Dewarim

Blick zurück

Nicht jeder darf das verheißene Land betreten. Foto: Getty Images/iStockphoto

Der Wochenabschnitt Dewarim gibt uns einen ersten Hinweis auf den Inhalt und auf die besondere literarische Gattung des 5. Buch Mose.
Nach der jüdischen Tradition geht die Tora auf göttliche Urheberschaft zurück.

Doch das letzte Buch Mose scheint auf den ersten Blick aus der Reihe zu tanzen. Es lässt von Anfang an sehen, dass es von Menschenhand stammt: »Dies sind die Worte, die Mosche zu ganz Israel redete jenseits des Jordans in der Wüste« (5. Buch Mose 1,1).

Im Weiteren wendet sich Mosche immer wieder in der ersten Person an die Israeliten, so zum Beispiel in Kapitel 1, Vers 9: »Da sprach ich zur selben Zeit zu euch.«

ERINNERN Das gesamte Buch kann als Mosches Abschiedsrede gelesen werden. Er liebt das Volk wie seine eigenen Kinder. Dementsprechend wendet er sich in einem sehr persönlich gehaltenen Stil an seine Zuhörer, um ihnen noch einmal die gemeinsam erlebte Geschichte in Erinnerung zu rufen. Darin unterscheidet sich das 5. Buch Mose von den vorangegangenen Büchern. Im 2., 3. und 4. Buch Mose tritt Mosche als Held der Geschichte auf. Im fünften Buch wird er zum Erzähler und Interpreten des zurückgelegten Weges.

Das letzte Buch Mose scheint auf den ersten Blick aus der Reihe zu tanzen.

Es ist nicht zu übersehen: Das 5. Buch Mose gehört zur Tora, aber innerhalb dieser Zusammenstellung bildet es eine Ausnahme. Seine Verortung weist auf göttliche Urheberschaft hin, seine literarische Gattung als Mosches Abschiedsrede zeugt jedoch von menschlicher Herkunft.

Schon in der Zeit der Renaissance stellte Rabbi Don Isaak ben Juda Abrabanel (1437–1508) fest, dass Mosche der Autor des 5. Buches Mose ist. Doch diese Tatsache hinderte Gott nicht daran, es in seiner Tora zu platzieren.

Das 5. Buch Mose beinhaltet zugleich die Erklärung für seine literarische Besonderheit. Mosche blickt darin auf die 40-jährige Wanderung der Israeliten durch die Wüste zurück.

Warum erzählt Mosche erzählt nichts aus seinem Lebenslauf?

Er erinnert dabei unter anderem an den Auszug aus der Knechtschaft in Ägypten, an das Leben in der Wüste, an die Übergabe der Tora auf dem Berg Sinai, an die Sünde und die Kriege des Volkes. In all diesen Ereignissen spielte er im Zusammensein und in der Auseinandersetzung mit den Kindern Israels eine herausragende Rolle, war er der Akteur.

In der Darstellung des 5. Buches Mose verbirgt er sich quasi selbst in der Rolle des Erzählers – analog zur Pessach-Haggada, in der nicht einmal sein Name erwähnt wird, obwohl er das Volk aus Ägypten herausgeführt hat. Hier macht der Diener dem Schöpfer Platz und gibt Raum für Sein Lob.

Mosche ist im fünften Buch der Tora zwar der Erzähler der Geschichte, aber alles läuft darauf hinaus, dass er Gott als Akteur und Befreier seines Volkes groß macht und der Ewige verherrlicht werde. Die Herausforderungen, die sich im Zusammenhang mit der Befreiung der Israeliten stellen, werden erstaunlicherweise von Mosche so erzählt, dass er darin keine wesentliche, herausragende Rolle spielt.

Mosche rekapituliert die Befreiungsgeschichte Israels und lehrt dabei das Volk, wie es sie an die nächsten Generationen weitergeben soll.

Vielmehr stellt er Gottes Handeln in den Vordergrund: »Denn der Ewige, dein Gott, hat dich gesegnet in allen Werken deiner Hände. Er hat dein Wandern durch diese große Wüste auf sein Herz genommen. Vierzig Jahre ist der Ewige, dein Gott, bei dir gewesen. An nichts hat es dir gemangelt« (5. Buch Mose 2,7).

BEFREIUNG Und Mosche sagt: »Der Ewige, unser Gott, redete mit uns am Berg Horeb« (1,6). Er stellt sich hier betont in eine Linie mit dem Volk. Mosche rekapituliert die Befreiungsgeschichte Israels und lehrt dabei das Volk, wie es sie an die nächsten Generationen weitergeben soll. Auch dabei findet er für sich keine Erwähnung mehr.

Man mag von einem stilistischen Kunstgriff reden: Der Ich-Erzähler benutzt seine Autorschaft, um sich gerade dadurch selbst zum Verschwinden zu bringen und Gott umso großartiger und nachhaltiger die Ehre zu geben.
Wir sehen: Mosche war mit der Gabe ausgestattet, sich selbst zurückzunehmen und sich auch korrigieren zu lassen.

Als sein Schwiegervater Jitro beobachtet, wie er sich als Richter des Volkes überfordert und verausgabt, nimmt Mosche, ohne zu diskutieren, den Ratschlag des Älteren an. Er gibt Verantwortung ab und delegiert nun Aufgaben, die zum Aufbau einer weit verzweigten Gerichtstätigkeit in Israel führen. Der erste Mann im Volk ist ohne Um­schweife bereit, seine Stärken und Schwächen realistisch einzuschätzen und entsprechende Änderungen in seinem Leitungsamt zügig herbeizuführen.

