Staatsbesuch

»Zeichen der Dankbarkeit«

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier (2.v.l.) mit Avner Shalev, Michal Rovner, David Grossman und Regina Steinitz (v.l.) bei der Ehrung am 30. Juni im Peres Center for Peace in Tel Aviv Foto: picture alliance/dpa

Wir haben uns an diesem besonderen Ort versammelt, um vier außergewöhnliche Männer und Frauen zu ehren, ihre Lebensleistung zu feiern, darüber zu staunen, mit welchen Mitteln sie uns die Vergangenheit vergegenwärtigen, und darüber nachzudenken, welche Wirkung sie auf die Welt von heute haben und in Zukunft haben werden.

Doch bevor wir dies tun, lassen Sie uns an einen anderen außergewöhnlichen Menschen denken, der leider nicht mehr unter uns weilt.

Schimon Peres war Präsident des Staates Israel, nachdem er in seiner langen Laufbahn als Politiker viele andere hohe Ämter bekleidete – auch das des Ministerpräsidenten. Er war Träger des Friedensnobelpreises und erhielt für sein Wirken im Dienste des Friedens und der Menschlichkeit zu Recht zahlreiche Ehrungen von den führenden Institutionen der Welt.

Im Gedenken an Schimon Peres ist es mir – und ich darf wohl für uns alle in diesem Saal sprechen – eine große Ehre, hier im Peres Center for Peace and Innovation in Jaffa zu sein. Und ich möchte Efrat Duvdevani und Yonathan Peres ganz herzlich für ihre Gastfreundschaft danken.

Als Schimon Peres und ich vor über sechs Jahren mit Studenten der Hebräischen Universität zusammentrafen, fragte ihn eine junge Frau: »Verehrter Schimon Peres, was wird uns die Zukunft bringen?« Er antwortete ihr in Form einer Geschichte, die sich mir tief eingeprägt hat. »Die Zukunft«, sagte Peres, »ist wie ein Kampf zweier Wölfe. Der eine ist das Böse, ist Gewalt, Furcht und Unterdrückung. Der andere ist das Gute, ist Frieden, Hoffnung und Gerechtigkeit.« Und die junge Studentin fragte zurück: »Und – wer gewinnt?« Schimon Peres lächelte und sagte: »Der, den du fütterst.«

schoa Liebe Regina Steinitz, auch Sie waren damals, im Jahr 2015, dabei, als Schimon Peres und ich mit all den klugen jungen Studentinnen und Studenten sprachen. Auch Ihr lieber Mann war dabei, mein guter Freund Zwi, der – dessen bin ich gewiss – uns heute von dort droben zusieht, mit einem Lächeln auf den Lippen.

Und ich weiß, wie wichtig Ihnen der Kampf um unsere Zukunft ist, den Schimon Peres meinte – dieser Kampf, in dem das Gute mit dem Bösen ringt –, denn Sie haben es sich zur Lebensaufgabe gemacht, den guten Wolf zu füttern. Die Geschichte Ihres Lebens ist Ihr Geschenk an uns alle.

Liebe Regina Steinitz, als Kind mussten Sie unbeschreibliche Schrecken durchleben, und doch haben Sie uns davon erzählt. Als Überlebende der Schoa haben Sie vor 20 Jahren die Entscheidung getroffen, davon zu erzählen, und Sie erzählen bis heute immer wieder davon. Sie erzählen davon, was geschehen ist, damit es nicht noch einmal geschieht.
In Ihrer zehnten Lebensdekade erzählen Sie es allen, die bereit sind zuzuhören, und mit besonderer Überzeugung vielen Schülerinnen und Schülern – gerade aus Deutschland.

In meinem Leben war mir kaum etwas eine so große Ehre wie Ihre Bekanntschaft und Ihre Freundschaft. Ich danke Gott, dass es Ihre Stimme gibt – und wir alle danken Ihnen, dass Sie Ihre Stimme erheben.

hoffnung Lieber David Grossman, und wir sind zutiefst dankbar für Ihre Stimme! Wie Sie wissen, bedeuten mir Ihre Bücher sehr viel – und ich freue mich sehr, dass wir uns heute wiedersehen.

