interview

»Wir dürfen kein Diebesgut kaufen«

Herr Rabbiner, ist die Entscheidung der Bundesregierung richtig, die Steuersünder-CD anzukaufen?
Zunächst einmal ist es eine Mizwa, Steuern zu zahlen. Leider gibt es Menschen, die sich dieser Pflicht verweigern und das Finanzamt betrügen. Der Staat muss sie zur Verantwortung ziehen. Doch wie er an die dafür notwendigen Daten kommt, ist eine andere Frage. In diesem Fall sind die Schweizer Banken nicht bereit, die Daten der Steuersünder zur Verfügung zu stellen. Es ist jedoch kein koscherer Weg, die Informationen von Dieben zu erwerben.

Die Daten könnten dem Fiskus aber bis zu 400 Millionen Euro bringen. Heiligt nicht der Zweck die Mittel?
Nein, ganz und gar nicht. Man kann keine Mizwa erfüllen, wenn man auf dem Weg zur Erfüllung dieser Pflicht eine andere verletzt. Angenommen, es ist Sukkot, und ich habe kein Geld, mir einen Lulaw, einen Festtagsstrauß, zu kaufen. Dann darf ich nicht einfach den eines anderen stehlen. Mit einem gestohlenen Lulaw erfüllt man die Mizwa nicht.

Es darf also kein Mensch belohnt werden, der gegen das Gebot »Du sollst nicht stehlen« verstoßen hat?
Auf gar keinen Fall. Es könnte Nachahmer animieren. Und der Staat würde ebenso handeln wie die Person, die sich die Daten beschafft hat. Beide wären bereit, illegal zu handeln, um ihre Ziele zu erreichen. Und das geht nicht. Übrigens gilt das auch für die Landesregierungen, denen mittlerweile ebenfalls Daten von Steuersündern zum Kauf angeboten wurden. Wenn die Informationen benötigt werden, dann soll der Staat versuchen, sie auf anderem Wege zu beschaffen. Der Ankauf gestohlener Daten ist nicht koscher.

Wie soll man grundsätzlich reagieren, wenn gestohlenes Gut angeboten wird?
Wir dürfen kein Diebesgut kaufen oder uns schenken lassen. Doch ist dabei zu beachten, dass sich die Halacha in den 2.000 Jahren, in denen wir in der Galut waren, also verstreut unter den verschiedenen Völkern lebten, mehr mit dem Recht von Privatpersonen beschäftigt hat. In den vergangenen 60 Jahren, seit der Gründung des Staates Israel, werden auch andere Fragen der Halacha diskutiert. Da geht es um den Staat, der eine andere Kraft hat als das Individuum. Wir wissen, dass der Geheimdienst auch auf nichtkoscherem Wege Informationen erwirbt. Aber dem Staat sind Grenzen gesetzt.

Und was ist mit Informationen über einen geplanten Terroranschlag?
Wenn es um die Notsituation eines Individuums oder Landes geht, verhält es sich natürlich anders. Rettung von Menschenleben ist eine große Mizwa, sie setzt andere Regeln außer Kraft. Doch bei den CDs ist das nicht der Fall. Sicherlich wäre es wünschenswert, wenn der Staat 400 Millionen Euro Mehreinnahmen hätte. Doch es geht hier nicht um Sicherheit. Der Staat muss gegen Steuersünder vorgehen – aber mit koscheren Mitteln.

Mit dem Vorstandsmitglied der Orthodoxen Rabbinerkonferenz Deutschlands sprach Detlef David Kauschke.

Senat

Mehrere Berliner Abgeordnete verlassen Linkspartei

Wegen eines Antisemitismus-Streits kehren einige Politiker der Linkspartei den Rücken - auch der ehemalige Senator Klaus Lederer

 23.10.2024

Straßburg

Alle Klarheiten beseitigt

Der Streit über EU-Gelder für die Palästinenser und die UNRWA entzweit das Europäische Parlament

von Michael Thaidigsmann  23.10.2024

USA/Israel

FBI übernimmt Ermittlungen nach Geheimdienstleck

Dokumente über Israels Vorbereitungen für einen Angriff gegen den Iran gelangten an die Öffentlichkeit. Wer steckt dahinter?

 23.10.2024

Washington D.C.

Trump wollte »Militärs wie Hitlers Generäle«

Sein ehemaliger Stabschef John Kelly erinnert sich an höchst problematische Aussagen

 23.10.2024

Herta Müller

»Das Wort ›Märtyrer‹ verachtet das Leben schlechthin«

Die Literaturnobelpreisträgerin wurde mit dem Arik-Brauer-Publizistikpreis ausgezeichnet. Wir dokumentieren ihre Dankesrede

von Herta Müller  23.10.2024

Dokumentation

»Eine Welt ohne Herta Müllers kompromisslose Literatur ist unvorstellbar«

Herta Müller ist mit dem Arik-Brauer-Publizistikpreis ausgezeichnet worden. Lesen Sie hier die Laudatio von Josef Joffe

von Josef Joffe  23.10.2024

Antisemitismus

Auch in Halle Stolpersteine gestohlen

In Halle wurden ebenfalls Stolpersteine aus dem Boden gebrochen

 22.10.2024

USA

Israelfeindliche Gruppen an Unis werden immer radikaler

Auch an der Columbia University ist die Situation alarmierend

von Imanuel Marcus  22.10.2024

Umfrage

Grüne am ehesten für Waffenexporte nach Israel

Die Mehrheit der Deutschen lehnt Waffenlieferungen an den jüdischen Staat jedoch ab

 22.10.2024