Antisemitismus

Wo Begriffe fehlen

Anti-Israel-Demonstration im spanischen Sevilla, 2009 Foto: Reuters

Die EU-Agentur für Grundrechte (FRA) hat die langjährige »Arbeitsdefinition des Antisemitismus« von ihrer Website genommen. Das sorgte für Aufsehen. Um die Kontroverse zu verstehen, ist es hilfreich, die Herkunft und Verwendung dieser Definition zu bewerten.

Die Europäische Stelle zur Beobachtung von Rassismus und Fremdenfeindlichkeit (EUMC) hat vor fast zehn Jahren diese Arbeitsdefinition veröffentlicht. Dies geschah in einer Zeit, als die europäischen Länder erst begannen, auf das Wiedererstarken des Antisemitismus in ihrer Mitte zu reagieren. Nur wenige waren damals bereit, anzuerkennen, dass sich eine »neue Form« des Antisemitismus herausbildete, eine, die den Staat Israel dämonisiert und dessen Legitimität infrage stellt.

Definition Das American Jewish Committee und der European Jewish Congress arbeiteten eng mit wissenschaftlichen Experten in Israel, den USA und Europa zusammen an der Ausarbeitung dieser Arbeitsdefinition. Darin heißt es: »Der Antisemitismus ist eine bestimmte Wahrnehmung von Juden, die sich als Hass gegenüber Juden ausdrücken kann ... Darüber hinaus kann auch der Staat Israel, der dabei als jüdisches Kollektiv verstanden wird, Ziel solcher Angriffe sein.«

Die Arbeitsdefinition wurde so genannt, weil sie nie offiziell als politisches Dokument vom EU-Verwaltungsrat des EUMC angenommen wurde. In diesem Fall wollte die EUMC den Regierungsvertretern und Repräsentanten der Zivilgesellschaft konkrete Hilfe geben, das Problem besser beobachten und identifizieren zu können. Und das gelang auch.

Seit der Veröffentlichung wurde die Arbeitsdefinition in Polizeischulungsmaterialien der OSZE aufgenommen. Sie wurde vom US-Außenministerium übernommen und von interparlamentarischen Kommissionen in Großbritannien und Kanada empfohlen. Insbesondere hat sie zu der Erkenntnis beigetragen, dass Antisemitismus verschiedene Formen annehmen kann, darunter auch solche, die Israel betreffen.

Vorfälle Die Beobachtung und Dokumentation antisemitischer Vorfälle war sehr mangelhaft und ist immer noch problematisch. Wenn die Vorfälle nicht erkannt oder der Polizei gemeldet und auch nicht von staatlichen Stellen registriert werden, ist es so, als seien sie nicht geschehen. So konnten europäische Politiker mit einer gewissen Berechtigung sagen, dass Antisemitismus kein Problem darstelle.

Im Jahr 2007 wurde die EUMC von der größeren EU-Agentur für Grundrechte (FRA) abgelöst. 2009 veranstaltete ich eine Diskussionsrunde in der OSZE, bei der die FRA-Leitung unter anderem mit europäischen jüdischen Führungspersönlichkeiten zusammentraf. Das war kurz nach dem Ende des Gazakrieges. Die Teilnehmer berichteten von zahlreichen Beispielen, wie Israel in den Medien diffamiert wurde und wie Angriffe auf jüdische Einrichtungen dramatisch zugenommen hätten, vermutlich von Personen, die sich, vom Nahostkonflikt aufgestachelt, passende Ziele in der Nähe suchten.

Dies waren sehr gute Beispiele für die Arbeitsdefinition, die die FRA anscheinend aufgeben wollte. Sie tat es dann doch nicht. Und bis vor Kurzem stand die Definition auf der Website der Agentur, allerdings ohne Kommentar und mit dem alten EUMC-Logo. Ironischerweise hat die FRA kürzlich eine detaillierte Erhebung über Juden in neun EU-Ländern und ihre Erfahrungen und Wahrnehmungen des Antisemitismus erstellt. Die Ergebnisse wurden im vergangenen Monat veröffentlicht.

