Extremismus

Zahl antisemitischer Straftaten steigt um 17 Prozent

Innenminister Seehofer und Verfassungsschutzpräsident Haldenwang stellten am Donnerstag den Verfassungsschutzbericht 2019 vor. Foto: imago

Die Zahl rechts- und besonders linksextremistischer Straftaten ist in Deutschland im vergangenen Jahr deutlich gestiegen. Der Verfassungsschutz zählte 2019 mehr als 22.300 Taten mit rechtsextremistischem Hintergrund und damit fast zehn Prozent mehr als im Vorjahr, wie aus dem Verfassungsschutzbericht hervorgeht. Zudem wurden mehr als 6400 Taten von Linken registriert, was sogar einem Plus von rund 40 Prozent entspricht.

Insgesamt ging die Zahl der Gewalttaten unter den Delikten zurück: Bei den Rechtsextremisten waren es 15 Prozent weniger, bei den Linksextremen etwas unter zehn Prozent. Der Bericht weist jedoch daraufhin, dass 2019 der Kasseler Regierungspräsident Walter Lübcke sowie zwei Menschen beim Anschlag in Halle von Rechtsextremisten getötet wurden. Zudem hätten antisemitische Gewalttaten zugenommen. Diese zeigten erneut deutlich das Gefährdungspotenzial von Waffenbesitz bei Rechtsextremisten oder bei »Reichsbürgern« und »Selbstverwaltern«.

»Antisemitismus, Fremden- und Islamfeindlichkeit bilden auch im Berichtsjahr 2019 Schwerpunkte rechtsextremistischer Agitation«, betont Innenminister Seehofer.

»Antisemitismus, Fremden- und Islamfeindlichkeit bilden auch im Berichtsjahr 2019 Schwerpunkte rechtsextremistischer Agitation«, erklärte Innenminister Horst Seehofer. »Wir müssen weiterhin wachsam und wehrhaft sein.« Das gesamte rechtsextreme »Personenpotenzial« wird mit 32.080 angegeben. Davon werden 13.000 als gewaltbereit eingestuft - 300 mehr als ein Jahr zuvor. Antisemitismus und Rassismus ließen sich zu über 90 Prozent auf den Rechtsextremismus zurückführen. »Das ist eine Schande für unser Land«, sagte Seehofer.

Der CSU-Politiker verbot erst vor knapp drei Wochen die rechtsextremistische Vereinigung »Nordadler«, die laut seinem Ministerium eine nationalsozialistische und antisemitische Ideologie propagierte - vor allem online über Chatgruppen und Kanäle auf diversen Plattformen. Im Januar verbot er die rechtsextreme Gruppe »Combat 18 Deutschland« und im März den Verein »Geeinte deutsche Völker und Stämme« der »Reichsbürger«-Bewegung.

Der Antisemitismus stelle ein »wichtiges Bindeglied« in der rechtsextremistischen Szene dar, sagte Seehofer. Dazu gehöre die Relativierung des Holocaust, der Vorwurf, Juden würden ihn für ihre Interessen missbrauchen oder antisemitische Verschwörungstheorien. Ein übergreifendes »Lagebild Antisemitismus« solle in Kürze erscheinen. Die Zahl der antisemitischen Straftaten stieg laut Bericht um 17 Prozent.

Verfassungsschutzpräsident Thomas Haldenwang sagte, die Bundeswehr habe nach Sicherheitsüberprüfungen eine große Zahl von Reservisten von weiteren Übungen ausgeschlossen. Seine Behörde arbeite hier sehr eng mit dem Militärischen Abschirmdienst (MAD) zusammen.

Der Verfassungsschutz habe dazu beigetragen, »dass in einer hohen dreistelligen Zahl Reservisten inzwischen ausgeplant worden sind«. Das bedeute, dass diese nicht mehr zu entsprechenden Übungen eingezogen würden. Extremistische Äußerungen in sozialen Medien und Chatgruppen hatten verstärkte Kontrollen ausgelöst.

Der Antisemitismus stelle ein »wichtiges Bindeglied« in der rechtsextremistischen Szene dar, sagte Seehofer. Dazu gehöre die Relativierung des Holocaust, der Vorwurf, Juden würden ihn für ihre Interessen missbrauchen oder antisemitische Verschwörungstheorien.

