Statistik

Anzahl der Köpfe oder Anzahl der Kippot?

Juden darf man laut Tanach nur indirekt zählen. Foto: Marco Limberg

In den Jahren 1972, 1983 und 1995 führte das israelische Amt für Statistik im Auftrag der Regierung Volkszählungen durch. Unter Rabbinern entbrannte eine hitzige Debatte, ob es überhaupt erlaubt sei, diese Volkszählungen durchzuführen, beziehungsweise, ob man daran teilnehmen dürfe oder nicht. Worum ging es bei dieser Debatte?

Volkszählungen sind uralt und werden schon in der Tora erwähnt (siehe 2. Buch Mose 30,11), jedoch mit einem kleinen Unterschied: Anstatt die Menschen direkt zu zählen, brachte jeder einen halben Schekel. Die Anzahl der gespendeten halben Schekel wurde gezählt, um herauszufinden, wie viele Menschen das jüdische Volk zählt.

EPIDEMIE Im Tanach steht, dass man das Risiko einer Epidemie eingeht, wenn man Juden direkt zählt, ohne ein Mittel dafür einzusetzen. Im Buch Schmuel 2, Kapitel 24 wird berichtet, dass König David dieses Verbot entweder vergaß oder sich irrte und das jüdische Volk direkt zählte. Darauf folgte eine schreckliche Epidemie, der viele Menschen zum Opfer fielen.

Im Talmud (Joma 22a) steht, dass es nicht nur gefährlich ist, Juden direkt zu zählen, sondern ausdrücklich verboten – sogar zum Zweck einer Mizwa. Im Talmud wird ein Tanach-Vers als Beweis dafür angeführt, aber möglicherweise ist die erwähnte Gefahr, eine Epidemie zu verursachen, der wahre Grund für dieses Verbot. Und so legt es auch der Rambam in seinem Gesetzeskodex »Mischne Tora« (Hilchot Tmidim 4,4) fest.

Aus den genannten Quellen wird deutlich, dass sich dieses Verbot nicht nur auf die Zählung des gesamten Volkes beschränkt, sondern auch bei der Zählung eines kleinen Teils besteht.

GESAMTHEIT Welche weiteren Gründe werden angeführt, warum es so gefährlich sei, Juden direkt zu zählen? Dafür gibt es zwei Erklärungen: eine eher spirituelle und eine (fast) rationale. Rabbenu BeChai (1255–1340, spanischer Rabbiner und Kabbalist) und der Sforno (1475–1550, italienischer Rabbiner und Philosoph) erklären: Solange das jüdische Volk als Gesamtheit betrachtet wird, gilt dafür der generelle Schutz G’ttes, auch wenn manche es angesichts ihrer Taten nicht verdienen.

Sobald sie aber gezählt und als Individuen betrachtet werden, dann wird jeder Einzelne gerichtet, und es ist sehr schwer, den hohen Ansprüchen des himmlischen Gerichts gerecht zu werden.

Die richtige und erlaubte Art und Weise, wie man Juden zählen darf, ist, einen Gegenstand dafür zu verwenden, so wie es in der Tora der Fall war.

Der Abarbanel (1437–1508, jüdischer Philosoph, Politiker und Finanzier im Dienst der Könige von Spanien und Portugal) und der Ralbag (1288–1344, französischer Philosoph und Talmudgelehrter) sind der Ansicht, dass es eine rationale Erklärung für diese Gefahr gibt.

BÖSES AUGE In der jüdischen Liturgie wird öfters »Ain HaRa« (wörtlich »Böses Auge«) erwähnt (vgl. Brachot 20a, Sota 36b und Baba Batra 118a). Damit sei Folgendes gemeint: Das menschliche Auge strahlt Energie aus, und wenn diese negativ wirkt, kann es tödliche Folgen haben. Wenn man Juden zählt, kann es zu »Ain HaRa« kommen, weil es Menschen gibt, die das jüdische Volk hassen und beneiden.

Die richtige und erlaubte Art und Weise, wie man Juden zählen darf, ist, einen Gegenstand dafür zu verwenden, so wie es in der Tora der Fall war. Zum Beispiel kann man, wenn man wissen will, ob es schon genügend Teilnehmer für einen Minjan gibt, die Kippot zählen anstatt die Menschen direkt.

Jedoch gibt es eine große Meinungsverschiedenheit zwischen den Poskim, den halachischen Autoritäten, darüber, ob dies immer erlaubt ist – oder nur, wenn die Zählung einem bestimmten Zweck dient. Wir folgen der Meinung, dass ein Zweck dafür nötig ist, auch wenn ein Gegenstand dafür verwendet wird.

oberhaupt Große Rabbiner, wie der Ziz Eliezer (Rabbi Eliezer Yehuda Waldenberg, 1915–2006) und Rabbi Ovadja Yosef (1920–2013, der frühere sefardische Oberrabbiner Israels), erlaubten die Volkszählung, weil Menschen dabei nicht direkt gezählt wurden und es einen Grund dafür gab. Die Eida HaCharedit, ein ultraorthodoxes Beit Din, und Rabbi Mosche Sternbuch, ihr Oberhaupt, weigerten sich jedoch im Gegensatz zu diesen, die Volkszählung zu erlauben.

Mögliche Gründe dafür waren, dass eine Zählung auf Papier beziehungsweise mittels Computer als direkt gilt, weil kein Gegenstand verwendet wird, oder weil der Zweck in ihren Augen als nicht wichtig genug galt, um eine Volkszählung zu rechtfertigen.

Ki Tissa

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