Zeitgeschichte

»Zu bereuen gab es nichts«

Adolf Eichmann während seines Prozesses Foto: imago stock&people

Schalom Nagar war 26 Jahre alt, als er mit einem Knopfdruck die Falltür unter dem Galgen von SS-Obersturmbannführer Adolf Eichmann herunterklappen ließ. Israels erste und einzige Hinrichtung eines NS-Kriegsverbrechers: für den Cheflogistiker des Holocausts.

Vor genau 60 Jahren, am 31. Mai 1962, zwei Jahre nach seiner Entführung durch den israelischen Geheimdienst aus Argentinien, war Adolf Eichmann tot. Er war als Leiter des Referats IV B 4 im Reichssicherheitshauptamt zuständig für den Transport der europäischen Juden in die Konzentrationslager.

Sein Henker litt ein Jahr lang an Alpträumen. Fast 50 Jahre lang hat er kaum öffentlich über diesen Tag gesprochen. 2011 drehten die israelischen Filmemacherinnen Netalie Braun und Avigail Sperber über ihn die anrührende Dokumentation »Der Henker«.

BEWACHER Als nach dem Todesurteil im Dezember 1961 Freiwillige für die Hinrichtung gesucht wurden, war Nagar der einzige von 22 Männern der Sonderbewachung für Eichmann, der sich nicht meldete. »Lasst das doch jemanden machen, der selbst im Lager war oder Verwandte verloren hat.« Die Aufgabe wurde dann durch Los vergeben. Es traf ausgerechnet ihn.

Nagar war 1949 mit 15 Jahren allein aus dem Jemen nach Israel ausgewandert. Er war Tischler, Fallschirmjäger, schließlich Wärter im Gefängnis von Ramle bei Tel Aviv. Von Eichmann hatte er nie etwas gehört. Weil die israelischen Sicherheitsbehörden große Angst hatten, einer der Wärter könnte Eichmann umbringen oder verletzen, suchten sie Juden aus orientalischen Ländern für seine Bewachung.

Nagar hat den NS-Verbrecher ein halbes Jahr lang hautnah bewacht. Bevor der berühmte Gefangene aß, musste er sogar vorkosten, um sicherzugehen, dass er nicht vergiftet werden konnte. An die Hinrichtung erinnerte sich Nagar später genau: Es war gegen neun Uhr am Abend. Ein deutscher Pfarrer war bei ihm. Als Henkersmahlzeit bat Eichmann nur um ein letztes Glas Wein. Eine Augenbinde lehnte er ab. »Ich stand ein letztes Mal mit ihm allein im Zimmer und blickte ihm wie immer fest in die Augen. Dann ging ich zum Tisch mit dem Knopf und zog den Vorhang vor. Ich zitterte leicht, als ich den Knopf drückte.« Die Leiche Eichmanns wurde anschließend verbrannt, die Asche ins Mittelmeer gestreut.

»Zu bereuen gibt es da nichts. Eichmann war ein millionenfacher Mörder, und jemand musste ihn hinrichten. Es war meine Aufgabe, was mich aber nicht gerade stolz macht«, sagte Nagar. Erst nach Jahren fand er wieder seine Ruhe. Er wurde religiös, studierte die Heilige Schrift. Siebzehn Jahre später ging er in Frühpension. Er wurde Rabbiner und arbeitete als Schächter, der nach koscherer Vorschrift Hühner schlachtet.

GNADENGESUCH Der in Solingen geborene Eichmann war am 15. Dezember 1961 im eigens dafür umgebauten Theatersaal im Jerusalemer Haus des Volkes zum Tode verurteilt worden. Der Mann, der in einem eigens angefertigten kugelsicheren Glaskasten von zwei Wärtern bewacht wurde, beteuerte immer wieder, nur ein Opfer gewesen zu sein. »Meine Schuld ist mein Gehorsam«, erklärte er.

Und noch in seinem Gnadengesuch an den damaligen Staatschef Jizchak Ben-Zvi schrieb Eichmann, er sei kein »verantwortlicher Führer« gewesen, habe unter Zwang als »Instrument« gedient und fühle sich nicht schuldig. Die Richter könnten sich »nicht in die Zeit und in die Lage versetzen können, in der ich mich während der Kriegsjahre befunden habe«.

