Gebet

Den Minhag bewahren

»Gebet für den König« – auf Portugiesisch Foto: Chajm Guski

Der Buchdruck war ein Segen für das Volk des Buches. Aber er blieb nicht ohne Nachteil für die Vielfältigkeit der Gemeinden. Denn gedruckte Siddurim und Toraausgaben bildeten meist den Minhag (Brauch) des Ortes ab, an dem sie entstanden. So wies etwa der Rödelheimer Siddur noch auf die Bräuche der damaligen Nachbarstadt Frankfurt am Main hin – auf die Bräuche anderer Gemeinden wurde darin natürlich nicht eingegangen.

Das Internet und die große Verbreitung kostengünstiger Bücher verstärkt diesen Prozess. Informationen sind leicht verfügbar, passen aber nicht immer zu lokalen Gegebenheiten. So verschwinden immer mehr lokale Minhagim – nicht nur, weil die Gemeinden kleiner werden, sondern vor allem deshalb, weil günstige und leicht erhältliche Siddurim den Markt dominieren und entsprechend tonangebend sind.

Tradition Der israelische Verlag Koren, der hervorragend gestaltete Bücher für ein großes Publikum herausbringt, hat diesen Prozess der Vereinheitlichung nun erstmals in der Geschichte umgedreht. Er hat – mit den technischen Mitteln eines großen Verlags – einen Siddur für eine kleine Gemeinde herausgebracht. In diesem Sommer erschien ein Siddur für die Portugiesische Gemeinde von Amsterdam. Sie blickt auf eine 400-jährige Tradition zurück, hat aber heute nur noch etwa 600 Mitglieder. Ihre große Synagoge, die sogenannte Snoge, ist eine Touristenattraktion.

Die Gemeinde hat nun einen schönen »Siddur-Chumasch« für den »Saba«, also ein Gebetbuch und eine Toraausgabe in einem Band für den Schabbat. Sowohl die korrekte Wiedergabe der Gebete als auch die Einteilung der Toraabschnitte waren der Gemeinde wichtig, denn nicht in allen Traditionen ist diese Einteilung gleich. Hinzu kommen einige Abschnitte mit speziellen Kantillationszeichen.

Zudem sind die Haftarot, die Prophetenlesungen, für jeden Schabbat abgedruckt. Auch diese unterscheiden sich zuweilen von denen anderer Gemeinden. Begleitet wird das Ganze von Anweisungen in englischer und niederländischer Sprache. Einige Gebete sind auf Portugiesisch abgedruckt, weil sie in der Snoge heute in dieser Sprache gesagt werden. Dazu gehört auch das Gebet für den König der Niederlande.

Interessant ist dieser Siddur nicht nur wegen seiner Tradition, in der etwa während Kabbalat Schabbat nur »Lecha Dodi« gesagt wird oder vor der Toralesung alle damit verbundenen Aufgaben verteilt werden. Bemerkenswert ist auch die Geschichte dahinter, denn diese Ausgabe entstand aus der Gemeinde heraus.

Idee Initiiert hat das Projekt ein Beter, der als aschkenasischer Jude mit der Gemeinde in Berührung kam: Efraim Rosenberg. Der heute 45-Jährige ist Molekularbiologe am Niederländischen Krebsinstitut und lebt in Amstelveen, einem Vorort von Amsterdam, wohin sich das jüdische Leben der Stadt vor einiger Zeit verlagert hat. Auch dort unterhält die Gemeinde eine kleine Synagoge.

Ursprünglich wollte Rosenberg zu Hause am Computer einen Siddur zusammenstellen, den sein Vater an den Feiertagen verwenden könnte, ohne viel in den verschiedenen Texten blättern zu müssen. Die Texte lagen nämlich nur verteilt als Kopien aus Büchern vor, die in der Vorkriegszeit erschienen sind. Vor allem die Besonderheiten bei den Toralesungen führten häufig zu Verwirrung, weil man sich auch hier auf Kopien verlassen musste. Diese basierten auf einer Ausgabe von 1767.

Schnell entstand daraus, in Abstimmung mit anderen Betern, eine detaillierte Zusammenstellung der Gebete und Texte, die man in den Synagogen der Gemeinde in Amsterdam und Amstelveen spricht.

Hilfe kam auch von Bram Palache, dem Vorsitzenden der Portugiesischen Gemeinde, der für die Gebete zuständig ist. Erstmals wurden die Texte auf einer Barmizwa in einer Auflage von 40 Stück mit eigenem Layout getestet. Für eine richtige Auflage suchte die Gemeinde dann nach einem Verlag, der schöne Bücher produziert und nicht nur die Vorlage abdruckt. Auf diese Weise entstand die Zusammenarbeit mit Koren.

Das Ergebnis ist inhaltlich und gestalterisch großartig und könnte theoretisch auch von portugiesischen Gemeinden in London und in den USA genutzt werden. Vielleicht inspiriert es auch andere Gemeinden, auf diese Art den eigenen Minhag zu bewahren.

»Koren Amsterdam Shabbat Humash«. Koren, Jerusalem 2017. 721 S., 29,95 $

Wajikra

Zeichen der Zuwendung

So wie sich die Engel gegenseitig rufen, wird Mosche vom Ewigen gerufen

von Rabbinerin Gesa Ederberg  24.03.2023

Talmudisches

Urteile, die zum Himmel schreien

Was unsere Weisen über die Gerichtsbarkeit in der Stadt Sodom lehrten

von Yizhak Ahren  24.03.2023

Interview

»Unser Einfluss wird größer«

Ilana Epstein über die Rolle der Rebbetzin, Veränderungen und ein Treffen in Wien

von Imanuel Marcus  23.03.2023

Debatte

Für die Freiheit des Glaubens

Moskaus früherer Oberrabbiner Pinchas Goldschmidt sprach in Berlin über die Folgen des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine für das jüdische Leben in Europa

von Gernot Wolfram  23.03.2023

Konferenz

Rat für Ratgeberinnen

Rebbetzins aus ganz Europa tauschten sich in Wien über ihre Herausforderungen im Alltag aus

von Stefan Schocher  23.03.2023

Technologie

Beten mit Handy

Warum spezielle Apps viel mehr sein können als Siddurim auf dem Smartphone

von Chajm Guski  21.03.2023

Kleidung

Wann ist ein Jude religiös?

Äußerlichkeiten können in die Irre führen – auch die Befolgung der zwischenmenschlichen Gesetze ist von zentraler Bedeutung

von Daniel Neumann  17.03.2023

Talmudisches

Korpulente Rabbiner

Was unsere Weisen über Leibesfülle und körperliche Gesundheit lehrten

von Vyacheslav Dobrovych  17.03.2023

Wajakhel–Pekude

Herausforderungen angehen

Die Tora lehrt: Der Mensch muss den ersten Schritt tun, dann wird G’tt ihm helfen

von Shlomo Rottman  17.03.2023