wurde, ist kein Richter.«

Zur Disqualifikation eines Richters genügt also nicht die Erhebung der Anklage, sondern erst, wenn er rechtskräftig verurteilt wurde, verliert ein Richter sein Amt.

Die Schrift am Stadttor wurde daraufhin ergänzt: »Aber die Ältesten der Juden sagen: Ein Richter, der vor Gericht geladen und zur Zahlung verurteilt wurde, ist kein Richter.«

Potsdam

Ministerin Prien: Frauen in religiösen Ämtern sind wichtiges Vorbild

Zwei Frauen, ein starkes Zeichen: In Berlin sind zwei neue Rabbinerinnen ordiniert worden. Beim Festakt spricht Ministerin Prien von Hoffnung, Heilung und warum ihr die jüdische Ausbildungsstätte wichtig ist

von Karin Wollschläger  06.11.2025

Chassidismus

Im Sturm der Datenflut

Was schon Rabbi Nachman über Künstliche Intelligenz wusste

von Rabbiner David Kraus  06.11.2025

Rezension

Orthodoxer Rebell

Sein Denken war so radikal, dass seine Werke nur zensiert erschienen: Ein neues Buch widmet sich den Thesen von Rabbiner Kook

von Rabbiner Igor Mendel  06.11.2025

Potsdam

Abraham-Geiger-Kolleg ordiniert zwei Rabbinerinnen

In Deutschlands größter Synagoge Rykestraße in Berlin-Prenzlauer Berg werden an diesem Donnerstag zwei Rabbinerinnen ordiniert. Zu der Feier wird auch Polit-Prominenz erwartet

 05.11.2025

Vatikan

Theologe: Antisemitismus bei Vatikan-Konferenz kein Einzelfall

Der Salzburger Theologe Hoff berichtet über Eklats bei einer jüngsten Vatikan-Konferenz. Ein Schweizergardist soll sich verächtlich über Mitglieder einer jüdischen Delegation geäußert und in ihre Richtung gespuckt haben

 04.11.2025

Wittenberg

Judaistin kuratiert Bildungsort zur Schmähplastik

Die Darstellung der sogenannten »Judensau« an der Wittenberger Stadtkirche, der früheren Predigtkirche des Reformators Martin Luther (1483-1546), gehört in Deutschland zu den bekanntesten antisemitischen Darstellungen des Mittelalters

 02.11.2025

Lech Lecha

Im Sinne der Gerechtigkeit

Awraham war der Erste in der Menschheitsgeschichte, der gegen das Böse aufstand

von Rabbiner Salomon Almekias-Siegl  31.10.2025

Talmudisches

Audienz beim König aller Könige

Was unsere Weisen über das Gebet und seine Bedeutung lehren

von Rabbiner Avraham Radbil  31.10.2025

Geschichte

Wer war Kyros der Große?

Manche behaupten, Donald Trump sei wie der persische Herrscher, der den Juden die Rückkehr nach Jerusalem erlaubte. Was hinter dem Vergleich steckt

von Rabbiner Raphael Evers  30.10.2025