Israel Sie zeigen objektiv und umfassend, dass er nach wie vor ein ernstes Problem ist, vielleicht ein noch dringenderes, als wir es gedacht hatten. Die FRA-Studie belegt auch eines der wichtigsten Elemente der Arbeitsdefinition: Dem Bericht zufolge ist für europäische Juden die Gleichsetzung Israels mit den Nazis schlicht und einfach ein Ausdruck von Antisemitismus.

Die FRA-Ergebnisse zeigten auch, dass die große Mehrheit der europäischen Juden ihre Erfahrungen mit Antisemitismus nicht melden, da sie glauben, dass Polizei und andere Behörden sie nicht ernst genug nehmen. Also existiert das Problem mit der Beobachtung und Dokumentation, das der EUMC vor zehn Jahren erkannt hatte, immer noch.

Die Bedeutung einer Arbeitsdefinition sollte daher selbstverständlich sein. Wir erkennen, dass es ein wachsendes Bewusstsein und Verständnis seitens der Polizei und Staatsanwaltschaft in der gesamten EU gibt, aber es wäre voreilig, anzunehmen, dass auf eine gemeinsame Definition von Antisemitismus mit praktischen Beispielen verzichtet werden könne.

Es ist irritierend und bedauerlich, dass die Arbeitsdefinition von der FRA-Website verschwunden ist. Ich rate dringend, dass die EU-Agentur sie wieder aufnimmt, um das wichtige Erbe der EUMC sowie den offensichtlichen Wert, den die Definition immer noch hat, anzuerkennen.

Der Autor ist Direktor für internationale Beziehungen des American Jewish Committee und Beauftragter des OSZE-Vorsitzenden zur Bekämpfung des Antisemitismus.

Washington D.C.

Trump will »echtes Ende« für iranisches Atomprogramm

Der Iran hätte den bisherigen Verhandlungsvorschlag annehmen sollen, schreibt der US-Präsident

 17.06.2025

Judenhass in Brandenburg

Hausverbot für Juden und Israelis

Die Polizei ermittelt Geschäften »Yörük I« und »Yörük II« in Brandenburg

 17.06.2025

Calgary/Washington D.C.

Trump offen für Putin als Vermittler in Israel-Iran-Krieg

Wladimir Putin führt seit 2022 einen Eroberungskrieg gegen die Ukraine. Nun bietet sich der Aggressor selbst als Friedensstifter im Konflikt zwischen Israel und dem Terrorsponsor Iran an. Einer hält die Idee für gut

 17.06.2025

Berlin

Deutsch-Israelische Literaturtage abgesagt

Der Krieg zwischen Israel und Iran erreicht das Berliner Kulturprogramm

 17.06.2025

Berlin

Leo Baeck Institut feiert 70-jähriges Bestehen

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hält ein Grußwort und spricht darin auch über den zunehmenden Antisemitismus

 17.06.2025

Kananaskis (Kanada)

G7 einigt sich überraschend auf Erklärung zum Iran-Krieg

Beim G7-Gipfel sieht es zunächst so aus, als könnten sich die Teilnehmer bei wichtigen außenpolitischen Themen nicht auf eine gemeinsame Sprache verständigen. Nun gibt es doch eine Ausnahme.

 17.06.2025

Kanada

Trump verlässt G7-Gipfel - und kanzelt Macron wegen Israel ab

Nach nur einem Gipfeltag reist US-Präsident Trump vom G7-Treffen in den Rocky Mountains ab. Grund ist die Krise im Nahen Osten. Was werden die USA nun tun?

 17.06.2025

Meinung

Die »Staatsräson« mit neuem Leben füllen

Umfragen zeigen, dass Israel hierzulande alles andere als beliebt ist. Dabei sollte allen Deutschen das Schicksal des jüdischen Staates am Herzen liegen - gerade angesichts der Bedrohung aus dem Iran

von Nikolas Lelle  16.06.2025

Terror

Sorge vor Anschlägen auf jüdische Einrichtungen

Die Auswirkungen des Kriegs gegen den Iran könnten auch in Deutschland zu spüren sein, warnt Felix Klein. Auch Thüringens Verfassungsschutzchef Stephan Kramer rechnet mit erhöhter Terrorgefahr

von Christoph Arens  16.06.2025