Talmudisches

Auf hoher See

In einem Sturm drohte Rabban Gamliels Schiff unterzugehen. Foto: Getty Images/iStockphoto

Talmudisches

Auf hoher See

Wie gegen Rabbi Eliezer der Bann verhängt wurde und Rabban Gamliel in einen Sturm geriet

von Yizhak Ahren  03.12.2021 08:44 Uhr

Der Talmud berichtet, dass sich Rabbi Eliezer einer wichtigen halachischen Entscheidung über einen Ofen nicht fügen wollte (Baba Metzia 59b). Der Gelehrte bestand auf sein unbedingtes Recht und setzte dafür sogar die Naturgesetze außer Kraft. Die Weisen waren entsetzt, stimmten ab und verhängten schließlich den Bann über ihn.

Da jeder Gelehrte seine Ansicht im Lehrhaus äußern darf, drängt sich die Frage auf: Warum wurde der große Toralehrer derart hart bestraft? Nachmanides, der Ramban (1194–1270), meint in seinem Kommentar zur Stelle, der Bann sei deshalb erfolgt, weil Rabbi Eliezer eine überirdische Unterstützung gegen die Auffassung der Mehrheit in Anspruch genommen habe – ein solches Vorgehen könne zu einem Zusammenbruch der rabbinischen Autorität führen.

TRÄNEN Es war Rabbi Eliezers Schüler, Rabbi Akiwa, der ihm schonend beibrachte, dass seine Kollegen ihn mit dem Bann belegt hätten. Wie reagierte der Meister? »Da zerriss er seine Kleider, zog die Schuhe aus, ließ sich auf die Erde nieder, und Tränen kamen aus seinen Augen.«

Rabbi Eliezers Kränkung blieb nicht folgenlos: »Ein großes Weh gab es an diesem Tag.«

Über Rabban Gamliel, den Spiritus Rector der rabbinischen Gruppe, die den Bann verhängt hatte, erzählt die Gemara, dass er auf einem Schiff war, das in einem Sturm unterzugehen drohte: »Da sagte er: ›Ich glaube, dass dies nur wegen Rabbi Eliezer Ben Hyrkanos geschieht‹ und wandte sich an Gott: ›Herr der Welt, Dir ist es offenbar, dass ich den Bann nicht wegen meiner Ehre und auch nicht wegen der Ehre meines väterlichen Hauses verhängt habe, sondern Deiner Ehre wegen, damit sich keine Streitigkeiten in Israel mehren.‹« Da hörte das Meer auf zu toben.

ZWICKMÜHLE Der Bann gegen Rabbi Eliezer brachte dessen Ehefrau Ima Schalom, die eine Schwester von Rabban Gamliel war, in eine Zwickmühle. Der Talmud berichtet, dass sie ihren Mann nicht mehr das Tachanun-Gebet nach der Amida sprechen ließ, bei dem der Beter auf sein Gesicht niederfällt. Wie Lazarus Goldschmidt (1871–1950) erklärt, wird im Tachanun-Gebet Gott um Schutz vor Feinden und um ihre Bestrafung angerufen. Ima Schalom fürchtete, das Gebet ihres Mannes könnte sich auf ihren Bruder auswirken.

Eines Tages sprach Rabbi Eliezer das Tachanun-Gebet dann aber doch.
Wie kam es dazu? Im Talmud findet man zwei Erklärungen. Die eine besagt, Ima Schalom habe jenen Tag irrtümlich für Rosch Chodesch, den Monatsanfang, gehalten, an dem Tachanun nicht gesagt wird. Die andere Erklärung lautet, dass ein Armer vor der Tür stand und sie ihm Brot hinausbrachte. Als sie sah, ihr Mann sei auf sein Gesicht niedergefallen, bemerkte sie lakonisch: »Du hast meinen Bruder getötet!« Und bald darauf kam die Mitteilung, Rabban Gamliel sei gestorben.

Da wollte Rabbi Eliezer von seiner Frau wissen, weshalb sie den Tod ihres Bruders vorhersagen konnte. Sie erwiderte: »Mir ist aus meinem väterlichen Haus überliefert: Sind auch alle Tore verschlossen, so doch nicht die Tore der Kränkung!«

KRÄNKUNG Rabbiner Moshe Sokol wirft in seinem neuen Buch The Snake at the Mouth of the Cave (Jerusalem 2021) eine interessante Frage zum letzten Teil unserer Geschichte auf. Wir verstehen, dass Rabban Gamliel berechtigt war, seinen Schwager mit dem Bann zu belegen; deshalb ist er seinerzeit nicht im Meer ertrunken, als der Sturm tobte. Warum aber ist er in dem Augenblick gestorben, als der gekränkte Rabbi Eliezer dass Tachanun-Gebet sprach? Rabbiner Sokol äußert die Vermutung, die Kränkung des Meisters sei zu weit gegangen; Rabban Gamliel hätte den Bann gegen seinen Schwager nach einiger Zeit wieder aufheben sollen.

Kirchen

Theologe Staffa kritisiert Apartheidsbeschluss des Weltkirchenrates

Der Apartheidsvorwurf sei einfach falsch, sagte der christliche Vorsitzende der Arbeitsgemeinschaft Christen und Juden beim Deutschen Evangelischen Kirchentag

von Stephan Cezanne  01.07.2025

Essay

Der Weltkirchenrat auf Abwegen

Die Organisation mit mehr als 350 meist protestantischen Kirchen stimmt in den Chor all derer ein, die ein antiisraelisches Lied nach dem anderen singen. Immer lauter. Immer wütender. Immer obsessiver

von Daniel Neumann  29.06.2025

Talmudisches

Beten gegen das Böse

Was unsere Weisen über den freien Willen und moralische Entscheidungen lehrten

von Vyacheslav Dobrovych  27.06.2025

Vertrauen

»Ich werde da sein«

Wo nur ist Gott auf dieser Welt? Er hat es Mosche gesagt

von Rabbiner David Kraus  27.06.2025

»Rising Lion«

Eine Löwin erhebt sich

Israels Militäroperation gegen den Iran trägt einen biblischen Namen. Was bedeutet er?

von Rabbiner Raphael Evers  27.06.2025

Korach

Um Himmels willen

Wahre Größe liegt nicht in Streit und Spaltung, sondern in Dialog und Demut

von Shlomo Rottman  26.06.2025

Kolpik

Alter Hut

Eine traditionelle Kopfbedeckung erzählt manches über ihren Besitzer

von Levi Israel Ufferfilge  20.06.2025

Schelach Lecha

Eine Frage der Ansicht

Was wir aus dem Blick der Kundschafter auf das Land Israel lernen

von Rabbiner Jaron Engelmayer  20.06.2025

Essay

Es geschah an einem 23. Siwan

Eine Betrachtung zu einem historischen Datum in der jüdischen Geschichte und dem Zusammenhang mit aktuellen Ereignissen

von Jacques Abramowicz  19.06.2025