Wolfgang Schäuble

Wegbereiter jüdischer Zuwanderung

Wolfgang Schäuble (1942-2023) Foto: picture alliance / Panama Pictures

Wolfgang Schäuble ist tot. Der CDU-Politiker starb am Dienstagabend im Alter von 81 Jahren im Kreise seiner Familie in Heilbronn, wie sein Bundestagsbüro mitteilte. Laut »Bild« soll er seit Jahren an Krebs erkrankt gewesen sein.

Wolfgang Schäuble hatte in seiner politischen Karriere viele Ämter inne: Er war 51 Jahre lang ununterbrochen Bundestagsabgeordneter, diente als Innenminister im Kabinett von Bundeskanzler Kohl, als Finanzminister in der Regierung von Bundeskanzlerin Merkel und war bis 2021 Präsident des Bundestags.

Verhandlungen über die Aufnahme von jüdischen »Kontingentflüchtlingen«

Doch für die jüdische Gemeinde war er vor allem der Wegbereiter der größten Zuwanderungswelle von Juden und Jüdinnen seit der Wiedervereinigung. Denn als Bundesinnenminister verhandelte Wolfgang Schäuble 1990 mit seinen Kollegen in den Bundesländern und mit dem damaligen Zentralratsvorsitzenden Heinz Galinski über die Aufnahme von jüdischen »Kontingentflüchtlingen« aus der Sowjetunion. Die Forderung sei damals nicht unumstritten gewesen, schilderte Schäuble später. Ihm zufolge habe sogar der israelische Botschafter Einspruch erhoben. Schließlich sei Israel die Heimat der Juden.

Schäuble wollte trotzdem einen Weg finden, die Einwanderung zu ermöglichen. »Die Bundesrepublik Deutschland war per definitionem kein Einwanderungsland. Es musste für einige Tausend Menschen, die aus der Sowjetunion kommen wollten, eine Rechtsgrundlage gefunden werden: Russlanddeutsche waren sie nicht, Vertriebene eigentlich auch nicht und auch keine Asylbewerber im eigentlichen Sinne. Nach den Bestimmungen des damals geltenden Aufenthaltsrechtes konnten Bund und Länder vereinbaren, dass ein bestimmtes Kontingent von Flüchtlingen aufgenommen wird«, erzählte er 2010 in einem Interview.

Am 9. Januar 1991 wurde auf der Innenministerkonferenz schließlich eine Einigung erzielt: Wer nachweisen konnte, dass er mindestens ein jüdisches Elternteil hat, bekam eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis.

Von dieser Regelung haben bis zur Abschaffung des Kontingentflüchtlings-Status im Jahr 2005 zwischen 200.000 und 220.000 Jüdinnen und Juden Gebrauch gemacht. Die Mitgliederzahlen der jüdischen Gemeinden in Deutschland stiegen in der Zeit von 30.000 auf rund 95.000.

Heinz-Galinski-Preis

Für diese Leistung wurde Wolfgang Schäuble 2018 mit dem Heinz-Galinski-Preis ausgezeichnet. Nach dem unermesslichen Leid, das die Deutschen den europäischen und deutschen Juden gebracht haben, wirke neues jüdisches Leben hier für ihn immer wie ein Wunder, sagte Schäuble bei der Preisverleihung: »Ein Wunder, das sich unser Land nicht verdienen konnte.«

Der Zentralrat der Juden betonte Schäubles jahrzehntelanges Engagement für die jüdische Gemeinde in Deutschland. »Er hat sein Leben in den Dienst unseres Landes gestellt und war ein enger Freund der jüdischen Gemeinschaft in Deutschland«, schrieb der Zentralrat in einem Tweet.

Externer Inhalt

An dieser Stelle finden Sie einen externen Inhalt, der den Artikel anreichert. Wir benötigen Ihre Zustimmung, bevor Sie Inhalte von Sozialen Netzwerken ansehen und mit diesen interagieren können.

Mit dem Betätigen der Schaltfläche erklären Sie sich damit einverstanden, dass Ihnen Inhalte aus Sozialen Netzwerken angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittanbieter übermittelt werden. Dazu ist ggf. die Speicherung von Cookies auf Ihrem Gerät nötig. Mehr Informationen finden Sie hier.

