Talmudisches

Challa vom Himmel

Lecker und bedeutend: die Challa Foto: Getty Images / istock

Rabbi Chanina ben Dosa, ein Schüler von Jochanan ben Zakaj, dem Lehrer der Mischna, taucht mehrfach im Talmud auf. Wann immer von ihm die Rede ist, ist es stets als gutes Beispiel für sein vorbildliches Verhalten oder seine Wunder. Er soll sogar seinen Lehrer Jochanan ben Zakaj von einer Krankheit geheilt haben – nur durch ein Gebet (Berachot 3b). Ben Zakaj war davon überzeugt, dass niemand anderer ihn hätte retten können.

Als Chanina sich an einer Zwiebel vergiftete und fast daran gestorben wäre, überlebte er nur, weil man für ihn betete und »die Zeit ihn brauchte«, wie es der Talmud formuliert (Eruwin 29b).

An anderer Stelle sagt Rabbi Jehuda im Namen von Raw: »Jeden Tag erklingt eine göttliche Stimme und spricht: Die ganze Welt wird erhalten durch meinen Sohn Chanina« (Taanit 24b).

Vorbild Vor diesem Hintergrund ist es bemerkenswert, dass seine Lehren nie zitiert und seine Rechtsentscheide nicht wiedergegeben werden. Von ihm ist nichts Halachisches überliefert. Er diente also mehr als Vorbild.

Doch dies garantierte leider nicht sein wirtschaftliches Auskommen. Es scheint, dass Rabbi Chanina sehr arm gewesen ist. Er musste mit einer kleinen Menge Johannisbrotschoten von Schabbat zu Schabbat auskommen, so berichtet der Talmud (Taanit 24b).

Es scheint, dass Rabbi Chanina
sehr arm gewesen ist.

Trotzdem heizte seine Frau an jedem Freitag den Ofen so stark an, dass man den vielen Rauch nicht übersehen konnte. Und weil es auch damals schon missgünstige Nachbarn gab, hatten die beiden »eine bestimmte böse Nachbarin«, so der Wortlaut des Talmuds. Die sagte: »Ich weiß doch, dass sie nichts haben!« Also ging sie hinüber zu ihnen und klopfte an die Tür. Weil dies der Frau von Rabbi Chanina peinlich war, versteckte sie sich in einem hinteren Raum des Hauses und öffnete nicht.

Doch die Nachbarin trat dennoch ein und sah sich um. Aber dann, so erzählt der Talmud, geschah ein Wunder, und der Ofen war plötzlich gefüllt mit Brot und die Schüssel voller Teig.

»Schnell, schnell, komm herbei und bring eine Backschaufel, sonst verbrennt das Brot!«, rief die Nachbarin. Da antwortete die Frau von Rabbi Chanina: »Ich komme! Ich bin nur wegen der Schaufel ins Innere des Hauses gelaufen.«

Der Talmud relativiert das ein wenig und sagt, es wurde gelehrt, dass sie tatsächlich für die Schaufel in einen anderen Raum ging. Sie war einfach an Wunder gewöhnt, und deshalb sei es nichts Außergewöhnliches.

Aber wir erfahren mehr über das Ehepaar. »Wie lange noch müssen wir das ertragen?«, wird Rabbi Chanina von seiner Frau gefragt. Sie will die Armut nicht länger ertragen. Er antwortet nicht anders, als es viele Männer heute tun würden: »Was sollen wir denn machen?«

Tischbein Seine Frau weist ihn auf seine Kernkompetenz hin: »Bete um Barmherzigkeit, dass dir etwas gegeben wird!« Das tut Rabbi Chanina dann auch, und tatsächlich erscheint eine Handfläche vom Himmel und gibt ihm das »Bein eines goldenen Tisches« – etwas von Wert also.

In der Nacht sah seine Frau im Traum, dass »in der Zukunft«, gemeint ist vermutlich die »zukünftige Welt«, die Gerechten an einem Tisch essen werden, der drei Beine hat – aber sie an einem Tisch sitzen wird, der nur zwei Beine hat.

Sie erzählte ihrem Mann davon, und der antwortete: »Bist du damit zufrieden, dass jeder an einem vollständigen Tisch sitzen wird und du an einem kaputten?« Daraufhin antwortete sie: »Aber was sollen wir machen? Bete um Erbarmen, das Tischbein soll uns wieder genommen werden.« Das tat er, und es wurde wieder zurückgenommen.

Der Talmud lehrt, dass dieses Wunder viel größer gewesen sei als das erste. Denn der Himmel gebe, aber nehme niemals zurück. Nur im Fall von Chanina ben Dosa, dessen Vorbild mehr wiegt als seine halachischen Entscheidungen.

Die in Genf geborene Schweizer Schriftstellerin und Philosophin Jeanne Hersch aufgenommen im März 1999

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