Seit 2019 wird erstmals sowohl die Jugendorganisation der AfD als auch der Zusammenschluss »Flügel« der Partei beobachtet. Dem »Flügel« rechnet der Verfassungsschutz mindestens jeden fünften zu. Das sind mehr als 7000 der AfD-Parteimitglieder. Offiziell hatte sich der »Flügel« in diesem Jahr aufgelöst. Nach Einschätzung des Bundesamtes lässt sich die Zahl der Anhänger wegen fehlenden formeller Vereins- und Mitgliederstruktur nicht konkret beziffern.

Das Politikkonzept des »Flügel« sei auf »Ausgrenzung, Verächtlichmachung und letztlich weitgehender Rechtlosstellung von Migranten, Muslimen und politisch Andersdenkenden gerichtet«, heißt es im Bericht. Die Haltung des »Flügels« zum Nationalsozialismus sei von einem »geschichtsrevisionistischen« Ansatz geprägt, der dessen Gewaltverbrechen relativiere oder ausblende.

Obgleich in den vergangenen drei Jahren deutlich weniger Asylbewerber nach Deutschland gekommen waren als in den Jahren zuvor, hat das Thema Asyl-Zuwanderung nach Einschätzung des Verfassungsschutzes weiterhin ein »hohes Mobilisierungspotenzial« in der rechten Szene, das »Gefährdungsmomente nach sich ziehen kann«.

Haldenwang sagte, seine größte Sorge sei momentan die gestiegene Gewaltbereitschaft in nahezu allen Bereichen.» Er nannte dabei besonders die Anschläge von Rechtsextremisten mit immer mehr Toten auch in diesem Jahr. «Hier geht es offenbar darum, einen ‚Highscore‘ an Toten zu brechen», sagte er mit Blick. Aber auch bei Linksextremen gelte der frühere Konsens, Gewalt gegen Menschen zu vermeiden, nicht mehr, sagte Haldenwang. «Wir haben es hier mit einer ganz neuen Qualität zu tun.»

Wie Verfassungsschutzpräsident Haldenwang mitteilte, wurde Indymedia als Verdachtsfall eingestuft.

Die Zahl der Linksextremisten stieg dem Verfassungsschutz zufolge von 32.000 in 2018 auf 33.500 im vergangenen Jahr. «Charakteristisch für die linksextremistische Szene ist ihre ausgeprägte Heterogenität», heißt es in dem Bericht. Dies gelte auch für das Verhältnis zur Gewalt. Hier lasse sich «die linksextremistische Szene in zwei Lager teilen - in gewaltorientierte und nicht gewaltorientierte Linksextremisten», heißt es in dem Bericht weiter.

Wie Haldenwang mitteilte, wurde Indymedia als Verdachtsfall eingestuft. Das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig hatte im vergangenen Januar das Verbot der Internet-Plattform «linksunten.indymedia» bestätigt, das 2017 vom damaligen Bundesinnenminister Thomas de Maizière ausgesprochen worden war. Haldenwang sagte, die Aktivitäten hätten sich zuletzt von dieser Plattform hin zu «de.Indymedia» verlagert. Dort werden unter anderem Aufrufe zu Aktionen und Bekennerschreiben veröffentlicht. Bei einem Verdachtsfall gibt es «hinreichend gewichtige tatsächliche Anhaltspunkte» für verfassungsfeindliche Bestrebungen. Das bedeutet, dass der Geheimdienst personenbezogene Daten auswerten und speichern kann. Unter strengen Voraussetzungen können auch nachrichtendienstliche Mittel eingesetzt, also heimlich Informationen beschafft, werden.

Vor allem Leipzig habe sich zuletzt als ein Hotspot der linken Szene herausgebildet, sagte Haldenwang. In Sachsen wurden im vergangenen Jahr laut Bundeskriminalamt 117 links motivierte Gewalttaten gezählt. Damit nahm der Freistaat bundesweit den dritten Platz ein, nach Berlin und Nordrhein-Westfalen. dpa

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