Das sah das Gericht anders: »Jeder Eisenbahnzug mit tausend Menschen, den der Angeklagte nach Auschwitz oder an eine andere Stätte der Vernichtung gebracht hat, bedeutet, dass der Angeklagte unmittelbar an tausend vorsätzlich überlegten Mordtaten teilgenommen hat«, erklärte Richter Moshe Landau in der Urteilsbegründung. Eichmanns Schuld sei genau so groß wie die derjenigen, die die Opfer eigenhändig in die Gaskammern geworfen hätten.

Auch in der israelischen Gesellschaft und unter den Juden war indes der Vollzug der Todesstrafe - unter Verweis auf das biblische Tötungsverbot - umstritten. Aus Schweden etwa schrieb die deutsch-jüdische Autorin Nelly Sachs an Staatsgründer David Ben-Gurion: »Lassen Sie kein Todesurteil gegen Eichmann ergehen - auch in Deutschland gab es die Gerechten - um ihretwillen sei es Gnadenzeit.«

Und der jüdische Philosoph Martin Buber warnte gemeinsam mit anderen Persönlichkeiten, darunter der Religionshistoriker Gershom Scholem, an Staatspräsident Ben-Zvi: »Antisemiten wollen, dass wir in diese Falle tappen.«

Iran

Mullahs lassen angeblichen Mossad-Informanten hinrichten

Die Zahl der Hinrichtungen hat in den vergangenen Jahren drastisch zugelegt

 30.04.2025

Buenos Aires

Argentinien stellt Dokumente über geflohene Nazis online

Viele hochrangige Nationalsozialisten flohen nach dem Zweiten Weltkrieg vor Strafverfolgung – vor allem nach Südamerika. In Argentinien sind Dokumente zu den NS-Tätern nun digital zugänglich

 30.04.2025

Hanau

Antisemitisches Plakat an Schule: Staatsschutz ermittelt

In einem angrenzenden Park gab es eine Veranstaltung der Jüdischen Gemeinde. Besteht ein Zusammenhang?

 30.04.2025

Jom Hasikaron

Israel gedenkt der Terroropfer und Kriegstoten

Seit dem 7. Oktober 2023 sind 850 israelische Soldaten und 82 Sicherheitskräfte getötet worden

 30.04.2025

Josef Schuster

»Was bedeutet die Schoa heute noch für Deutschland?«

In seiner Rede zum 80. Jahrestag der Befreiung des KZ Bergen-Belsen reflektiert der Zentralratspräsident die Herausforderungen und Gefahren, vor denen die Erinnerung an die Schoa heute steht. Eine Dokumentation

von Josef Schuster  29.04.2025

Mauthausen

Überlebenswunderkind Eva Clarke: Geburt im KZ vor 80 Jahren

Es war eines der größten und gefürchtetsten Konzentrationslager der Nazizeit. Im Mai 1945 wurde es von US-Soldaten befreit. Unter den Überlebenden waren eine Mutter und ihr Neugeborenes

von Albert Otti  29.04.2025

Umfrage

Mehrheit hält AfD wegen deutscher Geschichte für unwählbar

Zum 80. Jahrestag des Kriegsendes fragt die »Memo«-Studie Menschen in Deutschland nach dem Blick zurück

 29.04.2025

Potsdam

Brandenburgs CDU-Chef Redmann fordert besseren Schutz für Synagoge

Vermutlich wurde in Halle ein zweiter Anschlag auf die Synagoge verhindert. Brandenburgs CDU-Chef Redmann fordert deshalb dazu auf, auch die Potsdamer Synagoge besser zu schützen

 29.04.2025

Menschenrechte

Immer schriller: Amnesty zeigt erneut mit dem Finger auf Israel

Im neuesten Jahresbericht der Menschenrechtsorganisation wirft sie Israel vor, einen »live übertragenen Völkermord« zu begehen

von Michael Thaidigsmann  29.04.2025