Wieso, weshalb, warum

Am Haaretz

Ein Am Haaretz ist jemand, der nicht zur studierten rabbinischen Elite gehört. Foto: Thinkstock

Wieso, weshalb, warum

Am Haaretz

Religiöse Begriffe aus der Welt des Judentums

von Noemi Berger  04.07.2016 17:51 Uhr

Am Haaretz (Jiddisch auch Amoretz, plural: Amoratzim) ist das Synonym für eine ungebildete, ignorante, einfache Person. In einer Kultur wie der jüdischen, die das Lernen stets in den Mittelpunkt der Werteordnung stellt, ist es eine Herabsetzung, wenn man jemanden einen Am Haaretz nennt.

Die wörtliche Bedeutung des Ausdrucks ist »Volk des Landes« oder »Landvolk«. Für die Gelehrten des Talmuds war ein Am Haaretz jemand, der wegen seiner Unwissenheit nicht in der Lage ist, die Gebote zu befolgen. Unsere Weisen meinten, man könne einen Am Haaretz unter anderem daran erkennen, dass er weder morgens noch abends das Schma-Gebet mit den Segenssprüchen spricht, dass er keine Zizit oder Tefillin anlegt und dass er seinen Kindern keine traditionelle jüdische Erziehung angedeihen lässt.

Die Rabbinen betrachten auch eine Person, die zwar Tora und Mischna studiert, aber keinen Kontakt zu Toragelehrten pflegt, als Am Haaretz. Denn ohne einen direkten Dialog mit einem studierten Weisen gilt unser Wissen als unbeständig und unglaubwürdig (Talmud Berachot 47b, Sota 22a).

Wandel Der ursprünglich biblische Begriff »Am Haaretz« mit der Bedeutung »Landvolk« wandelte sich mit der Zeit in den im Jiddischen und Hebräischen gebräuchlichen Ausdruck für einen kenntnislosen, unwissenden und ungebildeten Menschen.

Am Haaretz hat seine Bedeutung im Laufe der Geschichte mehr als einmal verändert. Zum ersten Mal treffen wir auf den Ausdruck im 1. Buch Mose bei der Erzählung von Awraham. Dieser erwirbt von den Hethitern die Höhle Machpela bei Hebron als Beerdigungsstätte für seine Frau Sara. Im Zuge seiner Verhandlungen mit den Hethitern lesen wir: »Awraham stand auf und verbeugte sich vor dem Volk des Landes (Am Haaretz)« (23,12).

Hier, wie auch an vielen anderen Stellen in der Bibel, bezieht sich Am Haaretz einfach auf die einheimische Bevölkerung eines Gebietes: »Aber das Volk des Landes schlug alle, die den Bund gemacht hatten wider den König Amon. Und das Volk des Landes machte Josia, seinen Sohn, zum König an seiner Statt« (2. Könige 21,24).

»Niedere Schichten« Wir finden in anderen biblischen Abschnitten aber auch den Begriff Am Haaretz in Bezug auf die »niederen Schichten« der Bevölkerung, wie im Buch der Könige. Dort lesen wir über den babylonischen König Nebukadnezar, der den Jerusalemer Tempel zerstört und die Israeliten in die babylonische Gefangenschaft verbannt: »Und (er) führte weg das ganze Jerusalem, alle Obersten, alle Gewaltigen, zehntausend Gefangene und alle Zimmerleute und alle Schmiede und ließ nichts übrig als das geringe Volk des Landes« (2. Könige 24,14). Hier bezieht sich Am Haaretz auf das einfache Volk im Gegensatz zur sozialen und wirtschaftlichen Oberschicht.

Diese Bedeutung im Sinne von »niederen Schichten des Volkes« führte zu der rabbinischen Auslegung, dass ein Am Haaretz jemand ist, der nicht zur studierten rabbinischen Elite gehört, beziehungsweise jemand, der nicht angemessen als Jude erzogen wurde. So finden wir im Mischna-Traktat Awot (Sprüche der Väter) folgende Bemerkung, die Hillel dem Älteren zugeschrieben wird: »Ein unkultivierter Mann fürchtet die Verfehlungen nicht, und ein ungebildeter Mann (Am Haaretz) kann keine g’ttesfürchtige fromme Person (Chassid) sein.«

Parallel zu dieser Veränderung der Bedeutung von Am Haaretz finden wir auch eine Veränderung bei der Gewichtung dieses Ausdrucks. Denn von da an bezeichnet Am Haaretz im jüdischen Diskurs einen einzelnen Juden und nicht mehr ein Volk des Landes.

Das Vergehen des Am Haaretz ist nicht seine Unwissenheit, sondern das Vortäuschen, kenntnisreich zu sein, was oft damit einhergeht, dass er sich lächerlich macht. Mit den Worten des jiddischen Sprichworts: »As G’t will schtrofn an Amoretz, lejgt er ihm a loschn-kojdesch Wort in Mojl arajn« – »Wenn G’tt einen Am Haaretz bestrafen will, legt er ihm ein hebräisches Wort in den Mund«.

Konklave

Kommt der nächste Papst aus Jerusalem?

Wer wird der nächste Papst? Die geheimen Treffen im Vatikan lassen die Welt spekulieren. Als heißer Kandidat wird ein Patriarch aus Jerusalem gehandelt

 30.04.2025

Interview

»Der Dialog mit dem Vatikan ist regelrecht eingeschlafen«

Maram Stern über den künftigen Papst und den stockenden jüdisch-christlichen Dialog

von Tobias Kühn  29.04.2025

Halacha

Kann ein Jude die Beerdigung des Papstes besuchen?

Papst Franziskus wird diesen Samstag, an Schabbat, beerdigt. Observante Juden könnte das vor komplizierte Fragen stellen

von Vyacheslav Dobrovych  25.04.2025

Schemini

Offene Türen

Die Tora lehrt, auch Fremde freundlich zu empfangen

von Rabbiner Bryan Weisz  25.04.2025

Nachruf

Förderer des katholisch-jüdischen Dialogs, aber auch harter Kritiker Israels

Papst Franziskus im Alter von 88 Jahren gestorben. Sein langjähriger Gesprächspartner, Rabbiner Jehoschua Ahrens, nimmt Abschied

von Rabbiner Jehoschua Ahrens  28.04.2025 Aktualisiert

Chol Hamoed

Nur Mosche kannte die Freiheit

Warum das Volk Israel beim Auszug aus Ägypten ängstlich war

von Rabbinerin Yael Deusel  17.04.2025

Geschichte

Waren wir wirklich in Ägypten?

Lange stritten Historiker darüber, ob die Erzählung vom Exodus wahr sein könnte. Dann kamen die Archäologen

von Rabbiner Igor Mendel Itkin  17.04.2025

Berlin

Berlin: Gericht bestätigt fristlose Kündigung von Rabbiner

Das Berliner Arbeitsgericht hat die fristlose Kündigung eines Rabbiners wegen sexueller Belästigung eines weiblichen Gemeindemitglieds bestätigt

 16.04.2025

Essen

Was gehört auf den Sederteller?

Sechs Dinge, die am Pessachabend auf dem Tisch nicht fehlen dürfen

 11.04.2025