Neulich beim Kiddusch

1:0 fürs Schwiegermonster

Schafft manchmal Genugtuung: Tritt ins Schienbein Foto: imago

Neulich beim Kiddusch

1:0 fürs Schwiegermonster

Was einem an jüdischen Feiertagen alles passieren kann

von Margalit Berger  20.06.2011 16:20 Uhr

»Lass mich mal ran«, drängelt sich meine Tochter vor und reißt mir den Feldstecher von den Augen. Professionell geht sie in Deckung und lugt aus dem Salonfenster. Wir schreiben den 9. Juni 2011 – Schawuot, Tag zwei. Seit genau 26 Stunden und 45 Minuten ist unsere Wohnung unter Belagerungszustand. Niemand verlässt das Haus, niemand kommt rein.

Denn auf dem Spielplatz gegenüber hat meine Schwiegermutter seit gestern ihre Zelte aufgeschlagen. Weil ich sie nicht über Schawuot in meine Wohnung eingeladen habe, hat sie ihre Drohung wahrgemacht und campiert über die Feiertage vor unserem Haus. Sie wartet nur darauf, dass wir mürbe werden und sie doch noch zu uns heraufbitten.

Zeltlager Auf einmal steigen aus ihrem Zeltlager kleine Dampfwolken auf. »Sie sendet Rauchsignale!«, ruft mein Sohn aufgeregt und blättert in seinem Pfadfinder-Handbuch. »Blödsinn, sie haut sich ein Ei in die Pfanne«, sage ich. Mein Mann fummelt an der Scharfeinstellung des Fernglases.

Tatsächlich steht Schwiegermama in einem wallenden weißen Gewand vor dem Zelt und rührt in einer Pfanne auf einer improvisierten Feuerstelle. Um sie herum stehen ein paar Penner und Hausierer aus dem nahe gelegenen Park mit Bierdosen in der Hand und fachsimpeln. Vielleicht schließen sie auch Wetten ab. Worüber, mag ich mir gar nicht ausdenken.

Die Temperaturen sollen heute Nacht wieder sinken. Hoffentlich hat Schwiegermama eine Isomatte dabei. Aber jetzt nur nicht weich werden. Wir beide wissen, wenn ich jetzt nachgebe, habe ich sie für den Rest meiner Tage für alle Feiertage auf dem Hals, und das ist mehr, als ich ertragen kann. Ich setze mich in meine Lieblingsecke auf dem Familiensofa und blättere betont ruhig in einer Zeitschrift. Auf einmal werde ich durch ein lautes Ploppen neben meinem Gesicht aufgeschreckt. Dann noch ein Plopp und noch eins. Es stammt von Flugobjekten, die auf unserem Wohnzimmerfenster aufschlagen.

Slivovitz Vor dem Haus steht ein wütend murrendes Menschengrüppchen und bombardiert uns mit überreifen Pflaumen und faulen Eiern. Und was macht Schwiegermama? »Sie teilt Flugblätter aus«, ruft meine Tochter. »Gib her!«, fauche ich und halte mir den Feldstecher an die Augen. Ich sehe alles gestochen scharf, sogar den Text auf den Flugblättern. »Ausgesperrt von Schwiegertochter« kann ich entziffern, und in dem Menschengrüppchen entdecke ich einige meiner Freunde und Bekannten, die offenbar in Schwiegermamas Lager übergewechselt sind. Die meisten halten kleine Plastikbecher in der Hand, die randvoll mit Slivovitz gefüllt sind. Außerdem reicht Schwiegermama belegte Brötchen und Würstchen in Blätterteig zu ihrem Barrikaden-Kiddusch.

»Verräter!«, röchele ich. Sanft entwendet mein Mann mir das Fernglas. »Liebling«, sagt er, »es ist an der Zeit zu kapitulieren.« Leider hat er recht.

Wenige Minuten später hält Schwiegermama triumphierend mit ihren fünf Hartschalenkoffern, ihren mitgebrachten Weight-Watchers-Tiefkühlmenüs und ihrer Katzenreisetasche samt zwei Haus-Tigern Einzug in meine Wohnung. Das Szenario für die nächsten Tage ist vorhersehbar: Schwiegermama verbringt die Vormittage in der Badewanne, und alle müssen sich in der Küche die Zähne putzen. Während ihre beiden verwöhnten Viecher die ganze Wohnung vollhaaren, werfe ich mir das dritte Valium des Tages ein, um nicht vorzeitig einem Nervenzusammenbruch zu erliegen.

Aber zum Glück weiß ich, wann es Zeit ist zu gehen. Still und leise fische ich die Visakarte aus der Hosentasche meines Mannes und mache mich auf ins nächste Fünf-Sterne-Hotel. Dort genieße ich bei einem guten Gläschen Schampus den Rest der Tage im zimmereigenen Whirlpool. Schade, dass ich den Käsekuchen zu Hause im Kühlschrank gelassen habe. Aber zum Glück liefert der Room Service hier im Hilton so etwas bei Bedarf auch aufs Zimmer.

Lech Lecha

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