Nach Ansicht des Direktors der Evangelischen Akademie Tutzing, Udo Hahn, hat die evangelische Kirche ein Antisemitismusproblem. Wenn in Deutschland einer Umfrage zufolge antisemitische und rassistische Weltbilder bei bis zu 20 Prozent der Bevölkerung vorherrschten, dann sei eben auch die Kirche betroffen, schreibt der Pfarrer und Publizist in einem Blog auf der Internetseite seines Hauses. Um hier gegenzusteuern, müssten sich die Gemeinden und kirchlichen Einrichtungen flächendeckend mit diesem Thema beschäftigten.
Die öffentlichen Äußerungen der evangelischen Kirche richteten sich zwar seit Jahren stets deutlich gegen solche Denkmuster, räumt Hahn ein. Auch würden judenfeindliche Aussagen des Reformators Martin Luther benannt. Zweifel aber seien angebracht, ob eine eindeutige Ablehnung des Antisemitismus auch an der Kirchenbasis herrsche.
»Nie wieder!« reicht nicht, sagt Akademieleiter Udo Hahn.
Eine vom Rat der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) in Auftrag gegebene Studie habe 2016 ergeben, dass der christliche Glaube nicht per se vor Antisemitismus schütze, erinnert der Theologe. Die damals erfolgten Empfehlungen hinsichtlich des Bildungsauftrags der Kirche seien vage geblieben, auch eine breit angelegte Debatte habe es nicht gegeben.
Hahn mahnt an, die Wiederholung der aus dem Massenmord an Juden entstandenen Selbstverpflichtung, dass ein solcher Zivilisationsbruch nie wieder geschehen dürfe, sei nicht mehr ausreichend, um den wachsenden Gefahren für jüdisches Leben wirkungsvoll zu begegnen.
Hahn plädiert dafür, sich stärker mit jüdischer Geschichte und Kultur zu beschäftigen. Das Jubiläumsjahr 2021 könnte dafür ein Startschuss sein.
Die Beschwörung des »nie wieder!« werde im Lichte der Entwicklung der vergangenen Jahre in Deutschland und Europa zu einem Ritual, notiert der Direktor. Dieses als solches sei zwar unaufgebbar, es verliere aber an Kraft. Die Ernennung von Antisemitismusbeauftragten im Bund und in den Ländern, in der Justiz und in der Kirche sei ein überfälliger Schritt gewesen. Auch viele Präventionsangebote im Bildungsbereich und in den Kirchen stärkten die demokratische Kultur. Doch nach Ansicht des Theologen reichten sie nicht aus.
Hahn plädiert dafür, sich stärker mit jüdischer Geschichte und Kultur zu beschäftigen. Das Jubiläumsjahr 2021 könnte dafür ein Startschuss sein. Denn dann lebten nachweislich seit 1700 Jahren Jüdinnen und Juden auf dem Gebiet des heutigen Deutschlands. »Eine gute Gelegenheit«, so der Akademiedirektor, »den christlich-jüdischen Dialog neu in der Breite der Kirche zu verankern.« kna