Essay

Was hat dich bloß so ruiniert?

Razzia bei Jürgen Elsässer Foto: Presseservice Rathenow

Was soll man sagen über jemanden, den man mal kannte, aber offenkundig niemals gekannt hat? Um diese Frage zu beantworten, hilft es in diesem Fall vielleicht am besten, mit dem Anfang zu beginnen. Beziehungsweise mit der Wiedervereinigung.

Die DDR war im westlichsten Teil der Bundesrepublik nie wirklich präsent gewesen, außer im Satz »Dann geh doch rüber, wenn es Dir hier nicht passt«, der renitenten Jugendlichen mit gelangweilter Routine entgegengerufen wurde.

Wie fremd dieses fremde Land war, zeigte sich rasch, als die dortigen Neonazis von den bundesrepublikanischen Medien entdeckt wurden und in die bereitwillig hingehaltenen Mikrofone und Kameras Sätze sagten, die ihre bundesrepublikanischen Pendants sich in aller Regel nicht ohne weiteres öffentlich zu sagen trauten. Ungehemmt wurde gegen Ausländer und Juden gehetzt, die deutsche Volksgemeinschaft sowie die so genannte arische Rasse beschworen.

Es waren Leute wie Jürgen Elsässer, die das diffuse Unbehagen in Worte für uns Westkinder fassten. Damals.

Ein paar Jahre später würden er und ich in derselben Redaktion arbeiten, in der er der Politgockel Numero Uno und ich Sportredakteurin und halt anwesend war.

Mein damaliger Eindruck von ihm war mäßig vorteilhaft, der Mann hatte halt gern recht und überraschend oft in Details nicht recht. Was, meiner Meinung nach, daran lag, dass er für seine regelmäßigen großen Auftritte in den Kommentarspalten gern schrille Theorien entwickelte, Fakten allerdings eher vernachlässigenswerten Kleinkram fand. Jedenfalls, wenn es um Themengebiete ging, von denen er absolut keine Ahnung hatte. Popkultur, zum Beispiel, oder Musik, und Sport.

Aber in Bezug auf eigene Irrtümer war er sehr großzügig, bei Konferenzen darauf angesprochen, winkte er in aller Regel ab, grinste und sagte sinngemäß »och ja, egal.« Ging es dagegen um das, was man damals für seine Herzensangelegenheiten hielt, war er kompromisslos: Das Existenzrecht von und die Solidarität mit Israel waren ein wichtiger Kernpunkt, ebenso wie die Ablehnung jeglicher völkischer Tendenzen und von Rassismus und Antisemitismus.

Und dann steht man eines Morgens auf und sieht eben diesen Mann praktisch überall im Internet im Bademantel vor einem Trupp sehr engagiert aussehender Polizisten stehen, die gekommen sind, um alles, was seiner Compact-Magazin GmbH gehört, zu beschlagnahmen. Die kurz zuvor vom Innenministerium unter anderem wegen der durch ihre Publikationen und Produkte verbreiteten antisemitischen, rassistischen, minderheitenfeindlichen, geschichtsrevisionistischen und verschwörungstheoretischen Inhalte verboten worden war.

Wie konnte das passieren?

Es gibt keine allgemeingültige Antwort auf diese Frage, an der praktisch alle, die damals mit ihm zusammengearbeitet haben, schon lange herumgerätselt haben. Was vielleicht auch gut ist, denn Antworten zu suchen bedeutet oft auch, Entschuldigungen zu finden.

Aber trotzdem: Wie konnte aus einem linken Journalisten, der eine große, ihn sehr verehrende Anhängerschaft hatte, jemand werden, der noch während der polizeilichen Durchsuchung – immerhin nicht mehr im Bademantel, sondern angezogen – Interviews gibt, in denen er das Verbot als »faschistische Maßnahme« bezeichnet und »diktatorische Maßnahmen dieses Regimes« beklagt? Wie konnte aus einem Mann, der einst vor lauter Freude darüber fast übersprudelte, dass er wegen seiner vielen positiven Artikel offiziell nach Israel eingeladen worden war und ihm ausgiebig das Land gezeigt werden würde, jemand werden, dem Antisemitismus vorgeworfen wird?

Lange Zeit hatte er noch für linke Medien gearbeitet und währenddessen peu a peu das aufgegeben, was andere für seine politischen Grundüberzeugungen hielten. Nicht immer bekam man jede Volte mit, die er vollführte. Wikipedia ist zu entnehmen, dass er 1998 in einem Buch die DVU als »nationalrevolutionär« einstufte und darin wohl auch schrieb, dass Linke ein Problem damit hätten, »das Sozialistische im Faschismus« zu entdecken.

Über die iranische Opposition: »Discomiezen, Teheraner Drogenjunkies und Strichjungen des Finanzkapitals«

Dann wurde es kompliziert, denn 2009 war er plötzlich eine Art Fan des Irans geworden. Die Wahl von Mahmud Ahmadinedschad zum Staatspräsidenten fand er »eine schöne Schlappe des Imperialismus« und bezeichnete die Opposition im Land als »Discomiezen, Teheraner Drogenjunkies und Strichjungen des Finanzkapitals«. Es sei, setzte er hinzu, »gut, dass Ahmadinedschads Leute ein bisschen aufpassen und den einen oder anderen in einen Darkroom befördert haben« – für seinen Kommentar entschuldigte er sich jedoch später.

Interessanterweise war eine ähnliche Deutung bei einem anderen ehemaligen Redakteur zu finden, einem österreichischen Kommunisten, dem Elsässer früher, wie den meisten seiner politischen Gegnern, leidenschaftlich gern Antisemitismus vorwarf.

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2012 besuchte er eben diesen Ahmadinedschad, dann aber kühlte seine Begeisterung wohl ab. Zwei Jahre später bezeichnete er den Zentralrat der Juden in Deutschland allerdings in seinem damaligen Blog (laut Wikipedia) als »dieses Sprachrohr zionistischer Politik«.

Und irgendwann interessierte es auch niemanden mehr so richtig, was er aktuell im Einzelnen trieb, jedenfalls bekam man immer seltener empörende Artikel von ihm zugeschickt. Was wohl daran lag, dass die Zeit der großen Elsässer-Überraschungen vorbei war und man ihm praktisch alles zutraute.

Lediglich als 2022 seine Autobiografie erschien, war er noch einmal Thema. In ihr, so war es gleich mehreren Leuten aufgefallen, maß er den Wert und die Richtigkeit politischer Bewegungen auch daran, ob sie das Zeug hatten, die Massen zu begeistern. Das passt doch zu jemandem, der dem Vernehmen nach einst genau das in Serbien getan habe, also die Massen begeistert (Slobodan Milosevic galt ihm, so der Spiegel 2018 »als »Staatenlenker, der den USA die Stirn bietet und zum Wohl seines Volkes sogar mit politischen Todfeinden koaliert - in einer »Querfront«-Regierung, über alle Lagergrenzen hinweg«.)

Vielleicht ist das alles, was er jemals wollte: Die Massen mit flammenden Reden begeistern, egal worüber.  
Kann sein, kann auch nicht sein.
Ich habe ihn jedenfalls wohl wirklich nie gekannt.

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