Die Kinder Israels vertrauten sich immer wieder Mosche an.

Er bezieht das Volk in seine Überlegungen mit ein: »Der Ewige, euer Gott, hat euch so zahlreich werden lassen, dass ihr heute seid wie die Menge der Sterne am Himmel. Der Allmächtige, der Gott eurer Väter, mache euch noch tausendmal mehr und segne euch, wie Er euch zugesagt hat! Wie kann ich allein eure Mühe und Last und euren Streit ertragen? Schafft herbei weise, verständige und bewährte Leute für eure Stämme, die will ich über euch zu Häuptern setzen.«

Am Ende dieses Klärungsprozesses gibt es ein konstruktives Einvernehmen zwischen ihm und dem Volk, von dem Mosche berichtet: »Da antwortetet ihr mir und spracht: Was du geraten hast, ist gut« (5. Buch Mose 1, 10–14).

HOREB Auch fällt auf: Mosche erzählt nichts aus seinem Lebenslauf. Seine besondere Kindheit und Erziehung am ägyptischen Königshof erwähnt er mit keinem Wort. Das Gleiche gilt für seine Gottesoffenbarungen. Weder seine wundersame Begegnung mit Gott am brennenden Dornbusch als Schafhirte noch seine persönliche Beauftragung als Prophet, die Israeliten aus Ägypten zu führen, finden in seiner Abschiedsrede Niederschlag. Das Volk hört die Geschichte von Mosche erst von den Ereignissen an, die sich am Berg Horeb abgespielt haben.

Die Kinder Israels vertrauten sich immer wieder Mosche an. Er fungierte als Vermittler zwischen ihnen und Gott. Das beweist ein weiteres Mal, dass sie ihn als Propheten akzeptiert hatten.

Am Ende kann uns gerade Mosches Autorschaft für das letzte Buch der Tora ein eindrückliches Zeugnis seiner Demut geben: Er wurde bescheiden geboren, und genauso bescheiden verlässt er diese Welt. Daher gilt er als der größte aller Propheten Israels, und nicht umsonst sagt man: »Von Mosche bis Mosche ist noch keiner erstanden wie Mosche« (Rambam).

Der Autor ist Rabbiner der Israelitischen Kultusgemeinde Bamberg und Mitglied der Allgemeinen Rabbiner­konferenz (ARK).


Inhalt Paraschat Dewarim
Kurz vor der Überquerung des Jordans blickt Mosche auf die Wanderung durch die Wüste zurück. Er erinnert an die schlechten Nachrichten der Spione und sagt, dass Jehoschua an seine Stelle treten wird. Dann erinnert Mosche an die 40-jährige Wanderung und die Befreiung der ersten Generation aus Ägypten. Seiner Meinung nach gehört das, was die Eltern erlebt haben, zum Schicksal ihrer Kinder. Wozu sich die Vorfahren am Sinai verpflichtet haben, ist auch für die Nachkommen bindend. Es wird bestimmt, mit welchen Völkern sich die Israeliten auseinandersetzen dürfen und mit welchen nicht. Mosches Bitte, das Land Israel doch noch betreten zu dürfen, lehnt Gott ab.

5. Buch Mose 1,1 – 3,22

Die in Genf geborene Schweizer Schriftstellerin und Philosophin Jeanne Hersch aufgenommen im März 1999

Philosophie

Der Moment des Staunens

Am 13. Juli jährt sich der Geburtstag von Jeanne Hersch zum 115. Mal. Lange wurde die Existentialistin ausgerechnet von der akademischen Forschung marginalisiert – und kaum als jüdische Philosophin wahrgenommen

von Richard Blättel  11.07.2025

Balak

Stärke in Zeiten der Entscheidung

Wie eine uralte Prophezeiung Israels Wesen prägt

von Yonatan Amrani  11.07.2025

17. Tamus

Das ist erst der Anfang

Nun beginnt die jährliche Trauerzeit. Sie soll auf Größeres vorbereiten

von Rabbiner Raphael Evers  11.07.2025

Meinung

Die Kirche schafft sich ab

Jetzt soll ausgerechnet der Antizionismus helfen, den gesellschaftlichen Niedergang der Kirche zu stoppen

von Josias Terschüren  10.07.2025

Nachruf

Er bleibt eine Inspiration für uns alle

Der langjährige Zürcher Gemeinderabbiner Marcel Ebel ist verstorben. Eine Würdigung von seinem Nachfolger

von Rabbiner Noam Hertig  10.07.2025

Talmudisches

Eifersucht: Das bittere Wasser

Unsere Weisen und ein altes Ritual

von Chajm Guski  10.07.2025

Nahost

»Öl ins Feuer des anwachsenden Antisemitismus«

Oberrabbiner Pinchas Goldschmidt wirft der evangelischen Kirche moralisches Versagen vor und kritisiert eine Erklärung des Weltkirchenrats, in der Israel »dämonisiert« werde

 05.07.2025

Chukat

Ein Tier, das Reinheit schafft

Wir können die Mizwa der Roten Kuh nicht verstehen – aber ihre Bedeutung erahnen

von Rabbiner Salomon Almekias-Siegl  04.07.2025

Talmudisches

Die weibliche Idee hinter König David

Was Kabbalisten über Eschet Chajil, die tüchtige Frau, lehren

von Vyacheslav Dobrovych  04.07.2025