Ich erinnere mich an unsere regelmäßigen Treffen im Hotel King David, in schlechten Zeiten, in guten Zeiten – und auch in für Sie persönlich sehr schmerzvollen Zeiten.

An unsere Geschichte zu erinnern, hat nicht nur mit Vergangenem zu tun – es geht auch um uns.

Mit Ihren Schriften haben Sie viele Fenster in die Seele Israels geöffnet. Ihre Werke haben intensive und wichtige Debatten innerhalb der israelischen Gesellschaft angestoßen. Und Sie haben mir und Ihren vielen anderen Lesern außerhalb Israels ermöglicht, Einblicke zu gewinnen, die anders kaum möglich gewesen wären.

In Ihrem Werk spiegeln sich der Schmerz und das Leid und all die Erinnerungen aus alter Zeit, die in diesem Land nachhallen – und nicht zuletzt auch der Schmerz über Ihre eigenen Verluste, Ihr eigenes Leid – und doch schreiben Sie von der Hoffnung.

Sie weigern sich zu akzeptieren, dass Gewalt und Krieg die Lehren sein sollen, die wir aus unserer Vergangenheit ziehen.

Sie verstricken uns tief in die Wirklichkeit dieses Landes, folgen dem immer schmaler werdenden Pfad durch die Minenfelder der Gegenwart in eine bessere Zukunft und bedienen sich dabei der Macht des Wortes, der Kraft der Kunst und der Vernunft.

Sie stemmen sich dagegen, dass eine düstere Vergangenheit uns in eine ebenso düstere Zukunft zwingt – und Sie sind damit uns allen ein Vorbild. Ich bin Ihnen sehr dankbar.

brücken Aber nicht nur mit Worten, liebe Michal Rovner, kann man eine Brücke von der Vergangenheit in die Gegenwart schlagen. Alle, die heute durch die Tore von Auschwitz-Birkenau gehen, alle, die heute Yad Vashem besuchen, kennen Ihre Arbeiten.

Ihre Installationen geben den Ermordeten eine Stimme, der ausgelöschten Welt des europäischen Judentums und den in der Schoa getöteten Kindern. Atmende, fühlende Menschen, die voller Leben waren und eine ganze Kultur bewahrten – bis meine deutschen Vorväter kamen, ihre Häuser niederbrannten und sie zu Millionen ums Leben brachten.

Ihr Werk ist von Vielfalt und Formenreichtum geprägt, erstreckt sich von Zeichnungen bis zu Drucken, von Skulpturen bis zu Videos, und in all diesen Sprachen rufen Sie uns dazu auf, unsere Erfahrungen im Lichte all dessen, was vor uns geschah, neu zu reflektieren.

Oder, wie David Grossman es so viel besser ausdrückte, als er Ihre Arbeit in Auschwitz beschrieb: »Hier können wir spüren, wie Kunst einen Ort schaffen kann, wo Leben und dessen Verlust gemeinsam existieren können.«

Durch Ihre Arbeit, indem Sie an diesen beiden Erinnerungsstätten so kraftvolle Zeichen gesetzt haben, konnten Sie den schmerzvollen Erinnerungen, die Israel und Deutschland miteinander verbinden, Raum und Form geben. Hierfür sind wir Ihnen zutiefst dankbar.

freundschaft Auch Ihnen, lieber Avner Shalev, sind wir Deutsche dankbar. Dankbar für die Freundschaft, die es heute zwischen Israel und Deutschland gibt. Denn diese Freundschaft war ein Geschenk, mit dem wir nicht rechnen, auf das wir gewiss keinen Anspruch erheben konnten.

Und doch wurde uns dieses Geschenk zuteil. Aus freien Stücken reichten uns drei Generationen freundschaftlich die Hände: die Überlebenden des schrecklichsten Menschheitsverbrechens der Geschichte, die Kinder der Opfer der Schoa und ihre Enkel, die nun als junge Erwachsene in Tel Aviv, Berlin oder New York leben.

