Frankfurt am Main

Vor 80 Jahren: Erster Gottesdienst in Westendsynagoge

Die Westendsynagoge Foto: picture alliance / Udo Bernhart

115 und 116: Das sind die Stammplätze von Marc Grünbaum und seinem Neffen. Grünbaums Stuhl in der Frankfurter Westendsynagoge gehörte zuvor seinem Vater. »Über Generationen werden die Plätze innerhalb der Gemeindefamilien weitergegeben«, erklärt der 55-Jährige. Er ist einer der Vorstandsvorsitzenden der Jüdischen Gemeinde am Main, die mit ihren knapp 6500 Mitgliedern zu den größten in Deutschland gehört. »Es geht um religiöse und emotionale Verbundenheit von Menschen mit der Synagoge und die Erinnerung an die eigenen Eltern.«

Die Westendsynagoge ist prächtig und umfängt die Beterinnen und Beter zugleich mit einer warmen Atmosphäre. Mit ihren dunkelbraunen Sitzen, den zurückhaltend gelb-orangefarbenen Wänden, dunkelgrünen und roten Ornamenten, einer blau-grauen Kuppel und einem großen Deckenleuchter über der Bima, dem Pult, an dem aus der Thora gelesen wird. An den Seiten erhebt sich in Hufeisenform die Empore für die Frauen. Der Innenhof ist in das Sonnenlicht des Nachmittags getaucht.

Die Synagoge mit ihren etwa 1000 Plätzen ist heute die größte in Frankfurt und gehört zu den wenigen in Deutschland, die bei den NS-Novemberpogromen 1938 stark beschädigt, aber nicht komplett zerstört wurden. Was heute in dem Gebäude zu sehen ist, ist vielfach restauriert, Originales kenntlich gemacht. Nicht lange nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs und dem Grauen der Schoa versammelten sich Jüdinnen und Juden zum ersten Gottesdienst in der notdürftig instandgesetzten Synagoge. Das war vor 80 Jahren, am 7. September 1945 im Vorfeld von Rosch Haschana.

Marc Grünbaum, Vorstandsvorsitzender der Jüdischen Gemeinde in FrankfurtFoto: picture alliance / Presse- und Wirtschaftsdienst
Orthodoxe Prägung

Grünbaum erinnert daran, dass die Synagoge voll besetzt gewesen sei. Mehrheitlich waren damals jüdische US-Soldaten anwesend. Denn nach Angaben der Gemeinde hatten von den mehr als 11.000 Frankfurter Jüdinnen und Juden, die in Konzentrations- und Vernichtungslager deportiert wurden, nur wenige überlebt. Leopold Neuhaus, letzter Rabbiner der Gemeinde bis 1942, war auch der erste Rabbiner nach 1945.

Vor 1933 wurde in der Westendsynagoge nach einem liberalen Gottesdienstablauf gebetet, wie Grünbaum erklärt. Nach dem Krieg veränderte sich die Zusammensetzung, weil kaum Alteingesessene vom Nazi-Regime verschont geblieben waren. Nun waren es vor allem osteuropäische Jüdinnen und Juden, die dort beteten. Deshalb entschied man sich nach einem Streit um den Ritus für eine orthodoxe Prägung, so Grünbaum - wie in vielen anderen Gemeinden, den sogenannten Einheitsgemeinden, in Deutschland auch. Vor der Schoa war Deutschland indes ein Zentrum des liberalen Judentums.

Auch dies ist heute in dem weitläufigen Gebäude vertreten, in dem die Westendsynagoge untergebracht ist: durch den Egalitären Minjan, eine liberale Gemeinschaft, in der Frauen und Männer im Gottesdienst gleichberechtigt Aufgaben übernehmen. Weitere Betgemeinschaften haben ihre Räume. Hinzu kommen eine Religionsschule und Versammlungsräume. In der städtischen Architektur im Westend mit seinen gepflegten Altbauten ist die Synagoge ein präsentes Gebäude. »Das Frankfurter Judentum hat sich nie versteckt«, betont Grünbaum.

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Solidarität mit den Geiseln

Versteckt wird hier auch nicht die Solidarität mit den am 7. Oktober 2023 von der Terrororganisation Hamas verschleppten Geiseln. Auf einem großen schwarzen Banner am Tor der Synagoge - hinter Betonbarrieren auf der Straße - wird gefordert, die restlichen noch im Gazastreifen gefangenen Geiseln nach Hause zurückzubringen. Seit dem 7. Oktober durchlebe die Gemeinde eine schwierige Zeit, so Grünbaum. Angesichts von massiv gestiegenem Antisemitismus gebe es Ängste und auch durchaus die Frage nach einer Zukunft jüdischen Lebens in Europa.

»Wir fühlen uns auch oft alleingelassen«, bemängelt Grünbaum eine häufige fehlende Solidarität. »Die Stimmung ist gekippt, je länger der Gazakrieg andauert. Ja, wir sehen viel Leid im Gazastreifen. Aber leider ist die Einordnung der politischen Zusammenhänge einseitig: Antiisraelische Polemik wird mit purem Antisemitismus vermengt.« Das Bundeskriminalamt hatte 2024 bei antisemitisch motivierten Delikten einen neuen Höchststand verzeichnet: eine Steigerung um knapp 21 Prozent auf rund 6200 (Vorjahr: 5.200).

Ungeachtet dessen nimmt das jüdische Jahr seinen Lauf. Rosch Haschana steht vor der Tür, das in diesem Jahr am Abend des 22. September beginnt und bis 24. September dauert. Dann wird es wieder voll in der Westendsynagoge. »Das hier ist eine Synagoge, die immer sehr lebendig war«, sagt Grünbaum. »Ich kann mir nicht vorstellen, die Hohen Feiertage woanders zu verbringen.«

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