10. Tewet

»Der Anfang des Unglücks ist schlimmer als das Ende«

Der 10. Tewet fällt in den Winter und ist der kürzeste aller Fastentage. Foto: Thinkstock

Es gibt vier Fastentage, die die Propheten eingeführt haben, um tragischer Ereignisse in der jüdischen Geschichte wie der Zerstörung des Ersten und des Zweiten Tempels und der Vertreibung der Juden aus dem Land Israel zu gedenken. Das sind das Fasten am 17. Tamus, am 9. Aw, an Zom Gedalja und am 10. Tewet, der in diesem Jahr auf Sonntag, den 8. Januar, fällt.

Nebukadnezar Leider gab es in unserer Geschichte viele weitere Unglücke und tragische Ereignisse. Allerdings wollten unsere Weisen die Menschen nicht mit noch mehr Fastentagen belasten und haben lediglich das Esther-Fasten im Monat Adar hinzugefügt. Gerade deshalb wirkt die Begründung für den Fastentag am 10. Tewet zunächst ein wenig seltsam: Wir fasten, weil an diesem Tag der babylonische Eroberer Nebukadnezar Jerusalem belagert hat.

Doch ist das wirklich ein wichtiger Grund zu fasten? Schließlich dauerte die Belagerung zweieinhalb Jahre an. Außerdem gab es im Monat Tewet noch weitere unglückliche Ereignisse, unter anderem am 8. und am 9. Tewet. Unsere Zaddikim, die Gerechten, fasten auch an diesen beiden Tagen, doch nur am 10. Tewet gilt das Fastengebot für alle Juden.

Freitag Es gibt noch eine weitere Besonderheit an diesem Fastentag: Unsere Weisen haben den jüdischen Kalender so ausgelegt, dass kein Fasten auf einen Freitag fallen soll. Denn am Freitag sollen die Menschen sich gründlich auf den heiligen Schabbat vorbereiten und schon einmal von den leckeren Schabbatgerichten kosten, um am Schabbat keine Überraschungen zu erleben.

Jedoch gibt es einen einzigen Fastentag, der auf einen Freitag fallen kann, und das ist der 10. Tewet! Was also ist so bedeutend am Gedenken des Anfangs der Belagerung Jerusalems, dass deswegen sogar an einem Freitag gefastet werden darf?

Unsere Weisen geben eine kurze Antwort darauf: »Der Anfang des Unglücks ist schlimmer als das Ende.« Das aber ist zunächst schwer zu verstehen, denn schließlich ist das Fasten am 9. Aw, an dem wir die Zerstörung der beiden Tempel von Jerusalem beklagen, das sogenannte große Fasten, das 25 Stunden dauert.

Am 10. Tewet fasten wir im Gegensatz dazu nur von der Morgendämmerung (»Alot ha-Schachar«) bis zum Sternaufgang (»Zet ha-Kochawim«), was im Winter nicht sehr lange dauert. Jedoch liegt in den Worten unserer Rabbiner eine tiefere Weisheit verborgen: Der Anfang des Unglücks ist die wichtigste Zeit.

Tragödie Oft scheint die Tragödie noch in weiter Ferne. Der Mensch glaubt, dass sich irgendwie alles klären wird und er noch die Zeit hat, einzuschreiten – oder dass er sich darauf vorbereiten kann, wenn die Tragödie unvermeidbar ist. Denn der Mensch gewöhnt sich langsam an die Idee einer kommenden Katastrophe, wird aber schlussendlich doch von ihr überrascht und kann nicht mehr reagieren.

In der Geschichte von Purim finden wir diesen Gedanken wieder. Bekanntlich hat der Bösewicht Haman gewürfelt, um das passende Datum für die Vernichtung des jüdischen Volkes zu ermitteln. Das Losverfahren fand im Nissan, dem 1. Monat des Jahres, statt. Der Mord sollte erst im Adar, dem zwölften Monat, geschehen. Also blieb scheinbar noch fast ein ganzes Jahr Zeit, gegen das böse Dekret vorzugehen.

