Rabbiner Zsolt Balla

»Das wird keine One-Man-Show«

Ein Gespräch über jüdische Seelsorge bei der Bundeswehr und sein zukünftiges Amt als Militärbundesrabbiner

von Ayala Goldmann  17.06.2021 12:56 Uhr

Wird am 21. Juni 2021 in sein Amt als Militärbundesrabbiner eingeführt: Zsolt Balla (42) Foto: picture alliance/dpa

Ein Gespräch über jüdische Seelsorge bei der Bundeswehr und sein zukünftiges Amt als Militärbundesrabbiner

von Ayala Goldmann  17.06.2021 12:56 Uhr

Rabbiner Balla, auf dem Gemeindetag des Zentralrats der Juden 2019 wurde der Staatsvertrag über die Einrichtung einer jüdischen Militärseelsorge in der Bundeswehr unterzeichnet. Jetzt werden Sie der erste Militärbundesrabbiner in Deutschland. Welche Erfahrungen haben Sie persönlich mit Armee und Militär gemacht?
Ich selbst habe in keiner Armee gedient, aber ich komme aus Ungarn, und mein Vater war Oberstleutnant der ungarischen Volksarmee und Leiter einer Kaserne.

Sie waren gewöhnt, Ihren Vater in Uniform zu sehen. Es gab also bei Ihnen nie Berührungsängste gegenüber dem Militär?
Im Gegenteil, ich habe von meinem Vater gelernt, die Arbeit von Soldaten sehr zu achten. Ich habe den Eindruck, dass weite Teile unserer Gesellschaft unterschätzen, wie wichtig die Bundeswehr für unsere Sicherheit ist. Vor mehreren Jahren hatte die Bundewehr eine Ansprechstelle für Soldaten anderer Glaubensrichtungen eingerichtet und hatte dazu die Rabbinerkonferenzen angefragt. Ich war sehr glücklich, dort mitzuarbeiten. Noch besser ist es, dass jetzt eine jüdische Militärseelsorge eingerichtet wird. Ich freue mich, dass mich der Zentralrat der Juden als Militärbundesrabbiner ausgewählt hat. Es ist eine große Verantwortung für die jüdische Seite, dass auch wir uns an der Seelsorge der Bundeswehr beteiligen. Und ich finde es schön, dass die Zeit jetzt dafür gekommen ist.

In Deutschland wurde die allgemeine Wehrpflicht 2011 abgeschafft. Was bedeutet das für Ihre Arbeit?
Für uns Juden ist das weniger relevant. Denn jüdische Schoa-Überlebende, aber auch Nachkommen von Überlebenden waren nicht wehrpflichtig. Meine Mutter ist 1942 geboren, ich bin ein Angehöriger der Zweiten Generation, aber auch mein Sohn als Angehöriger der Dritten Generation wäre nicht verpflichtet, zur Bundeswehr zu gehen.

Es ist also etwas Besonderes, dass gerade Sie jetzt Chef des jüdischen Militärrabbinats werden.
Ich denke schon. Und ich möchte nochmals betonen, dass in vielen Ländern die Bedeutung der Verteidigung unterschätzt wird. Vor etwas weniger als fünf Jahren hatte ich die Möglichkeit, in Koblenz an einer internationalen Konferenz der NATO-Länder mit dem Titel »Coping with Culture« teilzunehmen. Dort habe ich das erste Mal in meinem Leben persönlich gesehen, wie viel Know-how und interkulturelle Kompetenz es bei den Streitkräften gibt. Diese Arbeit sollten wir unbedingt unterstützen.

Das jüdische Militärrabbinat wird in Berlin angesiedelt. Sie bleiben aber weiterhin Landesrabbiner von Sachsen und Rabbiner der Israelitischen Religionsgemeinde zu Leipzig. Ist das nicht sehr viel Arbeit?
Das stimmt. Aber wir werden ein Team aufbauen. Das ist keine One-Man-Show, wir wollen bis zu zehn Militärrabbiner einstellen. Mir ist echte Teamarbeit sehr wichtig. Wir sind ja nicht nur Seelsorger für jüdische und andere Soldaten, sondern wir beteiligen uns auch am Lebenskundlichen Unterricht für alle Soldaten.

Ihr Lebensmittelpunkt bleibt also Leipzig.
Ja, aber natürlich werde ich auch ein bisschen unterwegs sein. Und in Leipzig muss ich junge Rabbiner und Rabbinerstudenten finden, die mich in meiner Arbeit unterstützen.

Insgesamt zehn Militärrabbiner sollen eingestellt werden. Wie ist denn der Stand der Dinge? Zwei Stellen sind bisher ausgeschrieben …
Wir bauen das Militärrabbinat Schritt für Schritt auf. Die Bewerbungen sind bei uns angekommen, das Auswahlverfahren läuft.

Und im September soll die Arbeit beginnen?
Die Arbeit hat jetzt schon begonnen. Aber der erste Schritt ist, unser Rabbinat in Berlin aufzubauen, und natürlich dauert es eine Weile, eine neue Behörde einzurichten und alles vorzubereiten.

Fünf orthodoxe Rabbiner und fünf liberale Rabbiner – ist das der Proporz beim zukünftigen Militärrabbinat?
Die Einstellung der Militärrabbiner findet in Rücksprache mit den Rabbinerkonferenzen statt. Der Plan ist, sowohl orthodoxe als auch liberale Rabbiner aufzunehmen.