Die Orthodoxe Rabbinerkonferenz Deutschland (ORD) würdigte Schäuble als »Architekt der jüdischen Zuwanderung aus Osteuropa«. »Die jüdische Gemeinde in Deutschland hat einen großen Freund verloren, der sich nicht nur unglaublich verdient um das heutige jüdische Leben in Deutschland gemacht hat, sondern auch stets klar und laut seine Stimme gegen Antisemitismus und Extremismus in der Gesellschaft erhoben hat und aktiv für den interreligiösen Dialog eingetreten ist«, heißt es in einer Mitteilung vom Mittwoch.

»Unvergessen bleiben seine Worte, dass das vielfältige deutsch-jüdische Leben ein unglaubliches Glück für Deutschland sei, das man sich immer wieder neu verdienen müsse. Wolfgang Schäuble war für uns ein Glücksfall. Wir sind ihm sehr dankbar und beten für ihn und seine Angehörigen und Freunde. Ruhe in Frieden, Wolfgang Schäuble, und möge ihm die Erde leicht sein«, so die ORD.

Glosse

Auf, auf zum bewaffneten Kampf!

Eine deutsche Komikerin wechselte am Wochenende wieder einmal das Genre. Enissa Amani versuchte allen Ernstes, rund 150 Berlinern zu erklären, dass Nelson Mandela das Vorgehen der Hamas gegen Israel gutgeheißen hätte

von Michael Thaidigsmann  20.11.2025 Aktualisiert

Berlin

Messerangriff am Holocaust-Mahnmal: Prozess beginnt

Ein 19-jährigen Syrer soll dort im Februar einem spanischen Touristen lebensgefährlich verletzt haben. Aufgrund einer sofortigen Notoperation überlebte das Opfer

 20.11.2025

Washington D.C.

Trump unterschreibt Gesetz zur Freigabe von Epstein-Akten

Der Druck auf den US-Präsidenten wurde zu groß - nun hat er die Veröffentlichung von Akten zu einem Fall genehmigt, den er nicht loswurde. Was das bedeutet

von Anna Ringle, Franziska Spiecker, Khang Mischke, Luzia Geier  20.11.2025

Russischer Eroberungskrieg

Neuer US-Friedensplan: Ukraine unter Druck

Die USA haben Sanktionen gegen Russland verhängt, doch hinter den Kulissen scheint weiter verhandelt worden zu sein. Kiew trifft dies zu einem doppelt ungünstigen Zeitpunkt

 20.11.2025

Nazivergangenheit

Keine Ehrenmedaille für Rühmann und Riefenstahl

»NS-belastet« oder »NS-konform« – das trifft laut einer Studie auf 14 Persönlichkeiten der Filmbranche zu. Ihnen wird rückwirkend eine Auszeichnung aberkannt, die die Spitzenorganisation der Filmwirtschaft (SPIO) zukünftig nicht mehr vergeben will

von Niklas Hesselmann  20.11.2025

Essay

All die potenziellen Schüsse

In diesem Herbst liest man fast täglich von vereitelten Anschlägen auf Juden. Was die ständige Bedrohung mit uns macht

von Mascha Malburg  20.11.2025

Stuttgart

Polizei plant Großeinsatz bei Maccabi-Spiel

Vor den Europa-League-Auftritten gegen Maccabi Tel Aviv sind der VfB Stuttgart und der SC Freiburg alarmiert. Ein Fan-Ausschluss wie zuletzt in Birmingham ist momentan nicht geplant

 19.11.2025

Kommentar

Danke, Berlin!

Die Entscheidung der Behörden, einem Hamas-Fanboy die Staatsbürgerschaft zu entziehen, sendet ein unmissverständliches und notwendiges Signal an alle Israelhasser. Mit Mahnwachen allein können wir die Demokratie nicht verteidigen

von Imanuel Marcus  19.11.2025

München

LMU sagt Veranstaltung zu palästinensischer Wissenschaft ab

Die Universität verwies in ihrer Stellungnahme darauf, dass es erhebliche Zweifel gegeben habe, »ob es sich um eine wissenschaftliche Veranstaltung auf dem erforderlichen Niveau gehandelt hätte«

 19.11.2025