Jedoch realisierte Mordechai, der Anführer des jüdischen Volkes, dass er sehr schnell handeln musste. Esther, die Königin, hatte ein dreitägiges Fasten angeordnet, um das Volk zur Teschuwa (Umkehr) zu bringen. Dabei wurde sogar an Pessach gefastet, einem der Hauptfeiertage der Tora! Denn Mordechai und Esther wussten ganz genau: Wenn man jetzt nicht handelt, wird es später unmöglich sein, etwas zu verändern. Nur zu dem Zeitpunkt, als der Eindruck von der furchtbaren Nachricht noch frisch war, war es auch möglich, das Volk zur Teschuwa zu bringen.

Populismus Wir leben in einer Zeit, in der Populismus und Antisemitismus immer stärkeren Zulauf haben und zunehmend salonfähig werden. Oft wird die heutige Zeit mit den 30er-Jahren des 20. Jahrhundert verglichen. Damals fing alles mit Karikaturen von Juden und bösartigen Filmen an. Wo es endete, wissen wir.

Gerade deshalb ist der Fastentag des 10. Tewet heutzutage besonders wichtig für alle Juden, ob sie nun gläubig sind oder nicht. Es ist der Tag, an dem wir klar und eindeutig erkennen müssen, dass es sehr böse enden kann, wenn wir die aktuellen Entwicklungen einfach »laufen lassen« und nicht aktiv etwas dagegen unternehmen.

München

Knobloch lobt Merz-Rede in Synagoge

Am Montagabend wurde in München die Synagoge Reichenbachstraße wiedereröffnet. Vor Ort war auch der Bundeskanzler, der sich bei seiner Rede berührt zeigte. Von jüdischer Seite kommt nun Lob für ihn - und ein Appell

von Christopher Beschnitt  16.09.2025

Rosch Haschana

Jüdisches Neujahrsfest: Bischöfe rufen zu Verständigung auf

Stäblein und Koch betonten in ihrer Grußbotschaft, gerade jetzt dürfe sich niemand »wegducken angesichts von Hass und Antisemitismus«

 16.09.2025

Bayern

Merz kämpft in Synagoge mit Tränen

In München ist die Synagoge an der Reichenbachstraße feierlich wiedereröffnet worden, die einst von den Nationalsozialisten zerstört wurde. Der Bundeskanzler zeigte sich gerührt

von Cordula Dieckmann  17.09.2025 Aktualisiert

Ki Tawo

Echte Dankbarkeit

Das biblische Opfer der ersten Früchte hat auch für die Gegenwart eine Bedeutung

von David Schapiro  12.09.2025

Talmudisches

Schabbat in der Wüste

Was zu tun ist, wenn jemand nicht weiß, wann der wöchentliche Ruhetag ist

von Yizhak Ahren  12.09.2025

Feiertage

»Zedaka heißt Gerechtigkeit«

Rabbiner Raphael Evers über Spenden und warum die Abgabe des Zehnten heute noch relevant ist

von Mascha Malburg  12.09.2025

Chassidismus

Segen der Einfachheit

Im 18. Jahrhundert lebte in einem Dorf östlich der Karpaten ein Rabbiner. Ohne je ein Werk zu veröffentlichen, ebnete der Baal Schem Tow den Weg für eine neue jüdische Strömung

von Vyacheslav Dobrovych  12.09.2025

Talmudisches

Stillen

Unsere Weisen wussten bereits vor fast 2000 Jahren, was die moderne Medizin heute als optimal erkennt

von David Schapiro  05.09.2025

Interview

»Die Tora ist für alle da«

Rabbiner Ethan Tucker leitet eine Jeschiwa, die sich weder liberal noch orthodox nennen will. Kann so ein Modell auch außerhalb New Yorks funktionieren?

von Sophie Goldblum  05.09.2025