Sie wussten immer, lieber Avner Shalev, dass unsere Erinnerung an die Vergangenheit unseren Weg in die Zukunft bestimmt. Ihre Vision war dabei stets der Weg der Freundschaft – wie ich selbst bei so vielen Besuchen in der Gedenkstätte und im Museum erfahren durfte – eine Freundschaft auf der Grundlage von Wahrheit und Vertrauen und des aufrichtigen Verstehen-Wollens unserer schmerzvollen gemeinsamen Geschichte.

Heute bin ich hier, um Ihnen im Namen meines Landes für Ihre langjährige Arbeit in Yad Vashem zu danken – und auch für Ihre vielen Gesten der Güte, der Freundschaft und der Versöhnung.

Vor 17 Monaten haben Sie, Avner Shalev, und mein Freund Präsident Reuven Rivlin, mich eingeladen, anlässlich des 75. Jahrestages der Befreiung von Auschwitz in Yad Vashem zu sprechen. Für einen deutschen Bundespräsidenten kann keine Aufgabe schwerer wiegen, keine Ehre mehr Demut verlangen als diese.

lehren Wie ich damals sagte, scheinen wir Deutsche die Vergangenheit manchmal besser zu verstehen als die Gegenwart. Aber an unsere Geschichte zu erinnern, hat nicht nur mit Vergangenem zu tun – es geht immer auch um die Gegenwart, es geht um uns! Unser Gedenken sollte taghell ausleuchten, wie gut es uns gelingt, den Lehren aus der Geschichte gerecht zu werden, und auch, wo wir daran scheitern.

Der Antisemitismus ist nach wie vor in der Welt, und wir müssen ihn weiter bekämpfen, wo immer er sein hässliches Haupt erhebt – niemals dürfen wir vergessen!

Wir sollten nicht vergessen, dass erst im vergangenen Monat Terrorgeschosse auf diese 4000 Jahre alte Stadt niederregneten und ihre Botschaft des Todes, der Zerstörung und des Antisemitismus in den Himmel über Tel Aviv und Jaffa schrieben.

Wir dürfen nicht vergessen, dass Juden heute auf den Straßen Deutschlands und überall auf der Welt beinahe täglich angegriffen werden, oft schon deshalb, weil sie einen Davidstern oder eine Kippa tragen.

Und wir dürfen nicht vergessen, dass Synagogen in Deutschland und weltweit weiterhin Polizeischutz benötigen und dass vor zwei Jahren an Jom Kippur nur durch ein Wunder ein Massaker in Halle verhindert wurde.

bekenntnis An die Schoa erinnern, den Antisemitismus bekämpfen, an der Seite Israels stehen und unser immer wieder erneuertes Bekenntnis, niemals zu vergessen – all das darf für Deutschland, für uns Deutsche niemals zum leeren Ritual werden!

Unsere Erinnerungen geben uns Orientierung für die Gegenwart und helfen uns, die Zukunft zu gestalten – deshalb müssen wir sie für unsere Kinder und Kindeskinder bewahren.

Gute Menschen wie Sie sind es, die uns zurück zum Guten führen, wenn wir vom Weg abkommen.

Liebe Regina Steinitz, lieber David Grossman, liebe Michal Rovner, lieber Avner Shalev, gute Menschen wie Sie sind es, die uns zurück zum Guten führen, wenn wir straucheln und vom Weg abkommen. Arbeit wie Ihre ist unser Unterpfand, nicht zu vergessen. Dafür danke ich Ihnen von ganzem Herzen.

Als Zeichen dieser Dankbarkeit möchte ich Ihnen heute im Namen der Bundesrepublik Deutschland und des deutschen Volkes die höchste Auszeichnung meines Landes verleihen, den Verdienstorden der Bundesrepublik Deutschland.

Möge Ihr Schaffen viele andere, vor allem junge Menschen, dazu anregen, Ihrem Beispiel zu folgen. Mögen Ihre Werke neue Hoffnung auf eine Zukunft des Friedens zwischen Israel und seinen Nachbarn stiften. Und möge Ihr Vorbild auch kommenden Generationen den Weg weisen.

Georg M. Hafner

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