Man hört öfters den Einwand: Es gibt doch nur wenige jüdische Soldaten in der Bundeswehr – wozu braucht man da eigentlich Militärrabbiner. Was erwidern Sie?
Ich kenne diese Bedenken. Aber ich denke, zum einen sollte unser Militärrabbinat nicht nur die Gegenwart widerspiegeln, sondern sich auch proaktiv der Zukunft stellen. Das heißt, wir wollen darauf hinwirken, dass die Zahl jüdischer Soldaten wächst. Auch für traditionelle Juden mit ihren besonderen Bedürfnissen soll es möglich sein, als Soldaten in den Streitkräften zu dienen, genau wie in anderen NATO-Ländern. Das ist unser Ziel. Die Kritiker sollten ein bisschen mehr Perspektiven entwickeln, finde ich. Zum anderen gibt es ja jüdische Soldaten in der Bundeswehr, die Seelsorge brauchen. Für sie sollten wir da sein.

Was hören Sie denn von jüdischen Soldaten, die in der Bundeswehr dienen? Reden sie offen über ihr Judentum, oder betrachten sie es als ihre Privatsache und wollen sich in der Truppe lieber nicht outen?
Ja, ich höre von vielen, dass sie es lieber für sich behalten. Ich kenne aber auch Fälle, in denen es von den anderen Soldaten gut akzeptiert und respektiert wird, auch wenn es sich um traditionelle Juden handelt. Bei jedem einzelnen Soldaten ist es unterschiedlich. Ich hoffe auf Normalität in der Zukunft.

Wie kommen praktizierende Juden in der Bundeswehr klar? Also Soldaten, die am Schabbat nicht an Übungen teilnehmen können? Ist das ein Problem, das manche Juden tatsächlich davon abhält, sich für einen Dienst in der Bundeswehr zu melden?
Ich bezeichne das nicht als Problem, sondern als Herausforderung, verschiedene Paradigmen zu ändern. Ich persönlich kenne zurzeit nur einen jüdischen Soldaten, für den der Schabbat sehr wichtig ist. Aber wenn jemand gut integriert ist und bekannt ist, dass er seine Arbeit gut macht, dann sollte das nicht unmöglich sein – wobei es natürlich auch von seiner Tätigkeit abhängt. Es gibt viele halachische Vorschriften für Soldaten, genau wie für Ärzte, die auch am Schabbat Notfälle behandeln oder in Rufbereitschaft sein müssen. Auch das ist unsere Aufgabe, die Soldaten in ihren Bedürfnissen zu unterstützen und ihnen zu helfen, Lösungen in ihrer Einheit zu finden. Wenn in einigen Jahren mehr praktizierende Juden in der Bundeswehr dienten, dann wäre ich stolz und hätte das Gefühl, dass ich mein Ziel erreicht habe.

Es wird bei der Arbeit des Militärrabbinats auch darum gehen, nichtjüdischen Soldaten Kenntnisse über das Judentum zu vermitteln, zum Beispiel beim Lebenskundlichen Unterricht …
Ja, selbstverständlich. Ich möchte betonen, dass die jüdische Militärseelsorge, genau wie die evangelische und die katholische Seelsorge, in der Bundeswehr allen Soldaten offensteht. Dass wir als Rabbiner uns am Lebenskundlichen Unterricht beteiligen, sehe ich als eine riesengroße Chance, ein authentisches Bild des Judentums zu vermitteln und indirekt damit Antisemitismus und rechtsradikale Tendenzen in den Streitkräften auf eine »organische« Weise zu bekämpfen.

Bereiten Ihnen Berichte über Rechtsextremismus in der Bundeswehr Sorgen?
Nicht nur mir sollte das Sorgen machen, sondern jedem vernünftigen Menschen in Deutschland. Aber wir sollten nicht nur das Problem benennen, sondern uns aktiv einbringen und etwas dagegen tun. Die Soldaten werden durch uns Militärrabbiner endlich die Möglichkeit haben, sich mit lebendigen Juden auseinanderzusetzen, die sogar auf ihrer Seite stehen. Es gibt auch zahlreiche muslimische Soldaten in der Bundeswehr. Das anzuerkennen, ebenso wie die Tatsache, dass viele Muslime in der Bundesrepublik leben, sollte Normalität sein. Unser Ziel ist es, dass jeder Soldat das versteht.

SInd Sie der Meinung, dass es in Zukunft auch muslimische Geistliche bei der Bundeswehr geben sollte?
Ich hoffe, dass jeder Angehörige einer Religionsgemeinschaft die Möglichkeit haben wird, eigene Seelsorger in der Bundeswehr zu haben.

Zentralratspräsident Josef Schuster hat Ihre Amtseinführung als Militärbundesrabbiner in Leipzig am Montag, den 21. Juni, als historischen Tag für die jüdische Gemeinschaft in Deutschland bezeichnet. Wie sehen Sie diesem Tag entgegen?
Meine Hoffnung liegt nicht so sehr auf Zeremonien, und es geht auch nicht um meine Person. Ich möchte die Arbeit machen, und ich hoffe, dass wir schnell zu diesem Punkt kommen. Aber ich stimme Josef Schuster zu, dass das Präsidium und die Geschäftsführung des Zentralrats der Juden etwas Großes und Historisches erreicht haben. Allein dafür bin ich als Jude in Deutschland sehr dankbar.

Wie lange wollen Sie Militärbundesrabbiner sein?
Meine Stelle ist auf fünf Jahre befristet, ich bin Angestellter des Zentralrats der Juden. Die Stellen der Militärrabbiner als Beamte auf Zeit beim Bundesverteidigungsministerium sind auf sechs Jahre befristet. Und ich finde das richtig, denn bestimmte Positionen sollten zeitlich begrenzt sein.

Mit dem Landesrabbiner von Sachsen, Rabbiner der Israelitischen Religionsgemeinde zu Leipzig und Vorstandsmitglied der Orthodoxen Rabbinerkonferenz Deutschland (ORD) sprach Ayala Goldmann.

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