Neulich beim Kiddusch

Der dritte Torwart

Hütet das Tor der Reserve: Nachwuchskeeper Felix Wiedwald Foto: imago

Ich habe mich in den letzten Tagen oft gefragt, wie sich ein dritter Torwart bei einer Fußball-Weltmeisterschaft fühlen muss. Die Wahrscheinlichkeit, dass er mal ins Tor gehen darf, ist doch sehr minimal. Es müssten schon seltsame Zufälle passieren: Torhüter 1 und 2 essen beide das Ei-Sandwich mit Salmonellen, oder sie prügeln sich in der Pause wegen einer Frau.

Vielleicht braucht man ihn auch nur für das Goalie-Training, wo er die Bälle aufsammeln muss. Keine Ahnung. Trotzdem gibt es wahrscheinlich niemanden, der nicht als dritter Torwart nach Südafrika reisen möchte. Und sei es, um in den Hotels die Handtücher einzustecken.

vuvuzela Manchmal bin ich in der Synagoge in einer ähnlichen Lage. Wenn ich zum Beispiel einen Kantor höre, der wie eine Vuvuzuela singt, dann wünsche ich mir des Öfteren, dass irgendjemand auf die Kanzel steigt und ausruft: »Gibt es hier noch jemanden, der Hebräisch lesen kann?«

Gleiches ist mir auch schon mal bei einer Predigt passiert. Der Rabbi spielte so offensichtlich auf Zeit, dass man vermuten musste, seine Frau habe ihm wieder mal keine Zeit zum Nachdenken gelassen. In diesem Moment wünschte ich mir, er hätte abgebrochen. Einfach so. Und ich wäre hinaufgegangen und hätte die Schrifterklärung zum Beispiel aus der Jüdischen Allgemeinen schnell runtergelesen.

Wir wollen die WM nicht überstrapazieren, aber die Gemeinsamkeiten zwischen einer Fußballmannschaft und einem traditionellen Minjan sind doch frappierend. Sowohl zum Kicken als auch in der Synagoge versammeln sich im besten Falle elf Männer. Ich kann mich noch gut erinnern, wie wir in unserer alten, kleinen Synagoge erst ab elf Männern mit dem Beten begonnen haben. Einer war sicher immer Nichtjude. Ich finde es auch schön, dass Frauen auf dem Spielfeld nichts zu suchen haben. Das ist aber meine persönliche Meinung. Ich weiß, es gibt bestimmt auch gute Vorbeterinnen oder Fußballspielerinnen, nur habe ich solche noch nie gesehen.

hotel-Handtücher Ich denke jedoch, dass Frauen vor allem wichtig sind für die dritten Torwarte. Die kommen zurück aus Afrika und wollen in den Arm genommen werden. Am besten von der Mutter oder der besten Freundin. Zu Hause wartet ein warmes Vollbad auf den Helden. Dafür bekommen sie zehn Hotel-Handtücher.

Mit der Synagoge ist es gar nicht viel anders. »Wurdest du zur Tora aufgerufen?« – »Nein.« – »Oh, Schatz, das tut mir leid. Willst du dafür zweimal Gefilte Fisch?«

Doppel-Interview

»Wir teilen einen gemeinsamen Wertekanon«

Vor 60 Jahren brachte das Konzilsdokument »Nostra aetate« eine positive Wende im christlich-jüdischen Dialog. Bischof Neymeyr und Rabbiner Soussan blicken auf erreichte Meilensteine, Symbolpolitik und Unüberwindbares

von Karin Wollschläger  25.11.2025

Konzil

»Eine besondere Beziehung«

»Nostra Aetate« sollte vor 60 Jahren die Fenster der katholischen Kirche weit öffnen – doch manche blieben im christlich-jüdischen Dialog verschlossen. Ein Rabbiner zieht Bilanz

von David Fox Sandmel  21.11.2025

Toldot

An Prüfungen wachsen

Warum unsere biblischen Ureltern Hungersnöte und andere Herausforderungen erleben mussten

von Vyacheslav Dobrovych  20.11.2025

Kalender

Der unbekannte Feiertag

Oft heißt es, im Monat Cheschwan gebe es keine religiösen Feste – das gilt aber nicht für die äthiopischen Juden. Sie feiern Sigd

von Mascha Malburg  20.11.2025

Talmudisches

Gift

Was unsere Weisen über die verborgenen Gefahren und Heilkräfte in unseren Speisen lehren

von Rabbinerin Yael Deusel  20.11.2025

Jan Feldmann

Eine Revolution namens Schabbat

Wir alle brauchen einen Schabbat. Selbst dann, wenn wir nicht religiös sind

von Jan Feldmann  19.11.2025

Religion

Rabbiner: Macht keinen Unterschied, ob Ministerin Prien jüdisch ist

Karin Priens jüdische Wurzeln sind für Rabbiner Julian-Chaim Soussan nicht entscheidend. Warum er sich wünscht, dass Religionszugehörigkeit in der Politik bedeutungslos werden sollte

von Karin Wollschläger  19.11.2025

Sachsen-Anhalt

Judenfeindliche Skulptur in Calbe künstlerisch eingefriedet

Die Kunstinstallation überdeckt die Schmähfigur nicht komplett. Damit soll die Einfriedung auch symbolisch dafür stehen, die Geschichte und den immer wieder aufbrechenden Antisemitismus nicht zu leugnen

 19.11.2025

USA

6500 Rabbiner auf einem Foto

»Kinus Hashluchim«: Das jährliche Treffen der weltweiten Gesandten von Chabad Lubawitsch endete am Sonntag in New York

 17.11.2025